Jugendhilfe in Bremen:Kevins Erbe

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Hätte es diese Regelung schon früher gegeben, könnte Kevin noch leben: In Bremen werden Kinder abhängiger Eltern auf Drogenrückstände getestet. Das Vorgehen wird politisch heftig diskutiert, war aber bereits erfolgreich.

Ralf Wiegand

Angenommen, es hätte 2006 die Regelungen schon gegeben, die jetzt im kleinen Bremen zum großen Wahlkampfthema werden könnten: Die Chance, dass Kevin K. noch leben würde, wäre groß. Der Junge war im Alter von zwei Jahren von seinem Ziehvater zu Tode gequält worden, von einem Mann, der schwer drogenabhängig war.

Hätte es diese Maßnahme 2006 schon gegeben, könnte Kevin vielleicht noch leben. Der Zweijährige war von seinem drogenabhängigen Ziehvater zu Toder gequält worden. (Foto: ddp)

In den Haaren der Kinderleiche fanden die Gerichtsmediziner allerlei Substanzen, etwa Kokain und Methadon. Ob die Drogen dem Jungen, dessen Schicksal als "Fall Kevin" bundesweit Bekanntheit erlangt hat, verabreicht wurden oder ob sie zum Beispiel über Hautkontakt in den Körper gelangt sind, konnten die Mediziner nicht mehr klären. Fest steht nur: Dass Kevin mit Drogen in Berührung gekommen war, wie auch immer, ist damals nicht kontrolliert worden.

Heute könnten Kevins Haare bei entsprechender Verdachtslage schon zu Lebzeiten untersucht werden - und nicht erst auf dem Seziertisch. Ob das nun gut ist oder längst nicht gut genug, darüber streiten CDU und SPD in Bremen, wo im nächsten Frühjahr gewählt wird. Die Opposition jedenfalls rief "Skandal", als sie erfuhr, dass im Sommer mindestens fünf Bremer Kinder im Alter von drei bis elf Jahren, die ihren drogenabhängigen Eltern weggenommen wurden, per Haaranalyse festgestellte Rückstände von Heroin oder der Ersatzdroge Methadon aufwiesen.

Der Verdacht besteht, dass die Eltern ihre Kinder mit Drogen ruhiggestellt haben. Die Kinder hätten niemals in diesen Familien sein dürfen, sagt nun die CDU-Gesundheitspolitikerin Rita Mohr-Lüllmann und fordert, Kinder nicht im Drogenmilieu zu belassen - was bedeuten würde, allen süchtigen Eltern ihre Kinder wegzunehmen.

Attestpflicht für Eltern

"Damit würden wir das Wohl vieler Kinder gefährden, die in ihren Familien gut aufgehoben sind", entgegnet Sozialsenatorin Ingelore Rosenkötter (SPD). Sie kam direkt nach Kevins Tod ins Amt, weil die Vorgängerin Karin Röpke angesichts der Fehler beim Schutz von Kevin - in ihrem Zuständigkeitsbereich also - zurücktreten musste. Rosenkötter hält die entdeckten Fälle für einen Beleg für das funktionierende Sicherheitsnetz in der Hansestadt, das auch auf den Erfahrungen im Fall Kevin beruht. "Alles hat in Bremen mit Kevin zu tun", sagt die Sprecherin der Behörde, Petra Kodré.

Die Sozialbehörden der Hansestadt handeln seit 2009 nach der "fachlichen Weisung zum Umgang mit substituierten Eltern", wenn sie es mit Familien mit Drogengeschichte zu tun haben. Das funktioniert so: Diese Eltern verpflichten sich gegenüber den Behörden, eine Therapie zu beginnen und werden außerdem auf Ersatzdrogen eingestellt, etwa Methadon. Per Attest müssen die Eltern nachweisen, dass sie keine anderen Drogen nehmen. Wird derlei doch festgestellt, beantragen die Sozialbehörden beim Familiengericht, dass die Kinder bei Pflegeeltern oder im Heim untergebracht werden. Die Haaranalysen bei den Kindern werden bei Verdacht zusätzlich angeordnet. Fallen sie positiv aus wie in den fünf Fällen dieses Sommers, schwinden die Chancen der Eltern, ihre Kinder je wieder zurück zu bekommen. Von den fünf positiv getesteten Kindern soll keines abhängig geworden sein.

© SZ vom 15.10.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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