Irland:"Grausam und unmenschlich"

Das irische Parlament in Dublin stimmt über das rigide Abtreibungsgesetz ab, das Frauen bisher unter allen Umständen einen Abbruch verbietet. Es sei denn, die Schwangere selbst ist in Gefahr.

Von Cathrin Kahlweit

Der internationale Frauentag war von der irischen Regierung nicht zufällig gewählt worden, um dem Parlament den Text für ein Referendumvorzulegen, mit dem sich, sollte die Mehrheit der Iren dafür stimmen, das Leben der Frauen in der Republik grundlegend verändern würde. Was dann einen Tag später, am Freitag, im Parlament in Dublin stundenlang mit Verve, Herzblut, Empörung und einigen Tränen diskutiert wurde, wäre eine Revolution: die Abschaffung des achten Verfassungszusatzes, des legendären "Eighth Amendment". Er war nach einem ersten Referendum 1983 eingeführt worden und stellt das Lebensrecht eines Fötus und einer Schwangeren auf eine Stufe. Für Irland heißt das bis heute: Eine Frau darf nicht abtreiben. Nicht, wenn sie krank oder arm ist. Nicht, wenn sie vergewaltigt wurde. Nicht, wenn das Ungeborene droht, mit schweren körperlichen oder geistigen Beeinträchtigungen geboren zu werden. Einzige Ausnahme: Das Leben der Mutter ist in akuter Gefahr. Ein so radikales Abtreibungsrecht gibt es in Europa sonst nur in Polen - und in Nordirland.

Geschätzt mehr als 170 000 Frauen sind seit Einführung des Verbots außer Landes, überwiegend nach Großbritannien, gereist, um dort abzutreiben. Ein illegaler Schwangerschaftsabbruch wird in Irland mit bis zu 14 Jahren Gefängnis bestraft. Das Menschenrechtskomitee der Vereinten Nationen nennt die irische Praxis "grausam, unmenschlich und herabwürdigend". Zweimal in den vergangenen Jahren hatte sich die internationale Gemeinschaft in die aufgeheizte Debatte eingemischt; beide Male ging es um dramatische Fälle, über die weltweit berichtet wurde. Siobhán Whelan hatte sich 2010 gezwungen gesehen, nach Liverpool zu reisen, um dort einen Abbruch vorzunehmen, nachdem ihr irische Ärzte gesagt hatten, ihr Kind habe schwere genetische Schäden, die dazu führen mussten, dass es entweder tot geboren würde oder nur wenige Stunden zu Leben hätte. Kein Arzt habe ihr daheim geholfen, keiner sie beraten, keiner sie bedauert, so Whelan. Sie ging an die Öffentlichkeit und reichte Klage ein.

Eine ähnliche Tragödie durchlitt Amanda Mellet; auch sie trieb im Königreich ab, weil sie in Irland gezwungen worden wäre, ihr nicht lebensfähiges Baby auszutragen. Sie reichte ebenfalls Klage ein, gewann - und war die erste Irin, die vom Staat für das erlittene Trauma Schadenersatz erhielt. Vertreter der Kampagne zur Rücknahme des achten Verfassungszusatzes argumentieren seit Jahrzehnten, das radikale Abtreibungsrecht führe zu Menschenrechtsverletzungen.

Das sieht wohl auch der junge, liberale, offen schwule Premierminister in Dublin, Leo Varadkar, so. Er setzt sich für eine Lockerung des Abtreibungsverbots ein und findet, wie in den meisten Ländern Europas, so solle auch in Irland in Zukunft die Frau bis zum Ende der zwölften Woche selbst bestimmen können, ob sie ein Baby austragen wolle oder nicht. Bei dem anstehenden Referendum gehe es darum, so Varadklar, "dass man den Frauen die Entscheidung überlässt und ihnen zutraut, selbst zu wissen, was am besten für sie und ihre Familien ist."

Wenn alle organisatorischen Hürden genommen sind, soll die Volksabstimmung am 25. Mai stattfinden. Die Chancen für ein Ja stehen recht gut, aber es könnte knapp werden. Der Einfluss der katholischen Kirche, die das drakonische Verbot einst befürwortet hatte, ist zwar gesunken, die irische Gesellschaft bunter und offener geworden. Aber der Wahlkampf zu dem sensiblen Thema wird das Land aufwühlen. Umfragen besagen, dass etwas mehr als 56 Prozent für die Abschaffung des Gesetzes und 15 Prozent unentschieden sind. Befürchtet wird, dass die Kampagne in den kommenden Wochen alte Wunden aufreißt und das Land neu spaltet.

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