Italien:Tennis statt OP-Tisch

Snow on the Mount Vesuvius

Bella Napoli: Wo andere Urlaub machen arbeiten - oder auch nicht.

(Foto: Ciro Fusco/dpa)

55 Festnahmen wegen Betrugverdachts: In Neapel soll Klinikpersonal jahrelang blaugemacht haben. Eine neue Episode in der Geschichte italienischer Schwänzer.

Von Laura Hertreiter

Zu viel Freizeit kann es ja bekanntlich gar nicht geben. Das Personal einer Klinik in Neapel jedenfalls schien sich außerhalb des gelbgestrichenen Krankenhauses nicht zu langweilen. Einer der Ärzte ließ sich im Taxi zum Tennisplatz chauffieren. Ein anderer wurde beim Einkauf in einem Juwelierladen gesichtet. Und ein Schichtleiter hatte offenbar einen Zweitjob als Koch angenommen. Jahrelang haben 94 Angestellte der "Loreto Mare"-Klinik für derlei Dinge ihren Dienst geschwänzt. Nun ist der Massenbetrug nach zwei Jahren Ermittlung aufgeflogen.

Wie die Polizei mitteilte, wurden 55 Klinikangestellte wegen Betrugsverdachts festgenommen. Ein Neurologe, ein Gynäkologe, neun Röntgentechniker und 18 Pfleger wurden am Freitag unter Hausarrest gestellt. Überführt wurden sie mithilfe der Aufzeichnungen versteckter Kameras, die italienische Medien im Netz veröffentlicht haben. Sie zeigen, wie professionell die Angestellten das Schwänzen ihrer Profession betrieben haben: Einzelne Mitarbeiter ziehen im Foyer der Klinik immer wieder Dutzende Stechkarten durch den Kartenleser. In Italien sind kleine Schummeleien bei den Arbeitszeiten gängig. Aber auch der Arbeitszeitbetrug im großen Stil hat Tradition. Vor eineinhalb Jahren wurden 35 Mitarbeiter der Stadtverwaltung von San Remo festgenommen. Mehr als ein Drittel der Rathausmitarbeiter soll mit Stechkarten betrogen haben, für zwei von ihnen stempelten die Ehefrauen ein. In einem römischen Museum sollen neun Mitarbeiter über Jahre hinweg fast die Hälfte ihrer Arbeitszeit im Wettbüro verbracht haben. Die seither verschärften Kontrollen haben gezeigt, wie dünn besetzt viele Schreibtische nur noch sind. Manchmal für Tennis und Shopping, manchmal aber auch, weil viele Jobs im Land so schlecht bezahlt sind, dass die Leute zwei, drei davon brauchen. Oft im wahrsten Sinne des Wortes: gleichzeitig. Dabei ist der "posto fisso", die Festanstellung, so etwas wie der Lebenstraum vieler Italiener. Noch immer steht er für eine gesicherte Zukunft, auch wenn die Realität längst anders aussieht. In Messina jedenfalls waren bei einer Kontrolle auf einem Sozialamt 81 von 96 Angestellten nicht vor Ort. Keiner krank, keiner beurlaubt. In einer Klinik in Salerno fehlten zehn Schwestern, in Vibo Valentia 17 Ärzte und Pfleger. Im vergangenen Jahr hatte die Regierung schließlich ein Gesetz verabschiedet, das die Entlassung arbeitsscheuer Mitarbeiter erleichtert und Mitwisser unter Strafe stellt. "Die guten Zeiten sind vorbei", hatte der damalige Ministerpräsident Matteo Renzi angekündigt. Ganz vorbei? Vor ein paar Wochen erst hat sich ein Gericht in Rom mit dem Busfahrer Ezio Capri beschäftigt. Der war wiederholt als Sänger aufgetreten. Bei seinem Arbeitgeber hatte er sich dafür krankschreiben lassen, wegen Koliken und Diarrhö. Der Richter konnte daran nichts Verwerfliches finden.

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