Italien nach dem Erdbeben:"Wie in einer Schockstarre"

179 Tote, Hunderte Verletzte, Zehntausende obdachlos: SZ-Korrespondent Stefan Ulrich über die Situation am Tag nach dem Erdbeben in den Abruzzen.

Der Tag nach dem Erdbeben: Die Zahl der Todesopfer ist inzwischen auf 179 gestiegen, Hunderte Menschen sind verletzt, Zehntausende obdachlos. In der Nacht erschütterten rund 280 Nachbeben die Region um die Stadt L'Aquila und versetzten die überlebenden Erdbebenopfer erneut in Angst und Schrecken. In L'Aquila übernachteten Dutzende Überlebende bei Temperaturen um den Gefrierpunkt in Autos und Zelten auf einem großen Parkplatz. Stefan Ulrich, Italien-Korrespondent der Süddeutschen Zeitung, berichtet aus dem kleinen Dorf Onna östlich von L'Aquila. Allein von dort haben Rettungskräfte 40 Todesopfer gemeldet.

Italien nach dem Erdbeben: Bilder der Zerstörung aus Onna, einem kleinen Dorf in der Nähe von L'Aquila: Alleine von hier meldeten Rettungskräfte 40 Tote.

Bilder der Zerstörung aus Onna, einem kleinen Dorf in der Nähe von L'Aquila: Alleine von hier meldeten Rettungskräfte 40 Tote.

(Foto: Foto: AFP)

sueddeutsche.de: Wie sieht es bei Ihnen vor Ort aus?

"Es sind hier Bilder wie aus dem Kosovo-Krieg, in Onna herrscht Ausnahmezustand: Ein ganzes Heer von Hilfskräften aus ganz Italien ist im Einsatz - unter anderem vom Militär, Zivilschutz, von der Feuerwehr. Viele der betroffenen Menschen haben die Nacht in ihren Autos verbracht, übernachteten in Parks, einige sind bei Familien und Freunden untergekommen. Inzwischen wurden auf offenen Flächen Zeltstädte errichtet, allerdings gab es Beschwerden, dass dort die Schlafplätze nicht ausreichten. Viele mussten die Nacht im Sitzen verbringen. In der Nacht hat es mehrere Nachbeben gegeben. Zusätzlich erschwerten den Rettungskräften starke Regenfälle die Arbeit."

sueddeutsche.de: Wie geht es den Überlebenden?

"Die Menschen sind ungewöhnlich ruhig, es herrscht keine Panik. Insgesamt scheint es, als würden sich die Betroffenen noch in einer Art Schockstarre befinden, als hätten sie das gesamte Ausmaß der Katastrophe noch nicht begriffen. Allein in Onna haben die Rettungskräfte 40 Tote gemeldet, das bedeutet, jeder sechste Einwohner des Orts ist tot. Suchtrupps sind noch immer mit Spürhunden unterwegs, um nach Überlebenden zu suchen."

sueddeutsche.de: Kam es in den betroffenen Gebieten zu Plünderungen?

"Hier in Onna bislang nicht. Allerdings wurden aus L'Aquila vereinzelt Fälle gemeldet. Es heißt, die Polizei geht dagegen in aller Härte vor. In Onna hat der Zivilschutz das betroffene Gebiet weiträumig abgesperrt, Einwohner können nur in Begleitung der Rettungskräfte in den Ort, um nach Habseligkeiten zu suchen. Nach wie vor besteht Einsturzgefahr. Doch die Menschen haben Angst um ihr Hab und Gut, sie wollen möglichst in der Nähe ihrer Häuser bleiben. Sie haben Angst, später überhaupt nichts mehr vorzufinden. Der Hoteliersverband hatte den Betroffenen 10.000 Hotelplätze an der Küste zur Verfügung gestellt. Von den Menschen hier nutzte aber kaum jemand dieses Angebot."

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