Jugendliche und Komasaufen:Deutschland, ein Trinkervolk?

Aktionswoche gegen Komasaufen: Der Suchtforscher Professor Falk Kiefer sieht die Ursache von Alkoholexzessen Jugendlicher auch im gesellschaftlichen Umgang mit Alkohol.

J. Osel

Es ist nicht nur die Geschichte des 16-jährigen Lukas, der sich in einer Berliner Kneipe mit Schnaps ins Koma getrunken hat und nie wieder aufgewacht ist. Derzeit häufen sich die Meldungen von Jugendlichen Komatrinkern, die mit Alkoholvergiftungen ins Krankenhaus gebracht werden müssen. "Alkohol? Kenn dein Limit" heißt eine neue Kampagne der Bundesdrogenbeauftragten Sabine Bätzing, die dem zunehmenden Alkoholkonsum Jugendlicher einen Riegel vorschieben soll. Professor Falk Kiefer ist Suchtforscher an der Universität Heidelberg und stellvertretender Leiter einer Suchtklinik in Mannheim. Das Komasaufen, sagt er, sei auch ein Auswuchs des gesellschaftlichen Umgangs mit Alkohol.

Jugendliche und Komasaufen: Verführung am Schnapsregal: Die Zahl von Jugendlichen mit Alkoholvergiftungen erklimmt aktuell neue Rekordmarken.

Verführung am Schnapsregal: Die Zahl von Jugendlichen mit Alkoholvergiftungen erklimmt aktuell neue Rekordmarken.

(Foto: Foto: AP)

sueddeutsche.de: Noch nie wurden so viele Jugendliche mit Alkoholvergiftungen ins Krankenhaus eingeliefert wie aktuell. Woher kommt dieser Anstieg?

Falk Kiefer: Einfache Lösungen gibt es hier nicht. Es sind hauptsächlich zwei Gründe dafür verantwortlich, dass sich Komasaufen zu einem Jugendtrend entwickelt hat. Einerseits die zunehmenden Möglichkeiten, das Freizeitverhalten mit exzessivem Alkoholkonsum zu verbinden, auch preislich gesehen. Andererseits die fehlenden Gründe, nicht zu trinken. Wenn zum Beispiel Jugendliche keine negativen Konsequenzen erfahren, wenn sie betrunken sind. Oder wenn ihnen zum Beispiel Schule oder Berufsausbildung keine Motivation sind, einen klaren Kopf zu behalten.

sueddeutsche.de: Ist Komasaufen also ein Problem der Unterschicht?

Kiefer: Grundsätzlich betrifft es alle. Doch je mehr Jugendliche in gesellschaftliche Strukturen eingebunden sind oder zum Beispiel Hobbys wie Sport haben, die nicht mit dem Trinken kompatibel sind, desto geringer ist die Gefahr, dass sie zu Komatrinkern werden. Und es muss natürlich auch ein soziales Umfeld vorhanden sein, in dem man trinken kann, ohne negativ aufzufallen.

sueddeutsche.de: In der Kritik steht immer wieder die Alkoholwerbung. Wie groß ist ihr Einfluss tatsächlich? Fängt ein Jugendlicher mit dem Trinken an, weil leichtbekleidete Damen biertrinkend über den Strand hopsen?

Kiefer: Dazu wird Alkoholwerbung gemacht, sie hat schließlich den Zweck, den Alkoholkonsum zu steigern. Die Vorstellung, dass die Werbung keinen Einfluss auf das Trinkverhalten hat, halte ich für absurd. Aber sie trägt nicht alleine Schuld am steigenden Konsum von Jugendlichen, sondern ist nur ein Baustein von vielen.

sueddeutsche.de: Ein Aufschrei gegen Einschränkungen von Alkoholwerbung kommt vor allem aus der Lobby der Brauereien. Geht es denn überhaupt ums Bier? Von Bier alleine dürfte sich wohl noch niemand ins Koma gesoffen haben.

Kiefer: Es geht beim Komasaufen größtenteils um höherprozentige Alkoholika. Aber Bier senkt die Schwelle bei Jugendlichen, überhaupt Alkohol zu trinken. Denken Sie an die Bierwerbung, bei der suggeriert wird, dass Trinken zum gesellschaftlichen Alltag dazugehört.

sueddeutsche.de: Also ist auch das Trinkverhalten einer Gesellschaft mit ein Grund für die vielen jugendlichen Komatrinker?

Kiefer: Alkohol verführt wie alle anderen Drogen grundsätzlich dazu, den Konsum immer weiter zu steigern. Man braucht Gründe, um nicht zu trinken. Dabei spielt das persönliche Umfeld eine große Rolle, Familie und Schule, zum Beispiel, aber auch gesellschaftliche Normen und Sanktionierungen. Bei uns mischen sich zwei Trinkstile: der südeuropäische und der skandinavische. In Südeuropa ist es zum Beispiel tradierte Norm, regelmäßig kleine Mengen zu trinken, ein Betrunkener auf der Straße wird dort hingegen schnell zum Außenseiter. In Skandinavien ist es eher akzeptiert, auch einmal über den Durst zu trinken, während regelmäßiger Konsum eher verpönt ist. In Deutschland wird meist beides akzeptiert. Deshalb fällt es hierzulande vielen Menschen schwerer, Normen zu definieren, bis zu welchem Grad Alkoholkonsum in Ordnung ist.

sueddeutsche.de: Denken Sie denn, dass Kampagnen wie die aktuelle der Bundesdrogenbeauftragten wirkungsvoll sind? Zumal die Lobby der Alkoholindustrie offenbar Einfluss in Berlin hat.

Kiefer: Ich glaube schon, dass sich die Politik darum kümmern muss. Es geht um den Schutz von Kindern und Jugendlichen, auch um finanzielle Konsequenzen für die Volkswirtschaft. Natürlich werden Kompromisse mit den verschiedenen Beteiligten geschlossen. Doch das Kernanliegen ist es, ein Bewusstsein für das Problem zu schaffen und zur These "Ohne Alkohol gehörst du nicht dazu" ein Gegengewicht zu entwickeln. Und da kann so eine Kampagne sehr hilfreich sein.

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