50 Jahre Farbfernsehen:Ist alles so schön bunt!

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Mit leichter Verspätung etablierte sich in der Bundesrepublik 1967 eine neue Technologie, die den Siegeszug des Fernsehens rasant antrieb - eine Zeitenwende.

Von David Denk

Es ist nicht überliefert, ob die beiden Männer sich je persönlich begegnet sind, der damals schon sehr populäre SPD-Politiker und ein bis dato unbekannter Techniker vom NDR, und doch genügten wenige Sekunden, in denen sich ihre Wege kreuzten, um gemeinsam und untrennbar in die Rundfunkgeschichte einzugehen. Es war der 25. August 1967, der Tag, an dem Gerd Grunwald dem Außenminister und Vizekanzler der Bundesrepublik Deutschland aus Versehen die Show stahl.

Zum Auftakt der 25. Großen Deutschen Funkausstellung in West-Berlin sollte Willy Brandt mit dem symbolischen Druck auf einen (im Rundfunkmuseum Fürth für die Nachwelt verwahrten) roten Plastikknopf das Farbfernsehen einweihen. Als er seine Hand nach 20-minütiger Rede in Richtung dieses Knopfes bewegte, "da war mir klar, jetzt drückt er drauf und nun muss ich umschalten", erinnerte sich Grunwald später. "Allerdings hat er vorher, kurz vorher den Finger noch mal angehalten und dann erst richtig den Knopf durchgedrückt." Es war 10.57 Uhr, und Grunwald drückte früher als Brandt, der urplötzlich nicht mehr Hauptdarsteller dieser Inszenierung war, sondern Statist. Man könne nun "die Welt sehen, wie sie wirklich ist", sagte Brandt in seiner Rede. Er bezog das auf die neue Technik, die Panne machte daraus einen ironischen Meta-Kommentar zu den Einflussmöglichkeiten von Politikern.

Nur etwa 6000 Haushalte waren überhaupt in der Lage, diesen Fehlstart als solchen wahrzunehmen, so viele Geräte mit der neuen PAL-Technik waren bis dahin ausgeliefert. Mit Preisen um die 2500 Mark kostete ein Farbfernseher halb so viel wie ein fabrikneuer VW Käfer, war also ein ausgesprochenes Luxusprodukt. Und selbst wer sich eine solche Investition leisten konnte, war geneigt abzuwarten, ob sich dieses Farbfernsehen überhaupt durchsetzt - zumal das Schwarz-Weiß-Gerät ja weiter funktionierte. Der damalige ZDF-Intendant Karl Holzamer etwa wollte den Einsatz der Farbe auf das "Sinnenhafte", die "Schau" begrenzt wissen. "Der goldene Schuss" mit Vico Torriani als neuem Moderator machte den Anfang, zu den ersten in Farbe ausgestrahlten Serien zählten "Adrian der Tulpendieb" mit Heinz Reincke und "Bonanza". In deutsche Wohnzimmer zog eine neue Frage ein: "Kommt was Buntes?" Alles Seriöse jedoch blieb zunächst in Schwarz-Weiß. Die Tagesschau folgte erst Ende 1970. Der endgültige Durchbruch für die neue Technik kam arg zeitverzögert mit den Olympischen Spielen von 1972 und dem deutschen Sieg bei der Fußball-WM zwei Jahre später. Diesen live übertragenen Großereignissen schien man nun noch näher zu sein als je zuvor, in Farbe lebten sie erst richtig auf, das Publikum gierte nach mehr, das Medienereignis war geboren.

Deutschland war spät dran. Nach der Einführung des Farbfernsehens in den USA 1954 sollte es 13 Jahre dauern, bis es auch hierzulande so weit war und dem US-NTSC-System die vom Telefunken- Mitarbeiter Walter Bruch entwickelte Norm PAL entgegengesetzt wurde. Sowohl NTSC als auch das von den Franzosen protegierte System SECAM erschienen zu unausgereift und störanfällig, worauf spöttische "Entschlüsselungen" der Akronyme wie "Never The Same Colour" oder "Seven Extra Colours a Minute" anspielen.

Für welches System sich ein Land entschied, war wirtschaftlich wie politisch bedeutsam. So wurde NTSC vom damals dominierenden Unterhaltungselektronikhersteller Radio Corporation of America entwickelt, dem auch das Sendernetzwerk NBC gehörte. Und der französische Staatspräsident Charles de Gaulle propagierte SECAM als Instrument der französisch-russischen Annäherung. Immerhin, das "Wettrüsten" mit dem Ostblock gewann Deutschland: In der UdSSR wurde das Farbfernsehen 1967 zum 50. Jahrestag der Oktoberrevolution eingeführt, in der DDR zwei Jahre später - in SECAM, nicht in PAL, versteht sich. Gegenseitiger Empfang in Schwarz-Weiß war möglich. Um Westfernsehen auch in Farbe zu sehen, war man im Osten auf Basteleien oder Nachrüstsätze angewiesen, erst in den 80ern wurden Geräte angeboten, die ab Werk beide Normen empfangen konnten und bunte Konsumwelten frei Haus lieferten, die Begehrlichkeiten weckten. Bis zur politischen Wende dauerte es jedenfalls von da an nicht mehr lange.

Aus heutiger Sicht ist die Einführung des Farbfernsehens die wohl sichtbarste Zeitenwende in der Kultur des 20. Jahrhunderts. Die Umstellung teilt die Geschichte des Mediums unübersehbar in ein Davor und ein Danach. Die Veränderung ist so augenfällig, dass wenig subtile Filmemacher für Rückblenden in graue Vorzeiten ein Schwarz-Weiß-Bild als optische Entsprechung eines ebensolchen Denkens wählen. Ohne Farbe erscheint der Siegeszug des Fernsehens zum bestimmenden Massenmedium des 20. Jahrhunderts nicht vorstellbar. "Ich schalt die Glotze an", sang die aus der DDR abgehauene Nina Hagen 1978, "ich kann mich gar nicht entscheiden / Ist alles so schön bunt hier!"

Zum 50. Geburtstag hat das ZDF dem Farbfernsehen eine vierteilige Showreihe geschenkt, die in ihrer Rückwärtsgewandtheit beinahe Züge eines Requiems trug. "Die größten TV-Momente" ließ "Wir lieben Fernsehen!" noch einmal Revue passieren, als wäre das Medium schon von uns gegangen. Während an der USWestküste neue Player wie Amazon und Netflix an der Zukunft dessen herumtüfteln, was mal Fernsehen hieß, wärmen sich die Öffentlich-Rechtlichen an der eigenen Vergangenheit, den guten alten Zeiten, als in der Kaffeepause noch über "Am laufenden Band" gefachsimpelt wurde und nicht über "Stranger Things".

Jede Zukunft wird einmal Vergangenheit. Der technische Fortschritt, die Digitalisierung hat PAL obsolet gemacht. Voraussichtlich im kommenden Jahr wird die nur noch von wenigen Kabelnetzbetreibern bediente Norm ganz verschwunden sein. Einfach so. Kein Vizekanzler wird reden, niemand wird es merken.

© SZ vom 27.11.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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