Reaktoren in Risikogebieten:Die gefährlichsten AKW-Standorte der Welt

Viele der weltweit 442 Atommeiler stehen mitten im Erdbebengebiet - etwa in Taiwan und Iran. Allein in Kalifornien leben mehr als sieben Millionen Menschen in der Umgebung eines gefährdeten Meilers.

Lena Jakat

Die japanischen Inseln liegen an einer seismisch hochbrisanten Stelle auf der Erdkugel: Hier treffen gleich vier Platten aufeinander: Die Nordamerikanische, die Philippinische, die Pazifische und die Eurasische. Trotz des hohen Erdbebenrisikos verfügte Japan bis zur Katastrophe von Fukushima über 17 aktive Atomkraftwerke mit 54 Reaktorblöcken - die meisten allerdings stehen in den Vereinigten Staaten. Und das nächste AKW wird dort bereits gebaut. Die Internationale Atomenergiebehörde zählt aktuell 436 aktive Nuklearanlagen zur Stromerzeugung weltweit. Viele von ihnen sind in stark erdbebengefährdeten Regionen zu finden. Das gilt nicht nur für Japan, sondern auch für Taiwan, Iran oder Kalifornien. Ein Überblick.

Kernkraftwerke Erdbeben

Klicken Sie in das Bild, um die ganze Weltkarte zu sehen. (Stand: März 2011)

(Foto: SZ-Graphik)

USA

Die Vereinigten Staaten verfügen mit 104 Meilern über die meisten Kernreaktoren weltweit. Alle Anlagen wurden Anfang der achtziger Jahre in Betrieb genommen. Seit dem Unfall im Atomkraftwerk "Three Mile Island" in Pennsylvania 1979 wurde kein Neubau begonnen - bis jetzt. Der Atomstrom aus 65 Kraftwerken deckt etwa ein Fünftel des gesamten Elektrizitätsverbrauchs der Wirtschaftsmacht - und seine Produktion soll weiter ausgebaut werden: 2010 kündigte Präsident Barack Obama Milliardenkredite für den Bau neuer Anlagen an.

Mit diesen Mitteln entsteht im Bundesstaat Georgia derzeit ein Atomkraftwerk mit zwei neuen Reaktoren. Erst vor wenigen Wochen besuchte US-Energieminister Steven Chu die Baustelle.

Doch die Krise in Japan hat die Debatte über die Nutzung der Kernenergie in den USA neu entfacht und Sorgen um die Sicherheit der Anlagen bei schweren Erdbeben ausgelöst.

Ins Zentrum der Debatte rückten nach der Katastrophe auf der anderen Seite des Pazifik zwei Atomkraftwerke, die an der von Erdbeben bedrohten Küste Kaliforniens liegen. Die zwei Meiler des Diablo-Canyon-Kraftwerks stehen zwischen den Metropolen Los Angeles und San Francisco, die beiden Reaktoren von San Onofre am südlichsten Küstenabschnitt Kaliforniens. In der Gegend rund um den Reaktor von San Onofre leben 7,4 Millionen Menschen.

Nach dem Super-GAU in Japan untersuchte die Atombehörde NRC alle Meiler der Vereinigten Staaten. Für das Diablo-Canyon-Kraftwerk lautete der Befund: "Die Vorkehrungsmaßnahmen entsprachen einem hohen Standard, die Anlage ist hinsichtlich Ausrüstung und Abläufen gut in der Lage, auf schwere Vorfälle zu reagieren.

Mexiko

Das amerikanische Erdbebengebiet erstreckt sich entlang tektonischer Plattengrenzen über die gesamte Westküste des Doppelkontinentes - von Chile und Peru über die Staaten Mittelamerikas bis nach Kalifornien und Alaska.

Seine beiden Reaktoren befinden sich in Veracruz, an der Ostküste des Landes, während im Westen Nordamerikanische und Cocosplatte aufeinandertreffen. 1989 und 1994 fertiggestellt, produziert die Anlage 5596 Gigawattstunden Strom und damit nur einen Bruchteil des nationalen Energiebedarfs.

Indien

20 aktive Atomreaktoren stehen in Indien, das damit hinter den USA, Frankreich, Russland, Japan und Südkorea weltweit Platz sechs belegt. Die Meiler erzeugen aber nur einen geringen Anteil der gesamten indischen Stromproduktion.

Die sechs Kraftwerke mit laufendem Betrieb sind über den Subkontinent verstreut und liegen außerhalb der extrem erdbebengefährdeten Regionen des Himalaya-Gebirges. An den bereits bestehenden Standorten und einem zusätzlichen werden derzeit sieben weitere Reaktoren gebaut. Der älteste Meiler Indiens steht im Bundesstaat Maharashtra nördlich von Mumbay; er ist seit dem 1. April 1969 in Betrieb.

Pakistan

Das pakistanische Nuklearprogramm ist vor allem auf militärische Zwecke ausgerichtet. Das Land verfügt aber auch über zwei zivile Atomkraftwerke. Eines davon steht bei Karatschi in der Provinz Sindh, eines im pakistanischen Teil des Punjab.

Hauptstadt dieser Provinz ist Lahore, die zweitgrößte Stadt des Landes. Der Ballungsraum, in dem knapp zehn Millionen Menschen leben, liegt in einem Gebiet mit mäßigem bis hohem Erdbebenrisiko. Dort ging im vergangenen Frühjahr ein zweiter Reaktor ans Netz, zwei weitere befinden sich dort im Bau.

Ebenso wie Indien hat auch Pakistan seine zivilen Nuklearanlagen in der Vergangenheit für militärische Zwecke benutzt. Die pakistanische Regierung gehört nicht zu den Unterzeichnern des Atomwaffensperrvertrags und verweigert umfassende Kontrollen aller Anlagen.

China

Die Wirtschaftsmacht China ist dabei, ihre Nuklearanlagen zu verdreifachen: Derzeit sind in China vier Kraftwerke mit 16 Reaktoren in Betrieb, 26 befinden sich im Bau. Nach der japanischen Katastrophe legte die Regierung die Genehmigungsverfahren für alle Atomprojekte zwischenzeitlich auf Eis.

Chinas Kernreaktoren liegen außerhalb der Erdbebengebiete im Süden und Osten des Landes an der Küste. Was aber selbst die Regierungsbehörden zusätzlich als potentielles Sicherheitsrisiko betrachten, ist der Mangel an qualifiziertem Personal. Drei neue Reaktoren entstehen in Fujian an der Ostküste.

Taiwan

Der demokratische Inselstaat, auf den die Volksrepublik China territoriale Ansprüche erhebt, deckt 99 Prozent seines Energiebedarfs mit Importen ab. Taiwan ist der höchsten Risikostufe für Erdbeben zugeordnet - und verfügt über sechs aktive Kernreaktoren. Zwei weitere Reaktoren werden dort derzeit errichtet, einer von ihnen soll schon bald ans Netz gehen.

Russland

Der größte Flächenstaat der Erde verfügt derzeit über zehn klassische Kernkraftwerke mit 33 Atomreaktoren und belegt damit weltweit den vierten Platz. Zwar gelten die Anlagen der Russischen Föderation aus vielerlei Gründen als unsicher, doch von Erdbeben sind sie nicht bedroht. Für Unruhe unter Atomkraftgegnern und Umweltschützern sorgte in den vergangenen Jahren indes der Stapellauf der Akademik Lomonossow:

Das schwimmende Kernkraftwerk soll demnächst Energie für die russische Nordpolarküste liefern. Als möglicher Ankerplatz ist auch die Halbinsel Kamtschatka im Gespräch - die am stärksten von Erdbeben bedrohte Region Russlands.

Iran

Über kein Nuklearprogramm wird so viel debattiert und spekuliert wie über das von Iran. Während die westlichen Nationen Präsident Mahmud Ahmadineschad und dem Mullah-Regime vorwerfen, heimlich an einer Atombombe zu bauen, betont die Regierung immer wieder, die Urananreicherung diene allein ziviler Energiegewinnung.

Feierlich wurde im September 2010 unter den skeptischen Blicken der internationalen Gemeinschaft das erste Kernkraftwerk des Landes in Buschehr fertiggestellt. Im Süden und Westen Irans stößt die Arabische mit der Eurasischen Platte zusammen. Das ganze Land ist stark bis sehr stark erdbebengefährdet.

Türkei

Das stark bis sehr stark von Erdbeben bedrohte Land verfügt zwar über keine aktiven Atomkraftwerke - plant aber den Bau zweier Kernkraftanlagen. Auch nach der verheerenden Katastrophe in Japan hält die türkische Regierung an diesen Vorhaben fest.

Die Türkei werde die neueste Technologie einsetzen, während die bei dem Erdbeben in Japan zerstörten Anlagen aus dem Jahr 1971 stammten, zitierte die Tageszeitung Sabah Taner Yildiz, den Energieminister des Landes. Die erste Anlage sollen russische Unternehmen an der Mittelmeerküste errichten.

Das 15-Milliarden-Euro-Projekt könnte 2020 fertig sein. Für den Bau des zweiten geplanten Atomkraftwerkes in Sinop am Schwarzen Meer verhandelt die Türkei mit japanischen und französischen Anbietern.

Philippinen

Das südostasiatische Land verfügt über ein Atomkraftwerk. Es liegt in einem stark erdbebengefährdeten Gebiet unweit eines schlafenden Vulkans. 1984 wurde das 2,3-Milliarden-Dollar-Projekt unter der Diktatur Ferdinand Marcos' fertiggestellt - aber nie in Betrieb genommen.

Mehr als zwei Jahrzehnte lang kostete die Nuklearstromanlage in Bataan nur Geld; das Kraftwerk war mit Geldern der USA errichtet worden. Seit Jahren wird in Manila über eine Inbetriebnahme der Anlage diskutiert. Im Kongress durchaus wohlwollend diskutiert, von weiten Teilen der Bevölkerung aber strikt abgelehnt, liegt der Vorschlag nach der Katastrophe in Japan nun vorerst auf Eis.

Bei diesem Artikel handelt es sich um die überarbeitete und aktualisierte Version eines Textes, der am 14. März 2011 erstmals veröffentlicht wurde.

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