Kalifornien:Rettungsschwimmer mit Bierbauch gibt es nicht

Rettungsschwimmer

Rettungsschwimmer sind tatsächlich sehr durchtrainierte Menschen.

(Foto: ASSOCIATED PRESS)

Muskulöse Bademeister, braungebrannte Busenwunder: Baywatch ist eine Hommage an den kalifornischen Lebensstil. Aber sind die Kult-Serie und der neue Kinofilm realistisch?

Von Jürgen Schmieder, Los Angeles

Neulich paddelten ein paar junge Kalifornier auf überdimensionalen Surfbrettern durch den Pazifischen Ozean, irgendwann hörten sie die Stimme eines Rettungsschwimmers im Hubschrauber. Sie klang so monoton, wie Wilhelm Wieben früher die Nachrichten vorgelesen hatte: "Wir möchten Sie darauf hinweisen, dass Sie inmitten von ungefähr 15 Weißen Haien unterwegs sind. Wir möchten Sie deshalb bitten, das Wasser möglichst ruhig zu verlassen." Die Paddler verließen ruhig das Wasser.

In der Fernsehserie "Baywatch" wäre das so abgelaufen: Die Person auf dem Paddleboard wäre ein weibliches Experiment der kalifornischen Schönheitschirurgie, die Haie hungrig, das Wasser wild. Dramatische Musik. Unterwasseraufnahme vom Hai. Die Frau fällt in Zeitlupe in den Pazifik. Kreischen. Am Strand beobachtet ein männliches Produkt des 90er-Jahre-Muskelwahns die Attacke, sprintet ins Meer und schwimmt der Frau entgegen, die sich im Wasser eher rekelt denn wehrt. Auf einem Boot eilen vier blondgebleichte Busenwunder in roten Badeanzügen hinzu. Rettung. Mund-zu-Mund-Beatmung. David Hasselhoff steht plötzlich auch irgendwie daneben, zieht heroisch den Bauch ein und erlegt den Hai mit einer Harpune.

Ein Welterfolg, zu dem es jetzt den Film im Kino gibt

"Baywatch", die Serie: eine Milliarde Zuschauer jede Woche, ausgestrahlt in 144 Ländern. Ein Welterfolg, zu dem es jetzt den Film im Kino gibt. Und wieder sieht man dieses Kalifornien, das viel zu schön ist, um wahr zu sein. Oder?

Redondo Beach, ein Samstagmorgen im Mai. Ein paar Seelöwen sonnen sich auf den Steinen im Hafen, weiter hinten schwimmen drei Delfine im Ozean. Vier junge Frauen arbeiten an ihrer Körperbräune und tragen dabei so wenig Stoff am Leib, dass es selbst für "Baywatch" zu aufreizend wäre. Ein sieben Jahre alter Junge stürmt mit seinem Surfbrett ins Meer.

Keine dramatische Musik, keine Harpune, kein Hasselhoff. Nur ein lauter Pfiff.

Ein Lifeguard, so werden Rettungsschwimmer hier genannt, steigt von seinem Wachturm und beordert den Jungen aus dem Ozean, wie ein deutscher Bademeister jemanden aus dem Schwimmbecken holt, der eine unerlaubte Arschbombe hingelegt hat. Es folgt eine wissenschaftliche und auch für einen Siebenjährigen einleuchtende Erklärung, dass die Strömung an dieser Stelle ziemlich gefährlich sei und das Surfen 200 Meter weiter nördlich mehr Spaß mache. Dann steigt der Lifeguard zurück auf den Turm.

"Ich verstehe, dass eine TV-Serie dramatische Momente braucht", sagt Dawn Kelly. "Es wäre langweilig, jemanden dabei zu beobachten, wie er acht Stunden lang auf seinem Posten sitzt und dafür sorgt, dass nichts passiert."

Dawn Kelly, eine echte Rettungsschwimmerin, isst gerade ein Brot mit Bio-Eiern und Avocado-Creme und betrachtet dabei von der Terrasse des Cafés aus den Pazifik. Ihr Aussehen kann man kaum beschreiben, ohne nach "Baywatch" zu klingen: blond, athletisch, attraktiv.

Pro Jahr gibt es mehr als 10 000 Rettungseinsätze

Rettungsschwimmer, das sollte man wissen, sind aufgrund einer Zehn-Wochen-Fitnessausbildung (die schon beim Lesen für Muskelkater sorgt) und jährlichen Tests (die selbst Leute bestehen müssen, die kaum noch ins Wasser gehen) äußerst durchtrainierte Menschen. Die Sonne bleicht die Haare und bräunt die Haut, immerhin arbeitet man am Strand. "Einen Rettungsschwimmer mit Bierbauch, den gibt es nicht", sagt Kelly.

Kelly hat Drehbücher für Fernsehserien wie "Lost" und "Cold Case" geschrieben und kennt die Notwendigkeiten der Unterhaltungsindustrie. Seit zehn Jahren arbeitet sie als Rettungsschwimmerin in San Pedro, dem südlichen Teil der 115 Kilometer Küste bis hinauf nach Malibu, den die über 800 Angestellten der Lifeguard Division des Los Angeles County Fire Department verantworten. "Ein Tag ohne Rettungseinsatz ist ein guter Tag", sagt sie.

Kalifornien: Dawn Kelly hat mal Drehbücher geschrieben, dann wurde sie eine echte Rettungsschwimmerin. "Ein Tag ohne Rettungseinsatz ist ein guter Tag", sagt sie.

Dawn Kelly hat mal Drehbücher geschrieben, dann wurde sie eine echte Rettungsschwimmerin. "Ein Tag ohne Rettungseinsatz ist ein guter Tag", sagt sie.

(Foto: Privat)

Trotzdem gibt es pro Jahr mehr als 10 000 Rettungseinsätze, einige davon haben durchaus das Zeug für eine "Baywatch"-Folge. "Vor ein paar Wochen ist ein kleines Flugzeug ins Meer gestürzt", sagt die 46-Jährige: Die meisten Einsätze seien allerdings nach TV-Kriterien eher undramatisch: ein Surfer, der es nicht zurück an den Strand schafft und auf seinem Board verharrt. Ein Schwimmer, der sich überschätzt hat, aber nicht untergegangen ist. Ein Boot, dem der Sprit ausgegangen ist.

Es ist so ziemlich das Gegenprogramm zu "Baywatch", wobei die Serie ja nicht nur Seifenoper am Strand war, sondern auch eine Hommage an den kalifornischen Lebensstil und damit eine Botschaft an die Welt nach dem Kalten Krieg: Wir sind hier immer locker drauf, gut gelaunt, flirtwillig. Bereits im Vorspann sind zwölf leicht bekleidete Frauen (und vier Männer) zu sehen, bei jedem Szenenwechsel konzentriert sich die Kamera erst einmal auf einen weiblichen Hintern und dann auf die Szenerie am Strand.

Kelly nervt das Frauenbild

Doch wer am Nachmittag den Strand hinunterläuft, der sieht erst einen Rettungsschwimmer, der ein kleines Kind zu seiner Mutter bringt und dann diese legendäre rote Schwimmboje hebt - als Zeichen, dass alles in Ordnung ist. Die Kollegin weiter nördlich hebt ebenfalls die Boje, dann sieht sie mit dem Fernglas hinaus auf ein Segelboot. "Es kann sein, dass wochenlang nichts passiert", sagt Kelly: "Man muss jedoch trotzdem stets bereit sein." Es ist ein bisschen wie beim Torwart des FC Bayern, der lange nichts zu tun bekommt und dennoch stets präsent sein muss.

Kelly stören deshalb weniger die Ungenauigkeiten der "Baywatch"-Handlung. Was sie nervt, ist das Frauenbild: "Es beginnt mit der Kleidung, die völlig unpraktisch ist." Wer Leben retten will, schert sich nicht darum, ob die Pobacken dabei gut aussehen oder ob die Haare beim Laufen auch ordentlich wehen. Für die Männer gilt das übrigens auch, findet sie. "Muskeln schwimmen nicht, sie gehen unter."

Es ist nun Samstagabend an diesem Strand von Redondo Beach: Ein paar Leute wollten an einer eher gefährlichen Stelle in den Ozean, ein Kind hatte sich verirrt. Hin und wieder fliegt der Rettungshubschrauber vorbei, muss aber ebenfalls nicht eingreifen. Als der Rettungsschwimmer von einem Kollegen abgeholt wird, schleichen sich die mittlerweile doch arg gebräunten jungen Frauen an und fragen, ob sie vielleicht ein Foto mit den Jungs und diesem gelben Strand-Truck machen dürften.

"Nein, niemals", sagt der junge Mann. "So wird das Bild doch nichts. Lassen Sie mich kurz das Auto umdrehen, dann haben wir den Sonnenuntergang mit drauf." Zugegeben, es ist nicht wirklich etwas passiert an diesem Tag, aber dieses Ende könnte dann doch wieder der Anfang einer typischen "Baywatch"-Folge sein. Klick.

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