Island:So schaut's aus

Vor 20 Jahren gründete Sigurður "Siggi" Hjartarsonein ein Penis-Museum in Reykjavik. Mit echten Exponaten. Seit Kurzem bereichert ein Antilopen-Phallus die Sammlung. Ein Besuch.

Von Silke Bigalke

Alles begann mit dem Scherz eines Kollegen. Der Kollege schenkte Sigurður Hjartarson vor 43 Jahren einen Ochsenziemer, einen gedörrten Rinderpenis, elastisch und gut geeignet als Hundeknochen oder als Schlagwaffe. Als Kind hatte Sigurður Hjartarson Kühe mit so einem Ziemer über Wiesen getrieben. Inzwischen war er Schuldirektor in einer Hafenstadt im Westen Islands. Jetzt hatte er also einen Rinderpenis als Zeigestock.

Es blieb nicht dabei. Das Kollegium brachte dem Schulleiter aus Jux immer mehr Exemplare des männlichen Geschlechtsorgans. Viele stammten von Walen, denn die Lehrer halfen im Sommer beim Walfang aus. Der Beschenkte, der nie viel von Tabus gehalten hatte, legte die Mitbringsel in Formaldehyd ein. "Mehr und mehr Penisse kamen ins Haus", sagte seine Frau einmal im TV-Interview. "Es geriet einfach außer Kontrolle."

Um die Familie zu entlasten, entschied Sigurður "Siggi" Hjartarson vor 20 Jahren, ein Museum zu eröffnen. Damals hatte er bereits 62 Ausstellungstücke, heute sind es 288, sie stammen von 89 verschiedenen Spezies. Menschen aus aller Welt schicken Penisse nach Reykjavik, ausgestopft, getrocknet oder eingefroren. Manchmal komme nur ein Penisknochen kommentarlos per Post, sagt Thordur Olafur Thordarson, der das Museum heute leitet. Das Problem ist, dass ihnen der Platz ausgeht.

Ein Penisknochen des Höhlenbärs? Alles da. Was lange fehlt: der Mensch

Also stehen die Penisse im Museum dicht gedrängt. Es sind hohe, runde Gläser mit Ausstellungstücken in allen Größen, die meisten blutleer und weiß wie Kalk, andere grau-grünlich. Sie stehen mehr oder weniger aufrecht in den gläsernen Röhren, glatte, haarige, verschrumpelte, gekringelte, in sich zusammengesunkene Organe in Flüssigkeit. Andere hängen ausgestopft wie Trophäen an der Wand. Trotzdem hat das Museum nichts Pornografisches. Es ist so unästhetisch wie es wohl jede Ansammlung konservierter Körperteilen wäre.

Der alte Schuldirektor Sigurður Hjartarson hat mal gesagt, er wolle die Leute dazu provozieren, anders auf die Dinge zu schauen als gewohnt. Ihn trieb aber auch der Ehrgeiz des Sammlers. Eisbär, Ziege, Feldmaus, Pferd, Rentier, Hund, Katze, Nerz, Stier, Fuchs, Schwein, Dachs, Elefant, Vielfraß, Kojote, Wolf, Biber, Siggi Hjartarson hat sie alle. Allein 22 verschiedene Wale und Delfine zeigt sein Museum, sechs Robbenarten und zwei Walrösser. Sein kleinstes Stück ist der Penisknochen eines Hamsters, keine zwei Millimeter lang. Das größte stammt von einem Pottwal, 170 Zentimeter, und das ist nur das obere Drittel. Es gibt Videoaufnahmen davon, wie das Exponat bei ihm ankam: In einer großen blauen Regentonne, bis oben gefüllt mit Wasser und Wal.

Sogar einen Penisknochen des ausgestorbenen Höhlenbärs konnte Siggi Hjartarson auftreiben. Nur eine Spezies fehlte ihm lange Zeit: der Mensch.

Der Dokumentarfilm "The last Member" zeigt Siggi Hjartarsons jahrelanges Bemühen darum, die Lücke zu schließen. Das Problem sei, erklärt er im Film, dass Island so klein ist. Jeder Spender würde sofort auffliegen. Wenn man mit nur einer Niere beerdigt würde, sei das kein großes Problem. Aber ohne Penis ins Grab? Der Spender könnte leicht zur Lachnummer werden, fürchtete Siggi Hjartarson.

Trotzdem unterschrieb im Mai 1996 der erste Isländer eine Schenkungsurkunde. Pall Arason war ein Playboy und Abenteurer, er führte Touristen in die isländischen Berge und Buch über seine sexuellen Eroberungen. Als er beschloss, dem Museum sein Zeugungsorgan zu spenden, war er fast 80 Jahre alt. Trotzdem musste der Museumsmann Siggi Hjartarson weitere 15 Jahre auf Pall Arasons Ableben warten.

In der Zwischenzeit kam der Amerikaner Tom Mitchell ins Spiel, der sein bestes Stück "Elmo" nannte und sich schon lange wünschte, dass es öffentlich ausgestellt würde. Der Texaner überlegte sogar, Elmo noch vor seinem Tod zu spenden. Am Ende bedrängte er den isländischen Sammler regelrecht: mit immer neuen Ideen und langen Mails über sein Geschlechtsorgan, mit Fotos von Elmo verkleidet als Santa Claus, als Abraham Lincoln und Wikinger.

Siggi Hjartarson wurde die Sache unheimlich. Er ging auf Abstand, wartete lieber auf den alten Isländer Arason. Der hätte kurz vor Schluss fast einen Rückzieher gemacht, weil mit seiner Männlichkeit passierte, was im Alter eben passiert: "Er ist geschrumpft", flüstert der bettlägerige Ex-Abenteurer in der TV-Doku in die Kamera.

Pall Arason starb im Jahr 2011. Siggi Hjartarson holte seine Spende beim Doktor ab, der das Behältnis liebevoll verpackt hatte, mit Schleife und Geschenkpapier. Er wusste, wie viel Siggi Hjartarson die Sache bedeutete. Mit 95 Jahren füllte Pall Arason endlich die Lücke in der Sammlung.

Sigurður Hjartarson setzte sich noch im selben Jahr zur Ruhe. Der heute 76-Jährige sei nur noch selten im Museum, sagt jetzt der Manager Thordur Olafur Thordarson. Vergangene Woche enthüllte das Museum feierlich den Penis einer Oryxantilope, Spende eines afrikanischen Ranch-Besitzers. Sechs neue Ausstellungstücke kamen im vergangenen Jahr in das Museum. 2017 war wirklich ein gutes Jahr. Nur der Zoll macht immer wieder Probleme.

Thordur Olafur Thordarson, der Museums-Manager, hat Theologie studiert. Das Museum, glaubt er, erfülle den Mann "mit einem Gefühl von Demut". Und es entmystifiziert den Penis, präsentiert ihn auf so nüchterne Art, steril, isoliert, abgetrennt vom Leben und von seiner Funktion, dass es deprimierend wäre, hätte der Museumsgründer nicht viel Humor in die Ausstellung gesteckt. Zum Beispiel in all die Dinge, die er eigenhändig aus Holz in Phallusform geschnitzt hat: Besteckgriffe, Salzstreuer, eine Telefonhörerhülle. Er hat sogar Lampenschirme aus Bullen-Hodensäcken aufgehängt.

Das Museum hat in seinem Fundus inzwischen auch fünf Spenderurkunden, von zwei Deutschen, zwei Amerikanern und einem Briten. Sie wollen sich nach ihrem Tod mit dem alten Pall Arason messen. Bleibt zu hoffen, dass das Museum vorankommt mit den Erweiterungsplänen. Und dass alles gut geht beim Zoll.

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