Johannes Heesters:Ein Charmeur und sein Jahrhundert

Jopie, wie er unter Freunden heißt, ist der lebende Beweis dafür, dass man in Schönheit altern kann, ohne auf Genuss zu verzichten.

Von Christine Dössel

München, 3. Dezember - Wenn an diesem Donnerstagabend im Ersten die große Fernsehgala zu Jopies 100. Geburtstag ausgestrahlt wird - "Johannes Heesters, eine Legende wird 100" -, könnte sich der Jubilar zum ersten Mal seit Wochen gemütlich in einem Sessel zurücklehnen und bei einer Tasse Lindenblütentee die vielleicht schönste Segnung des Alters genießen: endlich Ruhe, endlich keinen Stress mehr. Er könnte sich aus wohltuender Distanz noch einmal all die Gäste und Kollegen ansehen, die ihm bei diesem persönlichen Erntedankfest ihre Aufwartung machten, alte Weggefährten und Freunde wie Anneliese Rothenberger, Nadja Tiller, die Kessler-Zwillinge, Otto Schenk und Thomas Fritsch, starke Bewunderer wie Henry Maske, mit dem er das Herz eines Boxers teilt, junge Verehrerinnen wie Cosma Shiva Hagen und Yvonne Catterfeld. Und er dürfte sich dabei ruhig selber ein wenig auf die Schulter klopfen, weil er an diesem Abend manch Jüngeren ganz schön alt aussehen lässt.

Natürlich hätte das Ganze auch peinlich werden können, eine nostalgische Gruftie-Show. Und es war rührend, zu sehen, wie sich vor elf Tagen, als diese Geburtstagsgala aufgezeichnet wurde, alte Damen am Eingang zum Fernsehstudio wie junge Groupies drängelten. Aber gerade weil im Fernsehen das Peinliche regiert, hat dieser Abend ein ganz besonderes Odeur. Ein Hauch von großer Operette liegt in der Luft, der Glanz vergangener Zeiten, und es wird noch einmal zelebriert, was im Zeitalter der Seifenopern verloren gegangen ist: die guten Manieren, die Grandezza, die professionelle Eleganz. Für all das steht Johannes Heesters, Jopie, der König der leichten Muse und Kaiser der Operette, der ewige Sonnyboy im Frack, den man einen Superstar nennen müsste, wenn das Wort nicht so heruntergekommen wäre. Nennen wir ihn also eine Legende, ein Jahrhundertereignis. Oder einfach nur einen Gentleman und Grandseigneur.

"Lieber einen Kuss"

Sein viel gerühmter Charme hat den holländischen Herzensbrecher noch immer nicht verlassen, mag er inzwischen auch kaum mehr was sehen und ein bisschen wacklig auf den Beinen sein. Als die Moderatorin Désirée Nosbusch ankündigt, es werde einen Haufen Geschenke für ihn geben, sagt Jopie keck: "Das schönste Päckchen, das sind Sie!" Und auf Anneliese Rothenbergers Ausbruch "Ich kniee vor dir!" reagiert er trocken: "Gib mir lieber einen Kuss!" Das ist er, der Gigolo der alten Schule. Frauenheld, Kavalier und Schelm. Wenn er dann, mit nicht mehr ganz so sicherer, aber immer noch kräftiger Stimme die Reize der polnischen Frau oder sein eigenes Alter besingt ("Ich bin gottseidank nicht mehr jung"), ist es, als habe jemand einen Knopf gedrückt - und Jopie funktioniert: steht aufrecht da wie ein Zinnsoldat und schmettert, Brust raus, Augen geradeaus, ergeben seine Weisen. Nix Playback. Jopie unplugged. Höchstens ist er Duracell-betrieben: läuft und läuft und läuft.

Heesters-Festspiele ohne Ende

Das alles könnte sich Johannes Heesters an diesem Donnerstag, dem Vorabend seines 100. Geburtstags, in aller Ruhe noch einmal zu Gemüte führen: die Glückwünsche, die Würdigungen, die Standing Ovations. Wo er doch nach einem Marathon an Vorabfeierlichkeiten endlich mal wieder daheim ist, in seinem Landhaus in Söcking, am Starnberger See. Dort aber wird es an diesem Abend alles andere als ruhig zugehen: Heesters, gerade zurück von einer Ehrengala im Konzerthaus Wien, feiert mit seiner Familie und hundert privaten Gästen in seinen Geburtstag hinein. Die Urenkel haben dafür extra schulfrei bekommen. Am Samstag dann ein "Wetten dass"-Auftritt bei Thomas Gottschalk, eine Woche später eine Matinee im Münchner Gärtnerplatztheater - die Heesters-Festspiele haben noch lange kein Ende.

Es gab vielleicht mal eine Zeit, wo man geneigt war, den Operettenstar Johannes Heesters als ein Fossil anzusehen, als den letzten Dinosaurier einer Welt, die längst untergegangen ist: die Welt der Grafen und Galane, der rauschenden Walzer und des Pomps, des Flitterflatters und des schönen Scheins. Und man fragte sich manchmal, warum dieser Mann denn um Himmels willen nicht loslassen kann. Aber auch aus diesem Alter ist Johannes Heesters raus. In einer Gesellschaft, in der die Senioren zahlenmäßig immer mehr die Führung übernehmen und es weniger um die Frage geht, wie alt wir werden als wie wir alt werden, mit welcher Vitalität und Würde, ist Johannes Heesters nicht nur ein Faszinosum und gerontologisches Phänomen. Er hat für alle Uhus (Unterhundertjährigen) geradezu eine Vorbildfunktion, ist der lebende Beweis dafür, dass man saft- und kraftvoll altern kann, in Schönheit sogar, und dass man dafür nicht einmal auf Genuss verzichten muss. Jopie war nie ein Kostverächter, auf keinem Gebiet. Noch heute genehmigt er sich einen Wiskey und zwei Zigaretten täglich. Und das sind nur seine offiziellen Angaben.

Ein Leben ohne Comebacks

Ein Comeback musste der Holländer Johannes Heesters nie feiern, weil er seit seinem 17. Lebensjahr ununterbrochen im Berufsleben steht. Er ist der älteste aktive Schauspieler der Welt, bekam dafür sogar einen Eintrag im Guiness-Buch der Rekorde. Rekordverdächtig ist auch die Zahl seiner Auftritte. Mehr als 9000 Mal stand er auf der Bühne, darunter 1600 Mal in seiner Paraderolle als Graf Danilo in Lehárs "Die lustige Witwe": der Bonvivant im maßgeschneiderten Frack, den Zylinder lässig auf dem Kopf, sich grazil einen weißen Schal um die Schulter werfend, wenn er singt: "Heut' geh ich ins Maxim". 750 Mal spielte er von Mitte der Siebzigerjahre die andere große Lebemannrolle seiner Karriere: den Honoré Lachailles in Frederick Loewes Erfolgsmusical "Gigi".

Sein Geheimnis: Berufsjugendlichkeit

Heesters, das ist nur ein Geheimnis seines Erfolgs, hat stets nach vorne geblickt, nie den alten Zeiten nachgetrauert. Stummfilm, Ufa, Fernsehzeitalter - er hat alle Entwicklungen mitgemacht, sich immer auf das Neue eingestellt. Als die gute alte Operette allmählich ausstarb, widmete er sich dem Musical, und als auch das nicht mehr seine Heimat war, erprobte er sich als Charakterdarsteller im Theater: Im zarten Alter von 86 Jahren spielte er den greisen "Casanova auf Schloss Dux" und betätigte sich in jener Zeit - seine Frau Wiesje war 1985 gestorben - auch wieder privat als Casanova, indem er die Schauspielerin Simone Rethel eroberte.

Oder sie ihn? Immerhin hat sie schon seit dem elften Lebensjahr für den 46 Jahre älteren Beau geschwärmt: "Andere Mädchen standen auf die Beatles, ich himmelte Jopie Heesters an." Wenn man die beiden miteinander erlebt, meint man, das tut sie immer noch. Richtig bewundernd blickt sie zu ihm auf, ist aber auch resolute Anpackerin. Seit 1992 sind sie ein Ehepaar. Wenn sie nebeneinander sitzen, berühren sie sich an den Händen. Es scheint die große Liebe zu sein. Alte Männer blühen an der Seite einer jungen Frau noch mal auf. Ein Klischee. Und ein weiteres Geheimnis von Heesters Berufsjugendlichkeit.

Mit 14 stand Simone Rethel am Bühneneingang des Gärtnerplatztheaters, um ein Autogramm von ihrem Schwarm zu ergattern - jetzt spielt sie selbst an seiner Seite. Bis vor wenigen Wochen noch standen sie gemeinsam in der Stuttgarter Komödie am Marquart auf der Bühne, drei Monate lang en suite, in 46 ausverkauften Vorstellungen. "Heesters - Eine musikalische Hommage" hieß das Stück: eine Revue seines Lebens, das sich liest wie ein glitzernder Traum aus einer Märchenwelt.

Über Irrwege zum idealen Lebenspfad

Es war nicht immer eine Märchenwelt, besonders nicht zu einer bestimmten Zeit seines Lebens, und dass er mehr als 30 Jahre seine Heimat in den Niederlanden nicht besucht hat, ist nur eines der Indizien. Immerhin: Als Sohn eines Kaufmanns hat es Johannes Marius Nicolaas Heesters noch ganz gut angetroffen, als er am 5. Dezember 1903 in Amersfoort geboren wurde. Ein paar Irrwege ist er dann schon gegangen, bevor er den idealen Lebenspfad entdeckte: Er wollte Priester werden, was scheiterte, er versuchte sich als Bankkaufmann, was auch eher erfolglos blieb, und erst als er mit einer soliden Schauspiel- und Gesangsausbildung in Amsterdam begann, zeichnete sich der Weg ab, der ihn unsterblich machte.

Johannes Heesters war bereits ein Popstar, noch lange bevor es diese gab. Schon in den Zwanzigerjahren lauerten dem blendend aussehenden Holländer Scharen von Frauen am Bühnenausgang auf, um wenigstens einen Blick auf ihn zu erhaschen. Seine Frau Wiesje, eine Operettensängerin, die für ihn und die Familie den Beruf aufgab, wird kein leichtes Schicksal gehabt haben, bei all den Verehrerinnen um ihn herum.

Seine Fans kann man sich nicht aussuchen

Mit der Operette "Der Bettelstudent", 1934 an der Wiener Volksoper und 1936 als opulenter Ufa-Film mit Marika Rökk, spielte sich Heesters auch in die Herzen des deutschsprachigen Publikums. Und als Graf Danilo in der "Lustigen Witwe" avancierte er 1938 am Münchner Gärtnerplatztheater zum Lieblingsschauspieler Adolf Hitlers. Man kann sich seine Bewunderer eben nicht aussuchen. Heesters wurde einer der fleißigsten Stars in den deutschen Ablenkungsfilmen der Kriegsjahre. Die Nazis haben es ihm gedankt. Seine holländischen Landsleute aber haben es ihm zutiefst verübelt, obwohl er immer wieder darauf hingewiesen hat, ein distanziertes Verhältnis zum Nationalsozialismus gehabt zu haben.

Zwei Tage vor der Aufzeichnung der großen Fernsehgala erscheint Jopie bei einer Pressekonferenz und plaudert aus seinem Leben: aufgeräumt, witzig, ein Mann von unerschütterlicher Lebenslust. Jemand will wissen, ob er jetzt, nach dem Hundersten, in den Ruhestand geht. Da beugt sich Jopie vor, tut, als höre er schlecht, und sagt: "Ich verstehe Sie nicht."

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