Justiz:Urteil unmöglich

Paradoxe Rechtslage: Ein Mörder wird überführt, kann aber nicht verurteilt werden. Wieso ist die Justiz machtlos?

Von Hans Holzhaider

Lüneburg - Als Vergewaltiger und Mörder kann Ismet H., 55, nicht mehr angeklagt und verurteilt werden. Aber dass er derjenige ist, der am 4. November 1981 in der Nähe von Celle die 17-jährige Frederike von Möhlmann vergewaltigt und ihr danach die Kehle durchgeschnitten hat, daran zweifelt heute niemand, der die Umstände des Falles kennt. Zumindest moralische Unterstützung hat der Vater des Opfers, Ernst von Möhlmann, jetzt auch von einem Gericht bekommen. "Das Gericht hat davon auszugehen, dass der Beklagte die Tochter des Klägers vergewaltigt und anschließend getötet hat", heißt es in der Entscheidung der Zweiten Zivilkammer des Landgerichts Lüneburg über eine Klage Möhlmanns auf Zahlung von Schmerzensgeld. Ismet H., so das Gericht am Dienstag, habe in dem Verfahren nicht bestritten, die Tat begangen zu haben. Hoffnung auf einen neuen Strafprozess gegen den mutmaßlichen Mörder seiner Tochter gibt es für Ernst von Möhlmann trotzdem nicht. Das Nichtbestreiten der Tat sei nicht gleichzusetzen mit einem Geständnis, stellt das Gericht fest. Ein Geständnis wäre aber die Voraussetzung dafür, dass das Verfahren gegen Ismet H. wieder aufgenommen werden kann.

Frederike von Möhlmann war vor 34 Jahren nach einer Chorprobe nicht nach Hause gekommen. Vier Tage später wurde ihre Leiche mit durchschnittener Kehle in einem Waldstück gefunden. Reifenspuren am Tatort und Faserspuren an der Unterwäsche des Mädchens lenkten den Verdacht auf den damals 22-jährigen Ismet H. Das Landgericht Lüneburg verurteilte ihn zu lebenslanger Haft. Das Urteil wurde jedoch vom Bundesgerichtshof aufgehoben, und das Landgericht Stade sprach Ismet H. aus Mangel an Beweisen frei. Erst im Dezember 2012 gelang es mit der mittlerweile verfeinerten Technik der Genanalyse, Ismet H. doch als mutmaßlichen Täter zu überführen. Spuren im Slip des getöteten Mädchens stammen mit Sicherheit von dem 1983 freigesprochenen Mann. Aber die Justizbehörden sind machtlos.

Verfeinerte Gen-Analysen haben den Täter doch noch überführt

Neue Beweismittel, und seien sie noch so überzeugend, reichen nach der Strafprozessordnung nicht aus, um ein Verfahren zu Ungunsten des Freigesprochenen wieder aufzunehmen. Zu einem Geständnis ist Ismet H., inzwischen verheiratet und Familienvater, nicht bereit.

Um wenigstens symbolisch noch Genugtuung für den Tod seiner Tochter zu erhalten, verklagte Ernst von Möhlmann Ismet H. nun auf die Zahlung von Schadensersatz. Die Aussicht auf Erfolg war von vornherein gering. Denn obwohl es für Mord keine Verjährungsfrist gilt, verjähren die Ansprüche auf Schadensersatz spätestens nach 30 Jahren. Diese Frist aber war schon abgelaufen, als Ernst von Möhlmann die neuen Beweismittel gegen Ismet H. in die Hand bekam. Seinem Argument, dass er ja gar keine Chance gehabt habe, vor Ablauf der Verjährungsfrist gegen Ismet H. vorzugehen, folgte das Gericht nicht. Am 9. September wurde Möhlmanns Klage abgewiesen.

Dass Ismet H. nun in den schriftlichen Entscheidungsgründen zumindest indirekt als Täter bezeichnet wird, ist einer Besonderheit der Zivilprozessordnung zu verdanken. "Tatsachen, die nicht ausdrücklich bestritten werden, sind als zugestanden anzusehen", heißt es dort. Der Grundsatz "Im Zweifel für den Angeklagten" sei nicht auf den Zivilprozess übertragbar, stellen die Lüneburger Richter fest.

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