Jennifer Capriati in Klinik:Tragisches Wunderkind

Sie gilt als Symbol einer Generation gedrillter Tenniskinder: Jetzt liegt Ex-Tennisprofi Jennifer Capriati im Krankenhaus - angeblich wegen einer Überdosis. Es wäre nicht der erste Absturz des Wunderkinds mit den Rehaugen und der Hammer-Rückhand.

Marten Rolff

Nur neun Zeilen lang war die Meldung, die da am Montagmorgen von Florida aus ihren Weg ins Internet nahm und die man ihrer Kürze, Nüchternheit und Ungenauigkeit wegen fast überlesen hätte: Früherer Tennisstar liegt bei Riviera Beach im Krankenhaus - vermutlich Überdosis, berichtete der Online-Dienst TMZ. Ob es sich um Drogen oder Medikamente handelte, ist ebenso wenig bekannt wie die näheren Umstände. Einzig der Name der Frau, die da in einem nicht genannten Hotel an Floridas Küste zusammenbrach, ließ aufhorchen: Jennifer Capriati, 34.

Ex-Tennisprofi Jennifer Capriati im Krankenhaus

Aufstieg mit 13, Zusammenbruch mit 16, Wiederaufstieg mit 22, Weltranglistenerste mit 24: Ex-Tennisprofi Jennifer Capriati war das Symbol einer Generation gedrillter Tenniskinder.

(Foto: dpa)

Wohl keine Karriere im Damentennis hat die Phantasie der Amerikaner so beflügelt wie die von "Jenny-Baby" aus New York, dem Dauerwunderkind mit den Rehaugen und der Hammer-Rückhand.

Denn was Capriati im Kampf gegen ihre älteren Gegnerinnen auf dem Platz bot, war nicht einfach Tennis, sondern eine Achterbahnfahrt: Aufstieg mit 13, Zusammenbruch mit 16, Wiederaufstieg mit 22, Weltranglistenerste mit 24. Capriati war das Symbol einer Generation gedrillter Tenniskinder, die den Erfolg jagten, um sich später ein Leben lang von ihm zu emanzipieren.

Sie ist drei, als ihr Vater Stefano, eingewandert aus dem italienischen Brindisi, sie erstmals auf den Platz schickt. Sein Ehrgeiz scheint sich auszuzahlen: Mit 13 gewinnt sie ihr erstes Profi-Turnier, nur per Ausnahmegenehmigung darf sie überhaupt an der WTA-Tour teilnehmen. Bedenken kommentiert Stefano Capriati mit dem Satz: "Wenn der Apfel reif ist, iss ihn." Da hat er bereits Werbeverträge über fünf Millionen Dollar ausgehandelt, die Sports Illustrated schreibt vom "Dream Teen" und der "zukünftigen Nummer eins". Das Tennis-Kind hält durch, bis es 16 ist, Höhepunkt wird der Olympiasieg über Steffi Graf in Barcelona von 1992. Dann hagelt es Niederlagen.

Als Jennifer Capriati zwei Jahre später in einem Schmuckladen in Tampa Bay, Florida, bei einem Ladendiebstahl gestellt wird, trägt sie Punk-Outfit, Totenkopf-Ohringe und schwarz lackierte Fingernägel. "Ich habe mich gefragt, wo sie wohl ihre Waffe versteckt haben könnte", berichtet der Verkäufer einer schockierten US-Öffentlichkeit, die ihren Ball-Darling nicht mehr versteht. Es folgen: eine Verhaftung wegen Marihuana-Besitzes, Drogentherapien, Gerüchte über Esstörungen.

Capriati ist längst nicht mehr das Tennis-Baby der Nation, sondern Moppel-Jenny, die im Kreise einer zweifelhaften Clique ihre verlorene Kindheit bei McDonald's nachholt. Erst als absolut niemand mehr an sie glaubt, rappelt sie sich auf, trainiert wieder, gibt Pressekonferenzen, auf denen sie sich unter Tränen Fragen zu ihrer Vergangenheit verbittet - und schafft, was niemand für möglich hält. Sie gewinnt drei Grand Slam-Titel sowie die Begeisterung eines Landes, das nur eines noch mehr liebt als seine Sieger: seine Verlierer, die endlich wieder siegen.

Als Jennifer Capriati sich 2004 aus dem Profitennis verabschiedet, wirkt es, als habe sie abgeschlossen. Als habe sie der späte Erfolg mit dem frühen Ehrgeiz des Vaters versöhnt. Doch bereits drei Jahre später klagt sie über Depressionen. Heute zeigt sich, dass die Achterbahnfahrt wohl nicht zu Ende ist.

"Sie ist auf dem Weg der Besserung", ließ ihr Vater Stefano Capriati am Montag knapp verlauten. Es ist ein Satz, den er schon häufig formuliert hat.

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