Kinderbetreuung:Leipziger Elternauflauf

Anstehen nach einem Kita-Platz

Warten bis die Polizei kommt: Eltern bei einer Kita-Anmeldung in Leipzig.

(Foto: dpa)

Hunderte Eltern stehen Schlange für einen Kita-Platz, sogar die Polizei rückt an. Hat Deutschland ein neues Symbolbild für seine Betreuungssituation?

Von Laura Hertreiter

Der Alltag von Großstädtern auf der Suche nach Kinderbetreuungsplätzen ist oft ein wenig sonderbar. Die einen werden zu Bastelarbeiten verpflichtet, die anderen zum Heckenschneiden. Es gibt Eltern, die Bobbycars spenden, um auf Wartelisten nach vorne zu rutschen, und Eltern, die Excel-Listen führen, damit sie einen Überblick behalten, wo sie schon vorgesprochen und nachgehakt haben. Irrsinn? Ja. Und es geht noch irrsinniger.

Am Wochenende verbreiteten sich die Bilder eines spektakulären Elternauflaufs in Leipzig. Hunderte Mütter und Väter mit umgeschnallten Babys, Babys in Kinderwagen und Babys auf dem Arm. In der Südvorstadt soll im August der "Kreativkindergarten Tillj" eröffnen, mit 165 Plätzen. Mehrere Medien haben die Warteschlange auf 450 Teilnehmer geschätzt (Babys nicht mitgezählt), einmal die Straße entlang. Bis die Polizei anrückte und die Wartenden nach eigenen Angaben aufforderte, "die Fahrbahn freizumachen" und bitte "nur auf dem Gehweg" anzustehen. Hat Deutschland ein neues Symbolbild für seine Kinderbetreuungssituation?

Anruf beim Bürgermeister von Leipzig. Thomas Fabian sagt sehr schnell sehr viel. Dass in der Stadt in den vergangenen zehn Jahren 9000 Kitaplätze entstanden sind, dass 166 Millionen Euro in dem Bereich investiert wurden. Er rechnet vor, dass mehr als 1500 Plätze pro Jahr geplant seien, und kurzfristig mindestens zehn Neubauten hinzukommen sollen. Dann sagt er: "Es gibt hier schon einen Mangel an Kitaplätzen." In einer solchen Schlange zu stehen sei dennoch "nicht nötig". Denn im Fall des Rekordauflaufs sei dem freien Träger "ein Missgeschick passiert": Statt die Anmeldung wie üblich zentral über ein Online-Portal zu regeln, habe der freie Träger, die Johanniter-Unfall-Hilfe, einfach einen öffentlichen Termin angesetzt - und sei entsprechend von Eltern überrannt worden.

Eine Sprecherin der Johanniter räumt am Montag den Fehler ein: "Wir hätten dem Online-System nicht vorgreifen dürfen", sagt sie. "Wir wollten, dass die Eltern die Kita schon mal anschauen können." Die Schlange habe sie dann "echt überrascht".

Dass sich Hunderte Eltern an einem sonnigen Samstag die Füße plattstehen, zeugt jedenfalls von jener Verzweiflung, die man in nahezu allen Großstädten findet, wo arbeitende Mütter längst nicht mehr die Ausnahme sind, wo der demografische Wandel am deutlichsten ist; am Montag teilte das Statistische Bundesamt mit, die Geburtenstatistik in Deutschland verzeichne 1,5 Kinder je Frau, den höchsten Wert seit der Wiedervereinigung. Hinzu kommen die Kinder, deren Familien gerade verstärkt auch aus dem Ausland zuwandern. Haben die Städte all das schlicht verpennt?

Der Leipziger Bürgermeister Thomas Fabian sagt: "Es ist ein Wettlauf. Noch werden Kinder schneller geboren als Kitas gebaut." Wer also in Städten wie Berlin, München, Hamburg oder Leipzig einen Betreuungsplatz braucht, muss eben Heckenschneiden und Tabellen ausfüllen. Oder Schlange stehen.

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