Katastrophe:Wenn die Erde bebt

Bei schweren Beben in Ecuador und Japan sterben Hunderte Menschen. Überall suchen jetzt Retter nach Verschütteten. Auch international läuft die Hilfe an.

Von Boris Herrmann und Christoph Neidhart

Es waren gewaltige Erschütterungen. Sie kamen ohne Ankündigung und kosteten viele Menschen das Leben oder zerstörten ihre Existenz. Ecuador und Japan liegen Tausende Kilometer voneinander entfernt - und doch war es eine Art trauriger Schicksalsgemeinschaft, die diese beiden Länder an diesem Wochenende verband.

Bei einem Beben der Stärke 7,8 starben am Samstag in Ecuador mindestens 235 Menschen. Zudem soll es mehr als 1550 Verletzte gegeben haben, teilte Vizepräsident Jorge Glas am Sonntag mit. Es waren die schwersten Erdstöße seit 37 Jahren. Die ecuadorianische Regierung rief landesweit den Ausnahmezustand aus. Er rechne damit, dass die Zahl der Opfer steigen werde, sagte Glas. Viele Menschen seien noch in den Trümmern eingestürzter Häuser gefangen. Etwa 10 000 Soldaten und 3500 Polizisten wurden zum Einsatz in die betroffenen Gebiete geschickt.

Eine zunächst herausgegebene Tsunamiwarnung wurde aber bald wieder aufgehoben. Ebenso wie Ecuador liegt auch die südjapanische Insel Kyushu am "Ring of Fire", am Pazifischen Feuerring. Dort hatte es bei zwei Beben am Donnerstag und in der Nacht auf Samstag mehr als 40 Tote gegeben. Etwa die Hälfte aller aktiven Vulkane weltweit befindet sich am Feuerring. Das Gebiet reicht von der südamerikanischen Westküste über die Westküste der USA, Russland und Japan bis nach Südostasien. Längs des Feuerrings treffen verschiedene Erdplatten aufeinander und es kommt zu Verschiebungen - die Folge sind Vulkanausbrüche, Erdbeben und Tsunamis. Die Region gilt als eine der geologisch gefährlichsten Zonen weltweit. 90 Prozent aller Erdbeben ereignen sich hier. Doch eine direkte geologische Verbindung zwischen den aktuellen Beben in Japan und Ecuador gebe es nicht, erklärte das Geo-Forschungs-Zentrum Potsdam (GFZ).

In Ecuador hatte zunächst Vizepräsident Glas die Kontrolle über die Krise übernommen, da sich Staatspräsident Rafael Correa auf Dienstreise im Vatikan befand. Correa kündigte an, schnellstmöglich zurückzukehren: "Heute sind wir so vereint wie nie." Auch aus dem Ausland, etwa aus Mexiko und Kolumbien, starteten am Sonntag Katastrophenhelfer nach Ecuador. Die Regierung will die Opfer der am schwersten betroffenen Gebiete mit 300 Millionen Dollar Soforthilfe unterstützen. 1979 waren beim sogenannten Tumaco-Erdbeben in Ecuador und Kolumbien zwischen 300 und 600 Menschen ums Leben gekommen. Die genaue Opferzahl konnte nie ermittelt werden. Damals wurde die Stärke 8,2 auf der Richterskala gemessen, ein heftiger Tsunami spülte ganze Dörfer weg. Das Beben vom Samstagnachmittag war nach Angaben der ecuadorianischen Regierung das stärkste seit 1979. Sein Zentrum lag nach Angaben der US-Erdbebenwarte USGS wenige Kilometer südöstlich von Muisne, einem dünn besiedelten Eiland vor der Pazifikküste. Es erschütterte vor allem die Provinz Esmeraldas im Nordwesten des Landes an der Grenze zu Kolumbien sowie die etwas südlicher gelegene Küstenregion Manabí. Auch in der Hauptstadt Quito waren schwere Erschütterungen zu spüren. In einigen Stadtteilen Quitos fiel der Strom aus. Aus Guayaquil wurden auch Tote gemeldet, die bevölkerungsreichste Stadt Ecuadors liegt Hunderte Kilometer vom Erdbebenzentrum entfernt. Am schwersten betroffen ist nach Einschätzung von Vizepräsident Glas die Provinz Manabí. Aus der Stadt Pedernales wurde vom Einsturz eines zehnstöckigen Gebäudes berichtet. Da sich das Beben nach Einbruch der Dunkelheit ereignete, ließ sich das ganze Ausmaß der Schäden erst am nächsten Morgen allmählich erahnen. Bürgermeister Gabriel Alcivar sagte einem lokalen Fernsehsender: "Das war nicht nur ein Haus, das eingestürzt ist, sondern eine komplette Stadt." Er bat dringend um internationale Nothilfe. "Wir können hier praktisch nichts tun", sagte Alcivar. Nach Augenzeugenberichten gruben viele Menschen zunächst mit bloßen Händen in den Trümmern. Pedernales ist ein bei Touristen beliebter Badeort und hat gut 40 000 Einwohner.

ring of fire

SZ-Grafik

Die intensiven Rettungsarbeiten dauerten an, teilte Jorge Glas in einer Fernsehansprache mit. Oberstes Ziel sei, möglichst viele Menschenleben zu retten. Der Zugang zu den Opfern ist vielerorts aber extrem schwierig. Nach Angaben des Vizepräsidenten sei es für die Einsatzkräfte derzeit nicht möglich, nach Pedernales zu gelangen. Wichtige Verbindungsstraßen zwischen Küste und Landesinnerem mussten wegen schwerer Schäden gesperrt werden.

In Japan waren bereits die ersten Erschütterungen vom Donnerstagabend die stärksten seit dem Megabeben vom 11. März 2011, das im Nordosten den Jahrhundert-Tsunami und die Atomkatastrophe von Fukushima ausgelöst hatte. Das eigentliche Hauptbeben aber war laut den Seismologen der meteorologischen Agentur Japans dann aber das Beben in der Nacht auf Samstag - mit einer Magnitude von 7,3. Es setzte fast zehn Mal mehr Energie frei als das vom Donnerstag und hatte sein Zentrum unter Minami-Aso. Insgesamt wurden mehr als 40 Todesopfer gezählt, Dutzende Menschen werden auch hier noch in den Trümmern vermutet. Die Rettungstrupps suchten das ganze Wochenende über nach Überlebenden. Ministerpräsident Shinzō Abe versprach, die Zahl der helfenden Soldaten auf 25 000 aufzustocken und akzeptierte ein Angebot der USA, beim Lufttransport zu helfen. Am Hang des 1592 Meter hohen Aso-Vulkans löste das Beben schwere Erdrutsche aus. Mehrere Gebäude des über tausend Jahre alten Aso-Schreins, eines bedeutsamen Wallfahrtsorts der Shinto-Religion, stürzten ein. Aus dem Krater des Aso, des größten aktiven Vulkans Japans, stiegen Asche und Rauch auf.

Japans einziges noch aktives Atomkraftwerk befindet sich ausgerechnet hier

Erdbeben ist nicht gleich Erdbeben. Jedes fühlt sich etwas anders an. Es gibt kurze, bei denen es im Boden zu knallen scheint, als fahre man mit einem ungefederten Auto viel zu schnell über eine Bordsteinkante. Bei anderen hebt sich der Boden an, fällt zurück und steigt wieder, auf und ab. Wieder andere lassen sich mit einem Schiff im Sturm vergleichen, oder sie schwingen wuchtig seitwärts, wie das jüngste japanische Beben. Kleinere Erdstöße rütteln nur wenige Sekunden, schwere dagegen scheinen, auch wenn ihr Zentrum weit weg liegt, nie mehr aufzuhören.

Im Süden von Kyushu stößt eine ganze Reihe tektonischer Platten aufeinander. Dennoch steht ausgerechnet dort in Sendai, 150 Kilometer südlich der Zentren dieser beiden Beben, Japans derzeit einziges noch aktives Atomkraftwerk. Seismologen warnen, seine Sicherheitsprüfung nach den neuen japanischen Normen sei unzureichend, das AKW sei gefährdet. Der Betreiber Kyushu Electric hingegen beeilte sich, gleich nach den Beben zu melden, die Reaktoren liefen ganz normal. Allein der Automobilkonzern Toyota setzte seine Produktion vorläufig aus. Wegen Engpässen bei der Lieferung von Einbauteilen.

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