Kinderschänder-Prozess:Trümmerstücke einer Familie

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Die Eltern von Marc Dutroux sagen vor Gericht aus - und die Zuhörer dort werden befremdet Zeugen zerstörter Beziehungen

Von Cornelia Bolesch

Der Vater nennt sich noch so wie der Sohn: Dutroux. Die Mutter und die Schwester dagegen sind schon längst hinter unauffälligen Namen verborgen. Im Gerichtssaal von Arlon trafen die drei jetzt auf den Mann, der vor zehn Jahren sechs Mädchen entführt, gequält und unendliches Leid über deren Familien gebracht hat.

Von Marc Dutroux' eigener Familie waren im Gerichtssaal nur noch Trümmerstücke wahrzunehmen - falls es für den Angeklagten überhaupt jemals so etwas wie eine Familie gegeben hat. Zwischen den Eltern, einem Lehrerpaar, und seinen Kindern, hat offenbar ein fataler Mangel an mitmenschlicher Wärme geherrscht.

Vater Dutroux: Ich habe ihm ein gutes Beispiel gegeben

Schwarz gekleidet, zerstreut eine Plastiktüte schlenkernd, nahm der 75-jährige Viktor Dutroux im Gericht Platz. "Sie sind der Vater des Angeklagten?", fragte der Richter. "Also...", der weißhäuptige Zeuge zögerte: "Offiziell ja. Ich habe ihn jedenfalls aufgezogen und ihm ein gutes Beispiel gegeben".

Dieses Ausweichmanöver illustrierte gleich eine der zentralen Botschaften, die Marc Dutroux über seine Kindheit verbreitet. Der Vater habe immer angezweifelt, dass er, der Älteste, sein leiblicher Sohn sei, hat Dutroux den Psychologen erklärt.

"Er hat mich nicht akzeptiert". Stattdessen hat der Vater den Sohn geschlagen, ihm, wie auch den anderen vier Kindern demonstrativ Bonbons und Schokolade weggegessen ("für die Zähne der Kinder war das nicht gut") und sich sonst nur um seine eigenen Dinge gekümmert, unter anderem um die Gründung einer politischen Partei in Wallonien.

Energische, scharfzüngige Mutter

Zeugen schilderten Dutroux senior als exzentrisch und egoman - Kostproben dieses Verhaltens, das so sehr an seinen Sohn erinnert, gab er auch vor Gericht. Seit Jahrzehnten habe er keinen Kontakt mehr mit seinem missratenen Kind.

"Marc Dutroux ist niemand, dessen Gesellschaft man sucht", erklärte der Vater kühl. Einmal habe er begonnen, einen Brief an ihn zu schreiben. Doch der sei nie fertig geworden.

Auch Viktor Dutroux hat zum "Fall Dutroux" inzwischen einige Medienauftritte absolviert. Nicht so viele allerdings wie seine Ex-Frau, von der er seit 1971 geschieden ist. Als Mutter Dutroux' ist sie in Belgien inzwischen weit bekannt.

Sie heißt jetzt Jeannine Lauwens und hat erneut geheiratet. In Arlon erschien sie im modischen schwarz-weißen Kleid: Eine energische, scharfzüngige Frau, deren anfängliche Nervosität bald unter einem sich immer mehr steigernden Wortschwall verschwand.

"Marc hätte einen Vater gebraucht"

Ihr Sohn sei ein Nichtsnutz. Doch niemals hätte sie solche abscheulichen Taten für möglich gehalten. Die Schuld gibt sie indirekt ihrem Ex-Mann. "Marc hätte einen Vater gebraucht." Doch der habe die Familie leider extrem vernachlässigt. Marc Dutroux spricht nur hasserfüllt von seiner Mutter. Als Kind stand er wohl total unter ihrer Fuchtel.

Nach den Aussagen beider Eltern vollzog sich vor einem befremdeten Publikum der armselige Versuch einer späten Kommunikation zwischen den Eltern und ihrem 47-jährigen Kind. Ohne sie direkt anzusprechen richtete Marc Dutroux gestelzte, umständliche Fragen an Vater und Mutter.

Sie betrafen Details seiner Kindheit, die für fremde Ohren ziemlich banal und abseitig klangen. Der Vater reagierte gleichgültig. Die Mutter dagegen startete einen Frontalangriff, als Dutroux wissen wollte, warum er nicht auf die Mittelschule, sondern auf eine Agrarfachschule habe gehen müssen.

Schwester lässt Bruder abfahren

"Du warst es doch, der das wollte." Nun müsse man sich dafür wohl bei den Landwirten entschuldigen. Regelrecht eingeschüchtert verstummte Dutroux. Die 36-jährige Schwester ließ den Bruder komplett abfahren, als der sie nach bestimmten Erinnerungen fragte: "Das geht Sie überhaupt nichts an."

Ob einer wie Marc Dutroux mit einer anderen Familie auf einen besseren Weg geraten wäre - diese Frage kann nie beantwortet werden. Eindeutig aber waren in Arlon die Auskünfte von vier Psychiatern: Marc Dutroux sei der klassische Fall eines Psychopathen, erklärten die Experten.

Nicht geisteskrank, sondern von schlechtem Charakter

Er sei narzisstisch, manipulativ und unfähig, sich in andere Menschen hineinzudenken. Mit einer Krankheit, die man heilen könne, habe das nichts zu tun. Dutroux sei auch nicht geisteskrank, sondern charakterlich einfach "schlecht konstruiert". Er sei voll verantwortlich für seine Taten, extrem gefährlich für die Gesellschaft und im Gefängnis am besten aufgehoben.

Eine bittere Wahrheit für Paul Marchal. Erneut musste sich der Vater der getöteten An nach dieser Auskunft fragen, warum man den "perfekten Psychopathen" Dutroux 1992 vorzeitig aus der Haft entlassen habe.

An und die anderen Mädchen könnten noch leben, wenn man die richtigen Experten befragt hätte. Doch der damalige Justizminister Melchior Wathelet ordnete die Freilassung an.

In diesen Tagen wollte Wahtelet eigentlich für die Christdemokraten in den Europawahlkampf ziehen. Doch er zog seine Kandidatur zurück - aus Rücksicht auf den Prozess in Arlon, ließ er mitteilen, und auf die Gefühle der Eltern.

© SZ vom 7.5.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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