Italien und die Opfer des Erdbebens:Heimatlos und wütend

Ihr Haus, ihr Leben - alles in Trümmern: Eine Deutsche, die seit 15 Jahren in L'Aquila wohnt, hat das Beben überlebt - und erzählt vom Unglücksort. Aus der Heimat, der Partnerstadt Rottweil, kommt Beistand.

T. Würger und K. Haimerl

L'Aquila am Tag nach dem Beben: Noch immer suchen Einsatzkräfte nach den Vermissten. Inzwischen ist die Zahl der Toten weiter gestiegen: 235 haben die Rettungskräfte inzwischen vermeldet.

Italien und die Opfer des Erdbebens: Gebäude in L'Aquila: Eine Deutsche hat das Unglück überlebt. Nach dem Schock kommt nun die Wut.

Gebäude in L'Aquila: Eine Deutsche hat das Unglück überlebt. Nach dem Schock kommt nun die Wut.

(Foto: Foto: AFP)

Doch die Helfer geben die Hoffnung nicht auf. Und über die Agenturen laufen Geschichten wie die von der 98-jährigen Maria D'Antuono, die 30 Stunden nach dem Erdbeben heil geborgen wurde. Die Dame befindet sich bei guter Gesundheit und sei wohlauf, schreiben die Agenturen. Sie habe sich die Zeit bis zu ihrer Rettung mit Häkeln vertrieben.

Lisa M., die ihren Namen nicht bekannt geben möchte, bekommt von den Meldungen nichts mit. Sie ist von der Außenwelt abgeschnitten - und dennoch mitten im Geschehen. Lisa M. steht auf einem Hügel über L'Aquila, sie kann die Stadt überblicken, in der sie 15 Jahre lang gewohnt hat. Stellenweise steigt Rauch auf, sagt sie.

Die Deutsche spricht ruhig, gefasst. Sie ist eine der Überlebenden, ihre Familie hatte Glück. Alle konnten sich retten, verletzt wurde niemand. Immerhin das, sagt sie. "Wir sind die am wenigsten Betroffenen", das ist ein Satz, den sie ständig wiederholt. Vielleicht auch, um sich selbst Mut zuzusprechen.

Denn ihre Existenz liegt nun in den Trümmern dort unten, irgendwo in der Stadt L'Aquila. Das Einzige, was sie mit der Außenwelt verbindet, ist das Handy, mit dem sie nun telefoniert. Sie hat kein Radio, keinen Fernseher, nichts. Von den stündlichen Meldungen über die Zahl der Toten bekommt sie nichts mit. "Wir sind völlig abgeschnitten", sagt sie im Gespräch mit sueddeutsche.de.

Am Montag noch war die Frau einfach nur erleichtert, dass die gesamte Familie überlebt hat. Die Nacht haben sie im Auto verbracht, irgendwo auch in der Hoffnung, ins Haus zurückkehren zu können.

Sorge um die Zukunft, Wut auf die Behörden

Doch nun kommt der Ärger, die Ungewissheit, die Verzweiflung. Die Wut auf die Behörden. Die Familie lebte in einem Haus in der Nähe der historischen Altstadt, nicht ganz in der Stadtmitte, sagt sie, aber eben auch nicht außerhalb. Immer wieder habe man ihr versichert, das Gebäude sei nach dem Erdbebenprinzip gebaut worden. Am Dienstag haben ihr die Rettungskräfte mitgeteilt, sie könne in ihr Haus nicht zurückkehren. Die Einsturzgefahr ist einfach zu groß.

Jetzt steht Lisa M. da. Das Haus in Trümmern. Und viele offene Fragen.

Etwa über die Zukunft der Tochter: "Meine Tochter steht kurz vor dem Abitur", sagt sie. Und doch: Keiner könne ihr sagen, wann die Schule in L'Aquila wieder aufmacht. Oder ob die Tochter überhaupt ihren Bildungsabschluss in diesem Jahr noch machen könne.

Und die Frage, ob die Behörden nicht hätten gewarnt sein können. Denn bereits am Sonntagabend um 23 Uhr schreckte die Familie ein Beben hoch - es hatte auf der Richterskala die Stärke 3,9. Lisa M. sagte ihrem Sohn, er solle auf dem Boden schlafen, angezogen, so wie es in den Richtlinien für ein Erdbebenunglück steht. Erst am Sonntag ist sie die Richtlinien mit ihrer Familie nochmals durchgegangen. Die Bewohner waren alle aufgeschreckt von der Prognose des Forschers Giampaolo Giuliani. Die Polizei von L'Aquila habe diesem sogar mit einem Haftbefehl gedroht - wegen Panikmache, erzählt Lisa M.

Vermutlich haben diese Vorsorgemaßnahmen der Familie M. Schlimmeres verhindert. Und doch: Für Lisa M. ist es im Moment nur ein kleiner Trost.

Das Schicksal der Familie M. geht auch einer deutschen Stadt besonders nahe. Es ist Rottweil in Baden-Württemberg, seit 20 Jahren die Partnerstadt von L'Aquila. Lisa M. kommt aus Oberndorf am Neckar in der Nähe von Rottweil. Mehrere Bekannte aus der Heimat hätten sie bereits angerufen und Hilfe angeboten.

Anteilnahme aus der Heimat

"Das Beben trifft uns alle hart, wir sind sehr betroffen", sagte Werner Guhl, der Bürgermeister Rottweils, zu sueddeutsche.de. Viele der rund 25.000 Einwohner wollen ihre Partnerstadt jetzt mit Hilfslieferungen und Geldspenden unterstützen - und einige Rottweiler wollen sogar nach Italien fahren und selbst mit anpacken.

Bürgermeister Guhl war bereits fünfmal in L'Aquila, an dem Ort, wo die Erde am stärksten bebte. Die Klöster, die Basilika, die verwinkelten Bauten am Stadtrand - das alles kennt Guhl. "Davon steht jetzt fast nichts mehr", sagt der Bürgermeister. Er macht sich Sorgen um die Menschen: "Ich habe Freunde da unten, und weiß nicht, ob sie noch leben."

Zusammen mit dem deutsch-italienischen Verein "Amici dell' Aquila" hat Guhl zwei Spendenkontos eingerichtet, um Geld für die Erdbebenopfer zu sammeln. Ludwig Kohler, der Präsident von "Amici dell' Aquila", glaubt, dass Geldspenden zur Zeit am meisten nützen. "Die Menschen vor Ort wissen schließlich am besten, was sie brauchen."

Vor Ort befindet sich auch Ursula Eichholzer, eine Bekannte von Lisa M. Sie lebt seit 25 Jahren in den Abruzzen. Mit ihr telefoniert Kohler mehrmals täglich. Eichholzer hat in ihrem Garten in L'Aquila ein Zelt aufgebaut, in dem die Menschen schlafen können, die keine Häuser mehr haben. Sie kocht Tee für ihre Nachbarn und versucht, Trost zu spenden. Doch langsam gehen auch Eichholzer die Kräfte aus. "Sie hat mir gesagt, dass sie bald nicht mehr kann, ich hoffe, dass sie durchhält", sagt Kohler.

Rottweils Stadtbrandmeister Rainer Müller würde am liebsten sofort in seinen Feuerwehrwagen springen und nach Mittelitalien fahren: "Ich fühle mich ohnmächtig, weil ich nicht helfen kann." Müllers Drehleiterwagen und seine Mannschaft sind bereit, die Koffer der Feuerwehrleute schon gepackt. "In der Not muss die Feuerwehr zusammenstehen."

Auch Rottweiler Mitarbeiter des Deutschen Roten Kreuzes und des Technischen Hilfswerk haben Hilfe angeboten. Sogar ein Abschleppunternehmen möchte seine Räumfahrzeuge zur Verfügung stellen. Aber jetzt müsse erst mal die Arbeit koordiniert werden, sagt Brandmeister Müller, wenn die Kollegen in Italien dann entscheiden, dass sie Hilfe brauchen, steht er bereit.

Während Müller auf seinen Einsatzbefehl wartet, plant die Stadt Rottweil für Mitte des Monats schon ein Benefizkonzert, bei dem Spenden für die Überlebenden der Katastrophe gesammelt werden sollen. Und morgen Abend findet ein ökumenischer Trauergottesdienst statt - für die Opfer des Erdbebens, sagt Bürgermeister Guhl.

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