Kairo will Gebetsrufe vereinheitlichen:Misstöne vom Minarett

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Um den Lärm in der Stadt zu verringern, will Kairos Verwaltung den Ruf des Muezzins in 4700 staatlichen Moscheen vereinheitlichen.

Tomas Avenarius

"Die Rufer zum Gebet erwartet das Paradies", soll der Prophet gesagt haben und für den frommen Dienst versprach Mohammed "die Verschonung vom Höllenfeuer". Doch selbst der gottesfürchtigste Beruf unterliegt dem Wandel, der Muezzin ist davor nicht gefeit.

Die Al-Azhar-Moschee in Kairo (Foto: Foto: dpa)

So wurden früher bevorzugt Blinde als Gebetsrufer ausgewählt. Denn wenn sie hauptberuflich aufs Minarett stiegen, konnten sie von der Höhe des Turmes der Moschee aus nicht heimlich in die Innenhöfe der umliegenden Häuser sehen und so einen Blick auf die unverschleierten Frauen werfen.

Dann kamen Lautsprecher und Mikrofon: Der Muezzin, ob blind oder sehend, bleibt seitdem meist am Boden und ruft fünfmal am Tag vom Schaltpult der Moschee aus.

Jetzt soll der "Adhan", der islamische Gebetsruf, in Kairo auch noch vereinheitlicht werden: Weil die Muezzins Tausender Moscheen und Gebetshallen der ägyptischen Hauptstadt Tag für Tag vom Morgengrauen bis zur Nacht eine auch nach Ansicht vieler Gläubiger unerträgliche Kakophonie veranstalten, soll es nur noch einen Gebetsruf für alle geben: einer für alle auf dem Weg ins Paradies.

Ein Muezzinruf pro Stadtteil

In der 18-Millionen-Einwohnerstadt Kairo gibt es neben 4700 staatlichen Moscheen noch 2500 private, oft nur garagengroße Gebetshäuser in Nebenstraßen, Gassen und sogar unter Brücken.

Zwar sind die fünf täglichen Gebetszeiten festgelegt. Gleichklang allerdings entsteht schwer in einem Land, in dem Zeit ein relativer Wert ist: Phasenverschobene Disharmonie ist die logische Konsequenz.

Die Soundsysteme der einzelnen Moscheen sind zudem von so unterschiedlicher Qualität wie das Talent der einzelnen Imame: Die Verwaltung der ägyptischen Hauptstadt versucht sich daher seit mehr als zwei Jahren zusammen mit den ägyptischen Religionsbehörden daran, die fromme Kakophonie zu zügeln.

"Ein Muezzin braucht Talent, er muss den Koran bestens kennen und er muss stimmlich trainiert werden", zitierte die Agentur AFP einen Sprecher des Ministeriums für religiöse Angelegenheiten. "Nicht bei jedem Muezzin trifft das zu."

Die Lösung: Die Stimme eines einzigen Muezzins pro Stadtteil soll per elektronischem Sender und Empfänger zeitgleich an die anderen Gebetshäuser des Viertels geleitet werden.

Was nicht alle begrüßen: Es gibt religiöse Vorschriften und keiner will die Jobs Tausender Gebetsrufer gefährden. Selbst im Parlament debattierte man die Frage erhitzt und die allgegenwärtigen Islamisten sehen die Religion ohnehin bei der kleinsten Neuerung in ihren Grundfesten gefährdet.

Islamischen Gebetsruf ist hohe Kunst

Jetzt, nach mehr als zwei Jahren Vorlauf und einer immer wieder aufflammenden Debatte hat die Stadt Medienberichten zufolge aber die Sendegeräte angeschafft, mit denen zumindest die staatlichen Bethäuser ausgestattet werden sollen.

Aus Hunderten Gebetsrufern wurden bereits die 40 Besten ausgesucht: Der islamische Gebetsruf kann hohe Kunst sein. Viele Muezzins und Imame üben jahrelang dafür. Die Al-Ashar-Moschee in Kairo als Alma Mater des sunnitischen Islams bildet eigens Gebetsrufer aus, und die Muezzins mit der schönsten Stimme sind in ihrem Stadtteil berühmt.

Ob die Technik das Lärmproblem löst, ist offen. Bisher soll nur der Ruf der staatlichen Moscheen vereinheitlich werden. Die Muezzins der privaten Gebetshallen haben weiter das Recht, ihre Gläubigen nach Gusto zum Gebet zu rufen und so für den Kairo-typischen Missklang zu sorgen.

Ein Gläubiger schreibt daher in einem Weblog: "Wenn der Staat es ernst meint, die Kakophonie zu beenden, sollte er den Autofahrern lieber die 24-stündige Dauerhuperei verbieten."

© SZ vom 19. März 2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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