Ingrid Betancourt: Buch über Geiselhaft:"Ich war nicht sensibel genug"

Zwei Jahre nach ihrer Befreiung veröffentlicht Ingrid Betancourt ein Buch über ihre sechsjährige Geiselhaft im kolumbianischen Dschungel. Die Franko-Kolumbianerin schildert eine "brutale Welt" - doch eine andere Geisel erhebt schwere Vorwürfe.

Angelika Hild

"Dieses Buch ist so leidenschaftlich, dass man oftmals vergisst, dass die Autorin aus dieser Hölle entkommen ist. Es liest sich wie ein Abenteuerroman." So schwärmt die französische Tageszeitung Le Monde von dem lange erwarteten Buch "Kein Schweigen, das nicht endet" der früheren kolumbianischen Präsidentschaftskandidatin und Ex-Geisel Ingrid Betancourt.

Ex-Geisel Betancourt veröffentlicht Erinnerungen

Ingrid Betancourt schlägt in ihrem Buch auch selbstkritische Töne an - zumindest am Rande.

(Foto: dpa)

Ganz anders urteilt Clara Rojas, Betancourts ehemalige Wahlkampfmanagerin, die in dem Werk nur "Lügen und Gemeinheiten" findet. Rojas wurde 2002 mit Betancourt zusammen von den Farc-Rebellen entführt und erhebt nun schwere Vorwürfe: Einige Passagen seien "frei erfunden".

Es sei falsch, sagte Rojas einem Radiosender, dass sie die Farc freiwillig um Erlaubnis gebeten habe, mit einem Aufständischen ein Baby zu bekommen. "Ich hätte sie gerne vor mir, damit sie mir die Beweise nennt", so Rojas, die 2004 während der Gefangenschaft einen Jungen zur Welt brachte, über Betancourt. "Wie kann sie es wagen, so etwas zu unterstellen, wenn sie keine Beweise hat. Das ist infam", schimpfte Rojas.

Stattdessen habe ihr Betancourt einmal geraten, ihren Sohn Emmanuel den Rebellen zu überlassen, ihn einfach zu vergessen. "Jahre sind seit der Befreiung vergangen und sie ist nicht einmal imstande gewesen, mich anzurufen. Warum ruft sie mich nicht an, wenn sie Zweifel hat?", fragte Rojas.

Betancourt selbst bleibt bei ihrer Version, dass Rojas einen Antrag stellen musste, um ihr Kind zu bekommen. Im Interview mit dem Spiegel erklärte sie, man hätte bei den Farc für alles Anträge gebraucht. Einer der Geiselnehmer habe ihr als Erster davon erzählt.

In ihrem Buch beschreibt Betancourt laut Le Monde aber auch, wie Rojas und sie während der Haft immer mehr Ressentiments gegeneinander entwickelt hätten. Dies sei vor allem auf die extreme Enge zurückzuführen gewesen, in der sie gelebt hätten. Sie hätten einen gemeinsamen Fluchtversuch unternommen, der aber misslang.

"Ich war nicht sensibel genug"

Schon andere Ex-Geiseln, die mit Betancourt während ihrer Geiselhaft zeitweise in denselben Farc-Lagern festgehalten wurden, hatten der Politikerin Arroganz vorgeworfen. "Ich war nicht sensibel genug, um ihre Verzweiflung zu verstehen", so Betancourt heute über die Mitgefangenen, die sich neben dem prominenten Geiselopfer, für das sich alle Welt engagierte, noch verlassener vorgekommen sein müssten. "Ich sah mich als ein Symbol, das uns allen nutzen könnte. Ich verstand nicht, dass jeder ein Gesicht braucht", gestand sie nun ein.

Betancourt war 2008 aus der Hand der Farc-Rebellen befreit worden. In ihrem Buch schildert sie ihre grausamen Erlebnisse während der Gefangenschaft - das Lagerleben, die Erniedrigungen, die gescheiterten Fluchtversuche, die brutalen Aufseher, das schwierige Verhältnis der Gefangenen untereinander.

Keine Affäre mit Rebellenchef

Die 48-Jährige dementierte auch Gerüchte, sie habe während ihrer Gefangenschaft eine Beziehung zu Farc-Chef Alfonso Cano gehabt. "Es gab furchtbare Geschichten in der Presse", sagte Betancourt der Zeitung Libération. Sie habe Cano noch nicht einmal zu Gesicht bekommen. "Ich habe die schlechteste nur vorstellbare Behandlung erhalten, ich war dabei, vor Angst, Schmerz und Einsamkeit zu sterben, und sie behaupteten, ich sei die Geliebte von Cano. So, als ob ich im Urlaub sei."

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Die frühere kolumbianische Präsidentschaftskandidatin Ingrid Betancourt in New York.

(Foto: AFP)

Eine Welt absoluter Brutalität

Die Farc-Rebellen hätten oft versucht, Konflikte zwischen den Geiseln zu schüren, so Betancourt. Mehrere Gefangene hätten zusammen auf Behelfstoiletten gehen müssen - unter ständiger Überwachung der Guerilleros, die sich zudem noch über sie lustig machten. Dasselbe sei beim Waschen im Fluss passiert.

Betancourt beschreibe in ihrem Buch eine Welt absoluter Brutalität, in der das Leben des Einzelnen nichts wert sei, so Le Monde. Sie deute außerdem an, dass sie missbraucht worden sei. Um ihre Würde und Identität zu bewahren, habe sie sich oft in eine Art "Winterschlaf" gerettet. Trotzdem habe sie Freundschaften zu Mitgefangenen gepflegt.

Die Franko-Kolumbianerin war nach ihrer Befreiung groß gefeiert worden, sie wurde als Nobelpreisträgerin und erneut als Präsidentschaftskandidatin ins Gespräch gebracht.

Später bekam dieses strahlende Image Kratzer: Sie ließ sich von ihrem Mann scheiden, eine Entschädigungsforderung in Millionenhöhe an den kolumbianischen Staat, die sie anschließend unter Tränen zurückzog, brachte ihr Kritik und Häme ein. Die vergangenen eineinhalb Jahre hatte sie sich aus der Öffentlichkeit zurückgezogen, um ihr Buch zu verfassen, das heute auch in deutscher Übersetzung erscheint.

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