Italien:Pfusch beim Häuserbau

Massive Kritik von Experten: Viele Gebäude in Mittelitalien sind eingestürzt, weil Sichherheitsstandards vernachlässigt wurden - schuld ist unter anderem die Mafia.

Ein Erdbeben wie das in Mittelitalien hätte nach Einschätzung von Fachleuten in ähnlich gefährdeten Gebieten wie Japan oder Kalifornien bei weitem nicht so viele Menschen in den Tod gerissen. "Es ist nicht Teil unserer Kultur, in Erdbebengebieten richtig zu bauen", sagte der Präsident des Nationalen Instituts für Geophysik und Vulkanologie, Enzo Boschi. "Unter den eingestürzten Gebäuden in den Abruzzen sind Häuser eingestürzt, die nicht gebaut wurden, einem Beben zu widerstehen, das nicht besonders schwer war."

Italien: Ein Mann betrachtet ein zerstörtes Haus. Experten glauben, dass besserer Erdbebenschutz die Katastrophe verhindert hätte.

Ein Mann betrachtet ein zerstörtes Haus. Experten glauben, dass besserer Erdbebenschutz die Katastrophe verhindert hätte.

(Foto: Foto: dpa)

Das Beben vom Montag hatte nach Angaben italienischer Behörden eine Stärke von 5,8; laut US-Geologen waren es 6,3. Fast die Hälfte Italiens ist einem Bericht von Geologen und dem Zivilschutz aus dem Jahr 2008 zufolge als gefährdet eingestuft. Doch gerade mal 14 Prozent der Gebäude dort genügen den Erdbeben-Sicherheitsstandards. Es sei versäumt worden, sichere Neubauten zu errichten und alte zu renovieren: "Das wurde nie gemacht", kritisiert Boschi.

Vor allem im Süden des Landes hat das organisierte Verbrechen seine Finger im Spiel. Bei der Vergabe öffentlicher Aufträge sorgt die Mafia nach Erkenntnissen der Ermittler dafür, dass ihr nahestehende Firmen bedacht werden - und die arbeiten häufig nicht mit den besten Materialien. Erst vor einigen Wochen wurden fünf Angeklagte wegen des Einsturzes einer Grundschule bei einem Beben der Stärke 5,4 im Jahr 2002 verurteilt. Die Staatsanwaltschaft fand heraus, dass die unsolide Bauweise eine wichtige Rolle beim Ausmaß des Unglücks spielte, bei dem insgesamt 28 Menschen ums Leben kamen.

Der Geologe Franco Barberi ist angesichts der Schäden vom Montag fassungslos: "Wenn das in Kalifornien oder Japan passiert wäre, oder in irgendeinem anderen Land, in dem Erdbeben-Schutz betrieben wird, hätte es bei einem vergleichbaren Beben nicht einen einzigen Toten gegeben", sagte er im staatlichen Fernsehen.

Auch die historische Bausubstanz trägt zum Ausmaß der Schäden in L'Aquila bei, wie Giorgio Croci sagt, ein römischer Bauingenieur und Fachmann für antike Bauten. Zu Zeiten des Römischen Reichs seien Monumente und Gebäude mit qualitativ gutem Mörtel errichtet worden, weshalb sie auch nach 2000 Jahren noch ständen. Auch in der Renaissance wurden demnach hochwertige Steine in regelgerechten Proportionen verbaut.

Im ärmeren Mittelalter dagegen sei die Qualität der Materialen häufig nicht so gut gewesen, auch habe man nicht so massiv gebaut, sagt Croce. Deshalb sei die Bausubstanz aus diesen Jahrhunderten bei Beben mehr gefährdet. "Sie müssen solche Gebäude verbessern", sagte er. Wände könnten wenig kostspielig mit Ketten gesichert werden, dass sie bei Beben nicht so stark schwanken. Und Holzbalken könnten mit Eisenhaken an Steinwänden verankert werden.

Die UN-Behörde zur Förderung von Strukturen zur Katastrophenvorsorge wies am Montag noch einmal darauf hin, dass einstürzende Gebäude für die meisten Toten bei Erdbeben verantwortlich seien.

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