Karneval in Brasilien:Ein Karneval, der mit Vorsicht zu genießen ist

Bei den Umzügen in Brasilien feiern die Massen ausgelassen - hinter den Kulissen protestieren Polizisten gegen die wachsende Gewalt.

Peter Burghardt

Brasilianer haben die schrägsten Ideen im Karneval, gerade in Rio de Janeiro. Immerhin schauen Zehntausende auf den Tribünen und Millionen vor den Fernsehapparaten zu, wenn nächtelang Karawanen von Tänzerinnen und rollenden Bühnen durch das 800 Meter lange Stadion Sambodromo ziehen, darunter strenge Juroren.

Karneval in Rio; dpa

Schattenseite des Samba: Das Alltagsthema Gewalt spiegelt sich immer mehr im Karneval in Rio.

(Foto: Foto: dpa)

Einmal wollte eine Sambaschule einen Jesus mit Maschinengewehr vorführen, ehe sie sich dem Einspruch der katholischen Kirche beugte. Wäre es nach dem Geschmack der Gruppe Viradouro gegangen, dann hätte das Publikum diesmal eine Darstellung des Holocaust zu Gesicht bekommen: mit Puppen aus Pappmache, die aussehen wie abgemagerte, aufeinandergestapelte Leichen und einem tanzenden Adolf Hitler. Man wolle an "ein historisches Ereignis" erinnern, "eine Warnung geben" und "Gänsehaut erzeugen", erläuterte die Gruppe. Doch das ging dann doch zu weit.

Die jüdische Gemeinde in Rio protestierte, ein Drama mit sechs Millionen ermordeten Juden sei nicht als launiges Schauspiel geeignet. Auch das Simon-Wiesenthal-Centrum war entsetzt und klagte, da werde das Gedenken an die Toten beschmutzt. Schließlich schritt die Justiz ein und verbot den Holocaust-Wagen. "Ein Ereignis solcher Größe" dürfe nicht als "Instrument der Hasskultur und des Rassismus" missbraucht werden und noch weniger für "die klare Banalisierung der barbarischen Taten der abscheulichen Figur Hitler", erklärte die Richterin Julia Kalichszteim.

Lieblingskostüm: Polizeiuniform

Die Vereinigung der Sambaschulen bezeichnete das Urteil als "Zensur", in Fernsehen und Kino würden Hitlers Grausamkeiten ja auch gezeigt. Paulo Barros vom Unternehmen Viradouro spottete, offenbar seien beim Karneval "nur nackte Hintern" gefragt. Ersatzweise werde man ein Gefährt mit dem Titel "Meinungsfreiheit" vorführen, "wartet nur ab".

Martialisch bleibt es trotzdem, dafür sorgen andere. Zu den beliebtesten Kostümen auf der Straße zählt diesmal die Polizeiuniform aus dem Film "Tropa de Elite" (Elitetruppe). Das Werk des Regisseurs José Padilha, der damit an der Berlinale teilnimmt, beschreibt die Abscheulichkeiten der Sondereinheit Bope im Kampf mit Rios Rauschgiftmafia und ist in Brasilien seit Monaten ein großer Kinoerfolg.

Die Verkleidung, wie sie im Film der Hauptmann Nascimento trägt, kostet für Kinder 50 und für Erwachsene 70 Reais (27 Euro). Sie ist weitgehend ausverkauft und passt zum Alltagsthema Gewalt. Nach einer neuen Statistik wurden im vergangenen Jahr in Rio de Janeiro 1214 Morde gezählt, 22 Prozent mehr als 2006.

Allerdings sind dabei nur jene Bezirke erfasst, deren Polizeireviere Computer besitzen; die wahre Zahl liegt mindestens ein Drittel höher. Der Schlacht um Drogen und Macht in den Armenvierteln fielen in der vergangenen Woche wieder sieben Menschen zum Opfer. Sie starben bei Schießereien mit der Polizei in den Favelas Mangueira und Jacarezinho, zwei Hochburgen der Sambaschulen.

Am Strand von Copacabana steckten Militärpolizisten am Freitag 586 schwarze Kreuze in den Sand, jedes für einen der seit 2004 im Dienst umgekommenen Kollegen. "586 Tote für weniger als 30 Reais am Tag", stand dazu auf einem Plakat - die meisten Einsatzkräfte verdienen täglich kaum zehn Euro, entsprechend wuchert die Korruption.

Kostenlose Kondome und "Pille danach"

Im Streit um die miesen Gehälter legten 47 ranghohe Beamte kurz vor Beginn des Karnevals ihre Ämter nieder, nachdem Gouverneur Sergio Cabral den Polizeichef Ubiratan de Oliveira Angelo entlassen hatte. Der hatte zuvor eine Demonstration von Offizieren für bessere Löhne unterstützt. Außerdem waren Polizisten dabei erwischt worden, wie sie einen von Drogenhändlern entführten Biertransporter ausplünderten.

In solch aufgeheizter Stimmung bat Brasiliens Präsident Luiz Inácio Lula da Silva das Volk um Vernunft, man solle "den Karneval mit viel Vorsicht genießen" und auf keinen Fall betrunken Auto fahren. Weitere Unfälle sollten mit Maßnahmen verhindert werden, die ebenfalls für Polemik sorgten. So stellte das Gesundheitsministerium fast 20 Millionen kostenlose Kondome bereit, nachdem mehrere Organisationen auf einen gefährlichen Mangel während der freizügigen Feierlichkeiten hingewiesen hatten.

In Recife im Nordosten verteilte die Stadtverwaltung die "Pille danach" und setzte sich dabei gegen den verärgerten Klerus durch. "Unmoralisch" seien diese Verhütungsmittel, "ein passives Verbrechen", schimpfte der Erzbischof von Recife und Olinda, José Cardoso Sobrinho. Frauen, die von der Gratisgabe aus dem Rathaus Gebrauch machen, drohte er mit dem Ausschluss aus der Kirche.

Anders als beim Fall Holocaust entschieden die Richter gegen die Kläger. Präservative tragen in Brasilien übrigens den schönen Namen Camisinha - Hemdchen.

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