Interview am Morgen:"In den nächsten Tagen könnte sich die Wetterlage umstellen"

Was die Kälte in Nordamerika mit der Wärme in Europa zu tun hat, erklärt Wetterexperte Michael Hoffmann im Interview am Morgen.

Von Hans von der Hagen

Das Internetportal Wetterprognose-Wettervorhersage.de gibt es in Deutschland seit sieben Jahren. Michael Hoffmann, der sich seit 30 Jahren mit Meteorologie beschäftigt, betreut sie mit einem kleinen Team. Das Besondere: Auf der Seite wird nicht nur das aktuelle Wetter dargestellt, sondern es werden auch die möglichen längerfristigen Trends erläutert.

SZ: Deutschland erlebt einen kräftigen Sturm und mal wieder zweistellige Plusgrade mitten im Hochwinter. Müssen wir uns daran gewöhnen?

Grundsätzlich gehören Sturm und Wärme zu jedem normalen Winter dazu. Angefacht wird die aktuelle Entwicklung allerdings durch die eisige Luft, die gerade von Nordkanada nach Neufundland strömt. Über dem Atlantik vor Neufundland liegt die Wetterküche Europas, weil dort eisige Luft aus dem Norden auf wärmere Luft über dem Wasser trifft und die Tiefdruckproduktion in Gang setzt.

Interview am Morgen

Diese Interview-Reihe widmet sich aktuellen Themen und erscheint von Montag bis Freitag spätestens um 7.30 Uhr auf SZ.de. Alle Interviews hier.

Was passiert in der Küche?

Aufgrund der Temperaturunterschiede entstehen derzeit in rascher Folge Tiefdruck-Systeme, die über den Atlantischen Ozean nach Europa kommen und dann eben auch über Deutschland hinwegrauschen. Ein Sturm wie am Mittwoch über Deutschland entsteht gerne mal am südlichen Rand eines Tiefdrucksystems, dessen Kern über der Nordsee zwischen Großbritannien, Skandinavien und Deutschland lag. Weil mit den Tiefdrucksystemen die warme Luft über dem Atlantik bis weit nach Europa hinein strömt, ist es jetzt gerade so mild - und regnerisch.

Viele Nordamerikaner dürften dagegen die aktuelle Winterperiode mit Temperaturen bis unter 40 Grad als ungewöhnlich kalt empfinden. Warum reicht die Kälte soweit nach Süden?

Über dem Westen Kanadas liegt aktuell ein Hochdrucksystem, über dem Osten ein Tiefdrucksystem. Darum entsteht über dem Kontinent eine kräftige Strömung, die Luftmassen polaren Ursprungs bis weit in den Süden treibt. Zudem liegen weite Teile Nordamerikas unter einer Schneedecke und die Sonne hat keine Chance, die Erdoberfläche zu erwärmen. Das Sonnenlicht wird durch die Schneedecke abgestrahlt, die Kälte produziert sich also gewissermaßen selbst.

Was bedeutet das für das Wetter in Europa?

Je länger dieser Prozess andauert, desto wahrscheinlicher ist ein milder Winter in Europa, weil in der Wetterküche immer weiter fleißig Tiefdrucksysteme produziert werden. In der Statik gilt die Regel: Actio gleich Reactio, jede Aktion hat eine Gegenreaktion zur Folge. Ich finde, diese Regel lässt sich ganz schön auf das Wetter übertragen: Wenn es irgendwo eine heftige Entwicklung gibt, folgt anderswo eine ebenso heftige Gegenentwicklung. Wenn also wie jetzt Kanada und die USA mit Kaltluft geflutet werden, fließt anderswo eben - wie jetzt in Europa - viel Wärme nach Norden.

Wie geht der Winter nun weiter?

Wenn sich eine Wetterlage erst mal etabliert hat, neigt sie dazu, sich selbst zu stabilisieren. Meteorologen sprechen darum gerne von der Erhaltungsneigung von Strömungsmustern. Das heißt: die Nord-Süd-Strömung in Nordamerika wird sich so schnell nicht mehr ändern. Das war auch schon ein wesentlicher Grund dafür, warum die letzten vier Winter bei uns zu warm waren. Trotzdem könnte sich in den nächsten Tagen die Großwetterlage umstellen.

Was passiert?

Manche Wettermodelle berechnen für die Zeit etwa ab dem 6. Januar ein stabiles Hochdrucksystem über Skandinavien. Sollte das wirklich so kommen, dann würden Deutschland, Österreich und die Schweiz in eine Ostströmung gelangen. In dem Fall würde sich das bisherige Strömungsmuster von West nach Ost plötzlich umstellen: Die Luft fließt dann von Ost nach West.

Wird es dann hier kälter?

Normalerweise würde das kalten Hochwinter bedeuten. Aber weil die Westströmung gerade so übermäßig aktiv ist, fehlt die große Kälte über Osteuropa. Selbst bei einer Ostströmung würde es darum hier nicht mehr richtig kalt werden. Aber für leichten Dauerfrost in Deutschland dürfte es noch reichen.

Wie sicher ist diese Entwicklung?

Das lässt sich noch nicht sagen. Für uns ist das gerade sehr spannend. Andere Wettermodelle kommen zum Schluss, dass alles so bleibt wie bisher.

Gibt es unter Meteorologen Faustregeln, wie sich das Wetter unter bestimmten Bedingungen entwickelt?

Es gibt höchstens signifikante Signale, das Wetter hält sich leider weder an Statistiken noch an Faustregeln. Aber häufig gilt: mild "gewinnt" oft.

Gut, und wie sind die signifikanten Signale?

Wenn wie jetzt in Kanada unentwegt Kaltluft in Richtung von Neufundland strömt, dann hat der Winter bei uns grundsätzlich schlechtere Karten. Nur bei speziellen Wetterlagen wird es dann noch bei uns Winter. Statistisch gesehen folgt auf einem warmen Winter ein weiterer warmer Winter. Erst der dritte und vierte Winter wird dann wieder kälter. Aber diese Regel wird gerade gebrochen. Bleibt der aktuelle Winter wie er ist, wäre es der fünfte zu warme Winter in Folge. Im Augenblick ist man als Meteorologe meist auf der sicheren Seite, wenn man einen zu milden Winter prognostiziert.

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