Interview:Steppe statt Amazonas, Wüste in Spanien

Ganze Völker sind im Lauf der Geschichte verschwunden, weil sich das Klima verändert hat, sagt Hans Joachim Schellnhuber. Der Leiter des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung glaubt: Die Erwärmung heute kann aufgehalten werden. Vermutlich.

Alex Rühle

SZ: Herr Schellnhuber, im Sommer 2003 staunten wir noch über die Hitze, muss sie uns jetzt normal vorkommen?

Amazonas, Foto: AP

Willkommen im Amazonas: Im vergangenen Jahr verschwanden vorübergehend ganze Seen in Brasilien, wie hier der Curuai-See im brasilianischen Staat Para.

(Foto: Foto: AP)

Schellnhuber: Nein. Nach den nicht gerade rosigen Klimavorhersagen sollte ein Sommer wie dieser erst ab 2040 normal sein. Ab 2060 wäre so etwas dann sogar ein eher kühles Ereignis.

Wenn sich aber jetzt schon wieder solch ein stabiles Hoch ausbildet, ist das schon überraschend. Unangenehmerweise beobachten wir aber relativ viele Phänomene, die unseren eigenen Prognosen vorauseilen.

SZ: Zum Beispiel?

Schellnhuber: Als wir 1992 das Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung gründeten, wussten wir, dass die Menschen das Klima beeinflussen und dass unsere physikalischen Grundannahmen stimmen, aber die Schnelligkeit und das massive Ausmaß der Folgen waren uns nicht klar.

Die Verstärkung der Hurricanes, die mögliche Versteppung des Amazonas - das sind Dinge, die erst in den letzten Jahren auf unserem Radarschirm erschienen.

SZ: Der Amazonas versteppt?

Schellnhuber: Das worst case scenario besagt, dort wird im Jahr 2100 leere Steppe sein. Es gibt aber jetzt schon fleckenweise Steppenbildung im Nordosten des Amazonasgebiets.

Und wenn Sie sich die Dürreprognosen für den Mittelmeerraum ansehen - Spanien, wie es jetzt ist, wird sich nicht halten lassen. Man wird dort keine herkömmliche Landwirtschaft mehr betreiben können, und es wird wohl auch für den Tourismus zu heiß werden.

SZ: Die amerikanische Journalistin Elizabeth Colbert ist an Orte gefahren, an denen die Auswirkungen des Klimawandels schon heute zu spüren sind, und hat ihre Begegnungen in dem Buch "Vor uns die Sintflut" zusammengefasst.

Alle Klimabeobachter sind sich einig: Der Wandel vollzieht sich schneller, als sie noch vor zehn Jahren vermuteten. In Grönland schwimmen den Forschern ihre Stationen im Schmelzwasser davon.

Schellnhuber: Ja, da könnte es bald noch viel wärmer werden als während des mittelalterlichen Klimaoptimums, in dem die Wikinger Grönland besiedelten.

SZ: Muss man sich Grönland damals so vorstellen wie heute Island?

Schellnhuber: Es gab da ab dem 11. Jahrhundert eine blühende Infrastruktur, Viehwirtschaft, große Gehöfte, prächtige Kirchenfenster. Als dann die kleine Eiszeit kam, brach diese Kultur zusammen. Es heißt, um 1600 wollte ein spanisches Handelsschiff von Amerika kommend an Land gehen und fand den letzten Einwohner tot an der Mole.

SZ: Der hatte da alleine in der Kälte auf seine Rettung gehofft?

Schellnhuber: Anscheinend. So etwas passiert, wenn man sich an eine Klimaveränderung nicht anpassen kann.

SZ: Teilen Sie die Ansicht einiger Anthropologen, dass der Neandertaler das Opfer zweier dramatischer Kälteeinbrüche vor 30000 und 40000 Jahren wurde?

Schellnhuber: Vor 10 Jahren galten solche Thesen als Folklore. Inzwischen häufen sich Belege, dass viele Kulturen klimabedingt zusammenbrachen.

Nehmen Sie die Anasazi im Südwesten der USA; eine großartige Kultur mit ausgedehnten Städten, ausgeklügelten Bewässerungssystemen und wunderbarer Goldschmiedekunst. Im 13. Jahrhundert gab es so heftige Dürren, dass sie verschwanden. Niemand weiß, wohin.

SZ: Kann ein Klimawandel einer Kultur auch zur Blüte verhelfen?

Schellnhuber: Vor 5500 Jahren verschlechterte sich im nordafrikanischen Raum und im Nahen und Mittleren Osten die klimatische Situation. Der westafrikanische Monsun kam plötzlich nicht mehr tief ins Inland hinein. Damals wurde die Sahara zur Wüste. Sie kennen "Der Englische Patient".

Da stürzt doch das Liebespaar hollywoodgemäß an der kulturgeschichtlich schönsten Stelle der Sahara ab, bei diesen Höhlenmalereien, auf denen man schwimmende Menschen sieht. Da haben sich seinerzeit die Nilpferde getummelt, alles war grün. Heute ist das Zentralsahara.

SZ: Das klingt nicht unbedingt nach einem positiven Effekt.

Schellnhuber: Die Menschen, die damals weit verteilt in diesen Savannen lebten, mussten sich in die Täler von Nil, Euphrat und Tigris zurückziehen: Die Geburtsstunde der Kulturen des Nahen und Mittleren Ostens.

Das waren alles sogenannte hydraulische Gesellschaften, Zivilisationen, die die begrenzte Ressource Wasser auf begrenztem Raum optimal bewirtschafteten. Dadurch sind erst bestimmte Zweige der Mathematik und des Verwaltungswesens entstanden. Da hat das Klima für die Kultur Pate gestanden.

SZ: Und inwieweit war das Wetter uns Europäern kulturgeschichtlich hold?

Schellnhuber: Sieht man sich die Temperaturschwankungen auf der Nordhalbkugel über die letzten 700000 Jahre an, dann sieht man wüsteste Fluktuationen. Teils wurde es da in einer Dekade um zehn Grad wärmer oder kälter. Und dann, wie abgeschnitten, im Holozän, also in den letzten 15000 Jahren, ein fast konstantes Weltklima - ideale Voraussetzung für Zivilisationen höheren Grades.

In den gemäßigten Breiten sind wir zusätzlich begünstigt, es gibt keine Wetterextreme wie Wirbelstürme oder schwere Dürren. Alle Zivilisationen, die vom Mittelalter bis hinein ins 20. Jahrhundert die Welt beherrscht haben, lebten in gemäßigtem Klima und hatten fruchtbare Böden.

Das sind ganz kleine Bereiche: Mitteleuropa, die Ostküste der USA, ein Streifen von Kalifornien, kleine Teile von Indien und einige Gegenden Chinas.

SZ: Nun hat Ambrose Bierce zwar mal gesagt, Wetter sei das Klima einer Stunde. Aber ein schöner Sommer muss ja noch nicht Klimakatastrophe heißen.

Schellnhuber: Dieses Wetter ist noch kein Abbild des durchschnittlichen Klimas. Aber Sie müssen sich die Entwicklung vorstellen wie eine Kurve, die im Zickzack stetig nach oben geht. Ich hoffe ja, dass wir uns irgendwo täuschen, wissenschaftlichen Blödsinn gemacht haben.

Da würde man dann zwar seinen Ruf als Forscher verlieren, aber dafür hätten wir all die kommenden Probleme nicht. Aber die Kurve geht nunmal hoch.

SZ: Sind Klimatologen Melancholiker?

Schellnhuber: Immerhin glauben wir zu wissen, wie man die Klimaveränderungen in den Griff bekommen könnte, müssen aber mitansehen, wie heute die Weichen falsch gestellt werden. Das kann einen ziemlich mitnehmen.

SZ: Warum leben wir so unvernünftig?

Schellnhuber: Langfristige Probleme sind von modernen Gesellschaften mit ihren kurzatmigen Zyklen nicht zu bewältigen. Man will keine Vorsorge leisten, der Anspruch soll aber ewig gelten. Die meisten unserer Kraftwerke müssen bald ersetzt werden; hier könnte man in der Energiepolitik umsteuern.

Obwohl die Dinge erst in der Zukunft passieren, werden sie heute entschieden. Wir haben also langfristige Probleme mit nur noch sehr kurzfristigen Entscheidungsfenstern. Das ist das Gemeinste von allem.

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