Japan nach dem Tsunami:Urlaubsziel: Katastrophengebiet

Einsatz in der Goldenen Woche: Erdbeben und Tsunami lösen während der Feiertage in Japan einen regelrechten Hilfstourismus aus - inzwischen müssen viele Freiwillige sogar abgewiesen werden.

Marlene Weiss

Während in Deutschland die Osterfeiertage gerade vorbei sind, fängt in Japan die Feiertagszeit gerade erst an. In der sogenannten Goldenen Woche zwischen dem 29. April und dem 5. Mai liegen nicht weniger als vier gesetzliche Feiertage - vom Showa-Tag, an dem der Geburtstag des Showa-Kaisers Hirohito gefeiert wird, bis zum Kindertag, an dem japanische Familien Fischfahnen hissen, traditionell eine für jeden Sohn. In normalen Jahren ist die Goldene Woche für Japaner eine willkommene Gelegenheit, sich etwas zu erholen. Aber dies ist kein normales Jahr.

Japan nach dem Tsunami: Zivile Helfer kommen in der Stadt Yamada an.

Zivile Helfer kommen in der Stadt Yamada an.

(Foto: AFP)

Statt zu Hause zu bleiben oder zu verreisen, strömen die Japaner ins Katastrophengebiet in Osten des Landes, um zu helfen - das große Leid hat einen regelrechten Hilfstourismus ausgelöst. Schon seit Wochen sind in der Region Tausende Freiwillige im Einsatz, aber jetzt, zu Beginn der Feiertagssaison, befürchten die Hilfszentren offenbar eine kleine Invasion. Die Freiwilligen müssen untergebracht und ernährt werden, sie brauchen Parkplätze und Benzin, um zu ihren Einsatzorten zu gelangen. Das stellt die Hilfsorganisationen vor logistische Probleme. Laut einer Umfrage der Nachrichtenagentur Kyodo haben von 65 Hilfszentren in der Krisenregion 56 die Aufnahme notgedrungen beschränkt.

In der Präfektur Miyagi nehmen bereits fünf Freiwilligenzentren nur noch Helfer aus der Präfektur auf; die vier Zentren in der Stadt Sendai beschränken sich sogar auf Einwohner der Stadt. Ein Zentrum bittet wegen des großen Andrangs um Voranmeldung. In Fukushima nehmen fast alle Hilfszentren nur Freiwillige auf, die pendeln können und nicht untergebracht werden müssen.

Die Freiwilligenhilfe hat in Japan Tradition: Otagaisama, sich gegenseitig helfen, ist eine Tugend, die Japaner sehr hoch halten - und das beschränkt sich nicht auf Spenden. Nach dem schweren Hanshin-Erdbeben im Jahr 1995 waren mehr als eine Million freiwillige Helfer im Einsatz. Und das Ostjapan-Erdbeben vom 11.März hat noch weitaus größeren Schaden angerichtet. Mehr als 26000 Menschen sind durch das Beben und den Tsunami umgekommen - nur 14358 Opfer konnten bisher identifiziert werden. Am Montag und am Dienstag suchten erneut 25000 Polizisten, Soldaten und Mitarbeiter der Küstenwache nach Leichen.

Die Überlebenden brauchen dringend Hilfe. Die Katastrophe hat etwa 130000 Menschen obdachlos gemacht und ganze Landstriche zerstört. Häuser müssen abgebrochen werden, Schutt muss verschwinden, und die Menschen in den Notunterkünften brauchen Essen und medizinische Versorgung. Die Solidarität mit den Opfern ist groß, die Lager sind voller Hilfsgüter, aber all das will auch verteilt werden. Die Hilfsorganisationen haben sich daher im "Japanischen Bürger-Netzwerk für Katastrophenhilfe in Ostjapan" zusammengeschlossen. Freiwilligen-Zentren organisieren die Einsätze.

Eine Experten-Kommission der japanischen Regierung rechnet damit, dass der Wiederaufbau sich über viele Jahre hinziehen wird. Etwa drei Jahre soll es allein dauern, bis Straßen repariert und provisorische Häuser gebaut sind. Alle Schäden der Naturkatastrophe werden nach Einschätzung der Regierungsberater erst in zehn Jahren beseitigt sein. Daher sind die Hilfsorganisationen froh um jeden Freiwilligen - aber bitte nicht alle auf einmal. "Es gibt ein Überangebot von Freiwilligen; es ist schwierig, weiterhin die Unterbringung zu garantieren", meldet eines der Zentren. Die Organisatoren rechnen vor der Goldenen Woche zudem mit Staus auf den Straßen. Die Lage könnte chaotisch werden.

Während sich die Nichtregierungsorganisationen in der Krisenregion händeringend fragen, wie sie für all die Helfer Unterkunft und Arbeit organisieren sollen, sorgt man andernorts dafür, dass der Nachschub nicht abreißt: Die Kobe-Universität etwa hat ihren Studenten erlaubt, während der Feiertagswochen für Freiwilligenarbeit den Vorlesungen fernzubleiben. Die private Hyogo-Universität in Kobe überlegt noch, wie sie mit der Goldenen Woche umgeht. Aus beiden Universitäten haben sich 90 Studenten für Hilfsarbeiten angemeldet, Ende April wollen sie an die Nordostküste reisen. Sie werden nicht die Einzigen sein.

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