Italien und Deutschland:Razzia bei den Weißkragen der Mafia

Razzia gegen den ·Ndrangheta-Clan in Italien

Ein Hubschrauber der italienischen Polizei.

(Foto: dpa)
  • Bei einer Großrazzia hat die italienische Polizei 170 Personen verhaftet. 131 von ihnen wurden ins Gefängnis gebracht, 39 stehen unter Hausarrest.
  • Hintergrund ist, dass die Mafiabande Ndrangheta zahlreiche Unternehmen unterwandert haben soll, es geht um den Vorwurf der Erpressung und Geldwäsche.
  • Unter den Festgenommenen sind auch elf Personen aus Deutschland.

Von Oliver Meiler, Rom

Wenn die Rede auf die italienische Mafia kommt, fällt oft der Begriff der Infiltrierung. Man versteht darunter die Fähigkeit des organisierten Verbrechens, seine Leute auch in Büros zu platzieren, wo elegante Herrschaften mit weißen Hemdkragen sitzen, "colletti bianchi", die öffentliche Aufträge vergeben und Geschäfte betreiben - etwa in den Rathäusern oder in Unternehmen mit vermeintlich sauberem Leumund.

Im Fall des Clans der Familien Farao und Marincola, der jetzt aufgeflogen ist, war diese Einnistung jedoch dermaßen massiv, dass ihnen in ihrer Stadt, in Cirò Marina im süditalienischen Kalabrien, 15 000 Einwohner, und in den Gemeinden rundherum kein Geschäft entging. Die Bande der 'Ndrangheta, wie die kalabrische Mafia heißt, herrschte monopolistisch über alles: über die Müllentsorgung genauso wie über die Hafendienste, die Strandbäder, den Fischmarkt, das Glücksspiel mit den Slotmaschinen, die Großwäschereien, den Forstbetrieb in den Bergwäldern der nahen Sila, den Vertrieb von Backwaren und Wein. Sogar das Auffangzentrum für minderjährige Flüchtlinge von Cirò wurde offenbar vom Clan verwaltet. Und natürlich auch das Bestattungsunternehmen.

Eine "kriminelle Holding", so nennt es die italienische Presse.

Jahrelang hat die Staatsanwaltschaft von Catanzaro unter der Leitung des berühmten Mafiajägers Nicola Gratteri gegen die Familien und deren Komplizen ermittelt. Ein Rapport von 1300 Seiten ist dabei herausgekommen, und der führte nun zur "Operation Styx", benannt nach der Flussgöttin aus der griechischen Mythologie - eine Großrazzia, die Italiens Polizei und deutsche Spezialeinheiten in einer koordinierten Aktion am frühen Dienstagmorgen starteten.

Denn ja, der Clan aus Cirò hatte sich auch in den deutschen Bundesländern Baden-Württemberg, Bayern, Hessen und Nordrhein-Westfalen eingenistet, wie das Bundeskriminalamt bestätigte. Die Italiener hatten die deutschen Behörden deshalb um Rechtshilfe gebeten.

Auch für italienische Verhältnisse ist das Ausmaß der "Operazione Stige" beträchtlich: 170 Personen wurden verhaftet. 131 von ihnen wurden ins Gefängnis gebracht, 39 stehen unter Hausarrest. Sie werden unter anderem verdächtigt, ihre Opfer mit gewohnten Mafiamethoden erpresst und Geld gewaschen zu haben.

Elf Männer wurden in Deutschland verhaftet

Der Großteil der mutmaßlichen Mitglieder des Clans wurden in Kalabrien im Schlaf überrascht, einige aber auch weiter nördlich im Land: in Latium, der Emilia, dem Veneto, in der Lombardei, wo sie für die Familien aktiv waren. Elf Männer im Alter zwischen 36 und 61 Jahren wurden in München, Stuttgart, Frankfurt und Wiesbaden verhaftet, wo die Bande "operative Zellen" unterhielt, wie es hieß.

Nach Medienberichten taucht auf der in Italien verbreiteten Liste von Verhafteten auch ein in Stuttgart tätiger Gastronom auf. Er stand in den 1990er Jahren schon unter dem Verdacht, der Mafia anzugehören. Der Fall machte Schlagzeilen, weil zu seinen Stammgästen der damalige CDU-Fraktionsvorsitzende Günther Oettinger gehörte. Oettinger wurde damals vom Justizminister vor weiteren Kontakten gewarnt. Nun wurde der Gastronom offenbar in Kalabrien festgenommen. Die Faraos und Marincolas investierten ihre unlauter erwirtschafteten Einkünfte mit Vorliebe fernab der Heimat. Offenbar gelang es dem Clan auch, Restaurantbesitzer in Deutschland unter Gewaltandrohung zum Kauf von Produkten zu nötigen, die er aus Kalabrien importierte, etwa Wein aus Cirò und Zutaten für die Pizza. So garantierte man den Absatz der Ware, die man selber produzierte. Bei der Razzia wurden auch Güter und Immobilien für ungefähr 50 Millionen Euro beschlagnahmt, wohl ein Bruchteil des wahren Vermögens. In Italien gibt vor allem zu denken, dass zu den Festgenommenen viele "Weißkragen" zählen. Nur neun Inhaftierte sind direkte Clanmitglieder, der Rest sind Beamte, Politiker und Unternehmer. Verhaftet wurde auch der Präsident der Provinz Crotone, Nicodemo Parrilla, der gleichzeitig Bürgermeister von Cirò Marina war. Die Ermittler sind überzeugt, dass Parrilla während seiner gesamten politischen Karriere dafür gesorgt hat, dass dem Clan der Farao und der Marincola und deren Strohfirmen alle fetten Aufträge zugeschanzt wurden. Und er war nicht der Einzige. Gleich drei weitere Bürgermeister aus der Region wurden festgesetzt, mit derselben Anklage. Die Bande musste sich also nicht mühsam einnisten in der Gegend: Sie war ihr Nest, ganz und gar.

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