Kinderschänder-Prozess:Das teuflische Trio und sein Komplize

Die Staatsanwälte im Prozess um Marc Dutroux haben sich von ihrer großen Verschwörungstheorie bis in die Politik hinein verabschiedet. Die vier Angeklagten hätten eine kriminelle Bande gebildet, "nicht mehr, aber auch nicht weniger". Für die Geschworenen aber bleibt die entscheidende Frage: Welche Rolle spielt der windige Geschäftsmann Michel Nihoul?

Von Cornelia Bolesch

Fast unauffällig hat die Anklage im Prozess gegen den Kinderschänder Marc Dutroux und drei Mitangeklagte Abschied genommen von der großen Verschwörungstheorie. Seit Jahren wird die belgische Gesellschaft von der Frage umgetrieben, ob hinter Dutroux' schrecklichen Taten nicht einflussreiche Kunden stecken.

Staatsanwalt Michel Bourlet war besonders eifriger Verfechter dieser Theorie. Sein Streit mit dem skeptischen Untersuchungsrichter Jacques Langlois hat den Prozess gegen Dutroux jahrelang verzögert. Nun hat sich auch Bourlet im Schlussplädoyer von der Netzwerk-These verabschiedet.

Er hat jetzt nur noch jene vier Menschen im Visier, die auf der Anklagebank sitzen. Diese Vier hätten eine "kriminelle Bande" gebildet - "nicht mehr, aber auch nicht weniger". Für die zwölf Geschworenen, die das Urteil fällen müssen, hat sich damit der Nebel allerdings nur teilweise gelichtet.

Hatte Nihoul mit den Entführungen zu tun?

Keiner im Gerichtssaal von Arlon hat Zweifel daran, dass Marc Dutroux, seine Ex-Frau Michelle Martin und der drogensüchtige Gehilfe Michel Lelièvre schuld daran sind, dass in den Jahren 1995 und 1996 vier Mädchen entführt, missbraucht und gestorben sind, und dass zwei weitere Mädchen zum Teil wochenlang in Dutroux' Kellerloch gepeinigt wurden, bis sie befreit werden konnten.

Doch die Rolle des vierten Angeklagten, des windigen Geschäftemachers und Betrügers Michel Nihoul, ist alles andere als eindeutig. War Nihoul zusammen mit Dutroux und Lelièvre "nur" in Drogengeschäfte, Autohandel und die Bereitstellung falscher Papiere verstrickt? Oder hat er auch mit den Kindesentführungen zu tun?

Für Staatsanwalt Michel Bourlet gibt es keinen Zweifel. Er beschuldigte Nihoul am Donnerstag, der "Auftraggeber" für die Entführung der damals 14-jährigen Laetitia aus einem Schwimmbad in Bertrix gewesen zu sein. Zeugen, die ihn am Tatort gesehen haben wollen, hält der Staatsanwalt für glaubwürdig.

Urteile wie eine Achterbahnfahrt

Außerdem habe Dutroux' Ex-Frau Martin in ihren ersten Vernehmungen Nihoul verdächtigt. Ferner habe Nihoul nicht erklären können, warum er Lelièvre am Tag nach der Entführung Laetitias eintausend Ampullen Ecstasy-Pillen übergeben habe. Und schließlich habe Laetitia selbst am Tag nach ihrer Entführung gehört, wie Dutroux mit einem "Michel oder Jean-Michel" telefonierte und sagte: "Das hat geklappt."

Michel Nihouls Anwälte werden in der nächsten Woche auf die Anschuldigungen antworten. Die Rolle ihres Mandanten vor belgischen Gerichten kommt einer Achterbahn-Fahrt gleich: Von der einen Instanz wurde er festgesetzt, von der anderen wieder freigelassen. Als einziger der Angeklagten ist er nicht inhaftiert, sondern reist frei zu den Gerichtsterminen an.

Anwälte der Opfer uneinig über Nihouls Schuld

Seine Verstrickung in die Entführungen ist unter den Prozessbeteiligten umstritten. Die Anwälte von Laetitia sehen ihn wie der Staatsanwalt als Auftraggeber im Fall ihrer Mandantin. Auch der Anwalt von Paul und Betty Marchal, der Eltern der toten An, hält ihn für schuldig.

Dagegen hat der Anwalt der zweiten Überlebenden, Sabine, Nihoul in seinem Plädoyer nicht mal erwähnt. Auch der Anwalt der Familie Lambrecks, die für ihre ermordete Tochter Eefje am Prozess teilnimmt, erklärte, Eefjes Vater sei von Nihouls Schuld "nicht mehr überzeugt".

Einhellig fiel bei allen Anwälten jedoch die Beurteilung des "teuflischen Trios" Marc Dutroux, Michelle Martin und Michel Lelièvre aus. Während Staatsanwalt Bourlet unter den Dreien noch eine gewisse Rangordnung vom Chef (Dutroux) über die Mitwisserin (Martin) bis zum Gehilfen (Lelièvre) feststellte, machten die Anwälte der Zivilparteien keinen Unterschied und forderten für alle drei die Höchststrafe Lebenslänglich. Inzwischen haben Marc Dutroux' drei Verteidiger mit ihren Plädoyers begonnen.

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