Italien:Ein bisschen Spaß muss sein

Roter Teppich und Trauerflor, Spendensammeln und Preisverleihungen, an Erdbebenopfer denken und Schauspieler bejubeln: Eigentlich passt das nicht zusammen. Venedig versucht es trotzdem.

Von Susanne Hermanski, Venedig

Wie kann man unter diesem blauen Himmel und bei all der Bellezza an Gräber denken? In Venedig sind Traum und Albtraum, Leben und Vergehen immer schon näher zusammen als anderswo, aber so deutlich wie bei den diesjährigen Filmfestspielen war diese seltsame Zweiseitigkeit noch nie zu spüren. Aus Respekt vor den Erdbebenopfern von Amatrice und deren Angehörigen haben die Leiter des Festivals das Galadinner am Eröffnungsabend abgesagt, es findet sonst am Strand statt, vor der grandiosen Kulisse des 1907 im orientalischen Stil gebauten Grand Hotels Excelsior: mit riesigen transparenten Zelten, die wie Juwelen unter dem Sternenhimmel funkeln, gesäumt von legendär üppigen Buffets. Doch in diesem Jahr ist kaum jemandem zum Feiern zumute.

Der polnische Regisseur Jerzy Skolimowski sagt, als er auf der schlichten Bühne im Palazzo Del Cinema den Preis für sein Lebenswerk überreicht bekommt: "In diesen traurigen Tagen sind meine Gedanken bei den Menschen von Amatrice. Deshalb wäre jetzt nicht der richtige Augenblick für das schallende Gelächter eines Orson Welles, auch nicht für die feine Ironie eines Fellini. Mir bleibt nur, in Demut diese Auszeichnung anzunehmen." Kaum eine Pressekonferenz vergeht ohne Beileidsbekundungen. Damien Chazelle, Regisseur des Eröffnungsfilms "La La Land", sagt, er finde, dass "in solchen Zeiten die Romantik und die Entführung in andere Welten umso wichtiger und tröstlicher für die Menschen sein können". Seine Hauptdarstellerin Emma Stone pflichtet ihm bei. Chazelle und Stone und die anderen bemühen sich, so gut es geht, ihr Lachen in die Kameras zu halten, denn bei aller Trauer gehört das eben doch dazu: der rote Teppich, das Posieren, das Strahlen.

Um die Erdbebenopfer nicht nur ideell zu unterstützen, hat sich Paolo Baratta, der Präsident der Biennale von Venedig - der auch das Filmfest untersteht - für eine Spendenaktion entschieden: Der Erlös aus den Eintrittsgeldern der derzeit ebenfalls laufenden Architektur-Biennale geht in dieser Woche in einen Spendentopf für den Wiederaufbau. Zudem hat die Biennale ein Konto eingerichtet und ruft die Gäste und Besucher an vielen Stellen zu Spenden auf. Bei der glamourösesten der kleineren, von Firmen veranstalteten Partys rund ums Festival war das nicht zu übersehen.

Die findet alljährlich am Tag vor dem Festival auf der Dachterrasse des Hotels Danieli statt, ein Gebäude, das ganz nah am Dogenpalast steht und aus dem Blickwinkel von dessen Terrasse wie durch die Seufzerbrücke mit ihm verbunden zu sein scheint. Von dort oben aus konnte man nicht nur sehen, wie Venedig auf seine Weise Trauer trägt - weil viele der sonst hell illuminierten Kirchen und Paläste der Stadt im Dunkel blieben. Die Stars des Abends, allen voran Jurypräsident Sam Mendes, posierten vor einer Sponsorenwand, die ganz von einer Zahl dominiert war: der Kontonummer des Roten Kreuzes.

Nebenbei erzählte Sam Mendes, wie eng er sich Venedig und Italien verbunden fühle: Lange bevor er Filme wie "American Beauty" und die Bond-Abenteuer "Skyfall" und "Spectre" drehte, hat er Kunstgeschichte studiert, "1984 habe ich drei Monate davon als Praktikant in der Peggy Guggenheim Sammlung gearbeitet und ein halbes Jahr lang in Venedig gelebt." Seither hat sich viel verändert in Venedig. Auch wenn es neben der Schönheit dieser Stadt besonders die Missstände zu sein scheinen, die sich eine gefühlte Ewigkeit halten - weshalb man gar nicht oft genug auf die Verwunderung der erfahrenen Gäste des Filmfestivals hinweisen kann, die jetzt am Lido herrscht: "Das große Loch", eine von den Venezianern so getaufte Baugrube, die seit Jahren wie ein Schandfleck mitten auf dem Festivalgelände lag, ist weg.

Vor mehreren Jahren sollte dort für viele Millionen Euro ein neuer, repräsentativer Festivalpalast entstehen. Man fällte also die Bäume eines kleinen Parks, der dort raren Schatten spendete, und begann, die Grube auszuheben. Dann aber fand man zum einen dort angeblich Asbest und zum anderen keine Spur mehr von dem Geld, das in der kommunalen Kasse für den Bau bestimmt war. Der zuständige Bürgermeister landete unterdessen wegen eines anderen Korruptionsskandals im Gefängnis.

Der knallrote Kubus steht da wie ein Signal, geschickt von Venedig nach Amatrice

Sein Nachfolger verantwortet nun zwar die immer größere Zahl von Kreuzfahrtschiffen, die durch die Lagune pflügen, und einiges Skandalöse mehr, das dazu führen könnte, dass Venedig der Weltkulturerbestatus aberkannt wird, noch bevor es durch die Schiffe ganz in sich zusammengerüttelt wird. Doch eben auch das, was jetzt dort prangt, wo seit sieben Jahren Bauzäune herumstanden, mal mit, mal ohne Guckfenstern, mal aus Holz, mal aus Kunststoffnetzen: ein großer, knallroter Kubus. Er trägt den Namen "Sala Giardino" und soll nebenbei eine weitere Unbill beheben - dass die Bevölkerung früher kaum an Karten für des Festival kommen konnte. Die Karten für diesen "Gartensaal" mit seinen 450 Plätzen sind kostenlos und für jedermann erhältlich, nur rechtzeitig anstellen muss man sich dafür. Das Gebäude ist potenziell leicht ab- und an anderer Stelle wieder aufbaubar. Das Festival will flexibel reagieren können auf neue technische Anforderungen in der sich wandelnden Branche, heißt es.

Der knallrote Kubus steht da nun wie ein Signal, von Venedig an Amatrice und auch an den am Donnerstag von der Regierung ernannten Sonderbeauftragten für den Wiederaufbau: Aus Trümmern und Löchern kann manchmal doch Gutes entstehen. Es braucht halt Zeit.

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