Justiz:Der Horror von Höxter

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"Die ersten zwei Tage war er wirklich lieb und nett." Angelika W. vor dem Paderborner Landgericht. (Foto: Bernd Thissen/dpa)

"Da musste ich mal wieder bestraft werden": Vor dem Landgericht Paderborn schildert Angelika W. das Leben mit ihrem Ehemann Wilfried - und gibt so Einblicke in das Haus, in dem zwei Frauen zu Tode gequält wurden.

Von Hans Holzhaider, Paderborn

Zweieinhalb Stunden redet Angelika W. nun schon, nur einmal unterbrochen von einer Verhandlungspause, und je länger sie spricht, desto schwerer fällt es nachzuvollziehen, was mit dieser Frau geschehen ist. Angelika W. und ihr Ex-Ehemann Wilfried W. sind angeklagt, in ihrem Haus in Höxter zwei Frauen zu Tode gequält zu haben. Am zweiten Prozesstag vor dem Landgericht Paderborn geht es aber zunächst um das, was die Angeklagte Angelika W. selbst zu erdulden hatte.

17 Jahre lang hat sie mit Wilfried W. zusammengelebt, und schon in der ersten Woche ihrer Bekanntschaft hat er begonnen, sie aus nichtigen Anlässen zu misshandeln. Im Lauf der Jahre steigerte sich das zu wahren Gewaltorgien, gemildert nur dann, wenn es wieder einmal gelungen war, eine andere Frau anzulocken, an der Wilfried W. seine sadistischen Neigungen abreagieren konnte. Und nie in dieser ganzen Zeit hat Angelika W. es ernsthaft erwogen, diesen Mann zu verlassen. Noch heute im Gerichtssaal sagt sie, nachdem sie von einem besonders brutalen Gewaltexzess berichtet hat: "Ich zeige den Wilfried aber deswegen nicht an. Ich will nicht, dass er deswegen in den Knast muss."

Angelika W. ist keineswegs eine dumme Person. Sie hat einen IQ von 120, das ist deutlich über dem Durchschnitt der Gesamtbevölkerung. Sie ist auf einem Bauernhof in Ostwestfalen aufgewachsen, musste von klein auf im Stall helfen, aber sie hat gute Erinnerungen an ihre Kindheit: "Ich bin nie bestraft, geschlagen, oder auch nur beschimpft worden." Es gab viele Tiere auf dem Hof - Kühe, Schweine, Hühner, Kaninchen; besonders liebte sie die Katzen. Natürlich wurden auch Tiere getötet, das ist normal auf dem Bauernhof, da war sie nicht sentimental.

Ihren Mann lernte sie über eine Anzeige im Wochenblatt kennen

Sie ging auf die Realschule, machte einen guten Abschluss, und danach eine Lehre in einer Gärtnerei. "Mit Studieren hatte ich nichts im Sinn", sagt sie, "ich wollte was mit meinen Händen schaffen." Sie verdiente ihr eigenes Geld, der Gärtnermeister wollte ihr sogar seinen Betrieb verpachten, als er sich zur Ruhe setzen wollte, "aber das habe ich mich nicht getraut".

Mit Männern lief lange Zeit gar nichts. "Über Heiraten hab ich mir nie einen Kopf gemacht", sagt sie. Nur einmal hatte sie ein Verhältnis mit einem Iraner, der in der Gärtnerei aushalf, da war sie aber schon 25 oder 26. Der Mann war verheiratet, sie hatte kein Interesse, seine Ehe kaputt zu machen. Mehr auf Drängen der Mutter als aus eigenem Antrieb antwortete sie immer mal wieder auf Chiffre-Anzeigen im Landwirtschaftlichen Wochenblatt, "aber das war nie das Wahre".

Bis sie Wilfried traf, auch er ein Inserent des Wochenblatts. Sie weiß noch das Datum, es war der 17. Januar 1999, ein Samstag, "und die ersten zwei Tage war er wirklich lieb und nett". Sie war sofort verliebt. Händchen haltend gingen sie durch Detmold. Aber schon am Montag fand er, sie habe zu heiße Hände. Er hatte einen Job bei der Bahn; er musste von Bahnhof zu Bahnhof fahren, Fußböden wischen, Fenster putzen und solche Sachen. Er bestimmte, sie müsse mitfahren und ihm helfen. Die Stelle in der Gärtnerei musste sie kündigen. In irgendeiner schäbigen Putzkammer kam es zum ersten Sex. Als er merkte, dass sie keine Jungfrau mehr war, schwindelte sie ihm vor, der Iraner habe sie vergewaltigt. "Der Wilfried schätzt die ausländischen Mitbürger nicht so", sagt sie.

Der Vorsitzende Richter Bernd Emminghaus geht etwas sprunghaft vor bei seiner Befragung, er kommt jetzt gleich mal auf die Sache mit dem verbrühten Arm, die sich erst 2011 zugetragen hat. Angelika W. weiß auch hier das genaue Datum: Es war der 16. März. "Am Tag vorher", berichtet sie, "musste ich wieder mal bestraft werden, weil ich nicht pariert hatte, und da musste ich zur Badewanne im Keller gehen und er hat mir den Duschkopf auf Mund und Nase gedrückt, sodass ich dachte, ich ertrinke. Aber da war das Wasser kalt." Die Heizung im Hause W. wurde immer nur stundenweise angestellt. Am nächsten Tag sollte Angelika W. schon wieder bestraft werden, da war das Wasser brühend heiß. "Er hat mir den Duschkopf auf die Schulter gedrückt, es lief über den ganzen Arm. Ich habe die Zähne zusammengebissen, weil ich dachte, wenn ich schreie, kriege ich das Wasser ins Gesicht, und dann bin ich tot." Der linke Arm wurde vollständig verbrüht, es entstand eine großflächige Wunde, die über Monate hinweg nicht abheilte, nicht zuletzt, weil Wilfried sie immer wieder auf den kaputten Arm schlug, "mit dem Staubsaugerrohr, mit dem Besenstiel, mit allem, was ihm in die Hände kam". Aber Angelika W. ging nicht zum Arzt, "denn dann hätten sie mich wochenlang im Krankenhaus behalten, und der Wilfried hätte Auto fahren müssen, ohne Führerschein, und dann hätten sie ihn vielleicht erwischt, und das wollte ich nicht".

"Das kann ich jetzt aber wirklich nicht nachvollziehen", sagt Richter Emminghaus. "Ich kann nur sagen, dass ich damals so war", antwortet Angelika W. "Sie sollen ja bei der Polizei gesagt haben, sie würden ihn immer noch gern in den Arm nehmen", sagt der Richter. "Heute nicht mehr", sagt die Angeklagte.

© SZ vom 17.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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