Kantinenbetreiber Sodexo:Einmal satt für 2,10 Euro

Schulessen soll gut sein, gesund - und günstig. Viele kleinere Lieferanten scheitern an dieser Vorgabe, deshalb dominiert in Deutschland der Milliardenkonzern Sodexo den Markt. Was ist das für eine Firma, die nun im Verdacht steht, an der Epidemie an Magen-Darm-Erkrankungen schuld zu sein?

Martin Zips

"Unsere Kunden wollen ein Vier-Sterne-Menü zum Preis eines Sandwichs", umschrieb der Gründer der Catering-Firma Sodexo, Pierre Bellon, einmal sein Geschäft. Allein in Deutschland kochen mehrere Dutzend Großküchen für das Unternehmen, dessen kostengünstige Schulkantinen- und Kindergartenspeisen jetzt unter Verdacht geraten sind, für bald 9000 Fälle von Magen-Darm-Erkrankungen bei Kindern und Jugendlichen mitverantwortlich zu sein. Noroviren, giftbildende Bakterien - zahlreiche Einrichtungen haben das für die nächsten Tage vorgesehene Essen vorsichtshalber storniert.

Das Verbraucherschutzministerium in Berlin allerdings warnte vor zu frühen Schuldzuweisungen. Noch stehe nicht fest, woher genau der Erreger komme. Eltern, die den Namen Sodexo dieser Tage zum ersten Mal gehört haben, fragen sich jedoch: Wer kocht eigentlich unserem Nachwuchs das Mittagsmahl? Ein Mahl, das möglichst wie ein Vier-Sterne-Menü schmecken soll - aber nicht mehr kosten darf als ein Sandwich.

"Je me suis bien amusé!", "Ich hab mich gut amüsiert", lautet der Titel des biographischen Rückblicks des kleinen, rundlichen Sodexo-Firmengründers Pierre Bellon, 82. Ein Buchmonstrum, das den wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Aufstieg des Patriarchen und Vaters von vier Kindern minutiös nachzeichnet. Immer nur sei es ihm um Lebensqualität gegangen, erklärt der erfolgreiche Südfranzose. Und da Lebensqualität viele Gesichter habe, habe er sein Unternehmen gleich auf mehrere Beine gestellt.

Reinigung, Kinderbetreuung und andere "Wohlfühldienste"

Heute ist Sodexo nicht nur der größte Kantinenbetreiber der Welt, sondern hat sich darüber hinaus auch zu einem umfassenden Dienstleister entwickelt. Hier übernimmt man das Gebäudemanagement, kümmert sich um Reinigung, Botendienste, Kinderbetreuung, Krankenpflege, Mitarbeitermotivation, Weiterbildungsangebote und andere "Wohlfühldienste" (Firmen-PR).

In 80 Ländern arbeitet Sodexo laut eigenen Angaben mit mehr als 33.000 Betrieben. 391.000 Mitarbeiter erreichen täglich mehr als 50 Millionen Nutzer und sorgen für einen Konzernumsatz von 16 Milliarden Euro. Die von Bellon im Jahr 1966 gegründete Firma (ursprünglich Sodexho, das ist eine Abkürzung für Société d'exploitation hotelière) nimmt unter den größten Arbeitgebern weltweit Platz 22 ein. Die Familie Bellon zählt zu den reichsten Frankreichs.

Qualitätsmängel bei fast allen Schulessen

Angefangen hat alles in Marseille. Bereits Bellons Großvater handelte mit Nahrungsmitteln - sein Unternehmen versorgte Handels- und Passagierschiffe mit Ess- und Trinkbarem. Hier hätte Pierre Bellon einsteigen können, doch nach dem Militärdienst und dem Studium an der Manager-Hochschule HEC ging er lieber eigene Wege, betrieb zunächst kleinere Betriebs- und Schulrestaurants. Schon bald belieferte er ganz Frankreich mit verschiedenen Formen von "Lebensqualität", expandierte nach Afrika, in den Mittleren Osten und nach Nordamerika.

Allein in Deutschland betreuen mittlerweile 17.000 Sodexo-Mitarbeiter 870 Betriebe. Hauptsitz ist Rüsselsheim. Im Bereich Schul- und Kindertagesstätten-Catering war die Firma im Jahr 2010 mit 45 Prozent Anteil am Gesamtumsatz Marktführer - vor Dussmann (14,3 Prozent), Apetito (9,7 Prozent) und mehr als 20 anderen, kleineren Anbietern.

Ernährungsexperten sehen in dieser Konzentration auch eine Gefahr. Mehr als 90 Prozent der Schulessen weisen Qualitätsmängel auf, das ist das Ergebnis einer Analyse der Hochschule Niederrhein. Statt warmen Mahlzeiten solle künftig lieber Schockgefrorenes in die Schulen transportiert und erst dort erwärmt werden, raten sie. Das sei gesünder, hygienischer, ungefährlicher. Aber auch viel teurer. "Doch leider fördern wir in Deutschland lieber Luxusautos als das Essen unserer Kinder", sagt Ernährungswissenschaftler Volker Peinelt aus Mönchengladbach.

Wer beliefern darf, das regeln in Deutschland meist die Kommunen, ein durchschnittliches Schulessen kostet in Berlin 2,10 Euro. Da kann nicht jeder kleine Caterer mithalten. Durch den Wegfall von Steuervergünstigungen hat sich seit Jahresbeginn die Herausforderung gleichermaßen gesund wie kostengünstig zu kochen hierzulande noch einmal verschärft. Ein System, das für Störungen immer anfälliger wird.

Sodexo jedenfalls weist den Vorwurf, eine Mitschuld an den Erkrankungen zu tragen, zurück. Gleichzeitig kündigte das Unternehmen an, alle Hygienemaßnahmen abermals zu intensivieren. Jeder einzelne Türgriff werde nun noch einmal gründlich mit Desinfektionsmitteln gereinigt.

Pierre Bellon, der Firmenpatriarch, schaltet sich derweil in Frankreich immer wieder gerne in öffentliche Debatten ein, auch im hohen Alter. Eines seiner Lieblingsthemen ist die Warnung vor einem zügellosen, ausufernden Kapitalismus.

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