Italien:Sohn bedroht - Mafia schüchtert Kronzeugen ein

Er hat ein Buch über die Verstrickungen von Mafia und Politik geschrieben, gilt derzeit als wichtigster Kronzeuge - doch nun will Massimo Ciancimino aufgeben. Die Clans bedrohen seinen Sohn.

Andrea Bachstein

Wer in Palermo in seinem Briefkasten ein Kuvert findet mit einer Kalaschnikow-Patrone, zehn Zentimeter lang, und drei mit dem Computer geschriebene, warnende Zeilen, weiß, wer ihm da droht.

Massimo Ciancimino, Getty

Will sich nach den Drohungen gegen seinen Sohn geschlagen geben: Mafia-Kronzeuge Massimo Ciancimino.

(Foto: Getty Images)

Diese Botschaft der Mafia war adressiert an Vito Andrea Ciancimino. In seiner Familie kennt man sich bestens aus mit der Cosa Nostra. Er selber hat aber bestimmt keine Ahnung von organisierter Kriminalität: Vito Andrea Ciancimino ist fünf Jahre alt. Morddrohungen gegen ein Kindergartenkind gehörten bisher nicht zum Repertoire von Mafiosi.

"Die Schuld hinterhältiger Väter und Verräter wird zurückfallen auf die Söhne", steht in pseudobiblischem Tonfall auf dem Stück Papier, das dem Projektil beilag. Der Vater von Vito Andrea, so wird berichtet, sei in Tränen ausgebrochen, als er das las.

Massimo Ciancimino ist der derzeit bekannteste "Pentito" Italiens, einer jener Mafia-Insider, die mit der Justiz zusammenarbeiten und damit für die Clans zu verhassten Verrätern werden. Und man kann sagen, dass auch er einer ist, auf den die Schuld des Vaters zurückgefallen ist.

Massimo Ciancimino ist der Sohn von Palermos ehemaligem Bürgermeister Vito Ciancimino, genannt Don Vito, wie der Clanboss im Film Der Pate. Von den Fünfzigern bis Anfang der siebziger Jahre war Don Vito als Politiker der Democrazia Cristiana und Oberhaupt der sizilianischen Hauptstadt eine Schlüsselfigur für die Cosa Nostra.

Vertrauter und Bote des Vaters

Er war ihr Bindeglied und Türöffner zur Politik, verschaffte ihr öffentliche Aufträge, kümmerte sich für den Clan der Corleonesi um Geldwäsche im großen Stil, pflegte Kontakt mit Bossen wie Totò Riina und Bernardo Provenzano, den er jahrzehntelang vor der Festnahme zu schützen half.

1990 wurde Don Vito verhaftet, er wurde zu 13 Jahren Haft verurteilt. 2002 starb er im Hausarrest in Rom. Seinen Sohn Massimo hatte er in seine Machenschaften hineingezogen, er wuchs in diesem kriminellen Milieu auf, diente dem Vater als Vertrauter und Bote.

Der junge Mann hörte und sah vieles, bekam Einblick in wichtige Dokumente und machte sich selber schuldig. Heute ist er 47, und es sieht so aus, als wolle er mit der Mafia-Vergangenheit aufräumen.

Massimo Ciancimino hat eine Verurteilung hinter sich wegen seiner Geschäfte mit dem vom Vater hinterlassenen, illegal erworbenen Vermögen. Seine Strafe wurde reduziert, wegen der weitreichenden, teils sehr detaillierten Aussagen, die er seit zwei Jahren macht. Auch schriftliches Material hat er vorgelegt.

All das lässt nicht nur Mafiosi fürchten, sondern auch einige Politiker. Massimo Ciancimino hat geschildert, wie Mafia-Millionen angelegt und wohin sie verschoben wurden.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, warum nicht nur die Mafia die Aussagen von Massimo Ciancimino fürchtet.

Verwicklungen von Mafia, Politik und Staat

Vor Gericht erzählte er, sein Vater habe ihm gesagt, die Forza Italia, Vorgängerpartei der jetzigen Regierungspartei PDL, sei entstanden mit Hilfe der Mafia. Der Pentito hat den lange bestehenden Verdacht gestützt, dass Anfang der neunziger Jahre Mitglieder des Staatsapparates mit der Cosa Nostra paktiert haben.

Es war die Ära der blutigen Mafia-Anschläge. Deren spektakulärste waren die Ermordungen der Anti-Mafia-Richter Giovanni Falcone und Paolo Borsellino und ihrer Begleiter 1992. Es gibt diverse Hinweise darauf, dass Geheimdienstkreise mit politischer Rückendeckung in diese Attentate verwickelt waren.

"Ich verschwinde mit meinem Sohn"

Die mit Mafia-Delikten befassten Staatsanwälte und Richter in Palermo und Caltanisetta nehmen Massimo Cianciminos Angaben ernst. Einige Ermittlungen sind neu aufgerollt worden. Ciancimino jr., wie er oft genannt wird, hat vor drei Monaten ein Buch veröffentlicht, in Don Vito schildert er aus seiner Sicht jahrzehntelange Verwicklungen von Mafia, Politik und Staat.

Dass er selbst wegen seiner Enthüllungen in Gefahr geraten kann, war Massimo Ciancimino klar.

Dass aber nun sein Kind bedroht wird, scheint ihm unerträglich zu sein. In einer ersten Reaktion auf den Brief mit der Patrone sagte er, viele, auch in den Institutionen, wollten ihm den Mund stopfen. "Aber wenn das Leben meines Sohnes ins Spiel kommt, reicht es. Ich gebe mich geschlagen, ich rede nicht mehr, ich mache keine Vernehmungen mehr, ich ziehe mein Buch zurück."

Ciancimino soll angekündigt haben: "Ich gehe weg, ich verschwinde mit meinem Sohn." Wenn er dabei bleibt, kann die Mafia einen Erfolg feiern, und die Anti-Mafia-Staatsanwälte verlieren eine sprudelnde Quelle.

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