Indonesien:Neues Trauma

Zwölf Jahre nach dem Tsunami wird Indonesien wieder von einer Naturkatastrophe erschüttert: Ein Erdbeben kostet fast hundert Menschen das Leben.

Von Arne Perras, Singapur

Said Mulaydi fuhr sofort ins Krankenhaus, der Landrat ahnte, dass die Klinik viel zu klein sein würde für all die Verletzten. "Wir müssen die schweren Fälle verlegen", sagte er schon wenige Stunden nach dem Beben der Stärke 6,5, das am frühen Mittwochmorgen die Nordspitze der Insel Sumatra erschütterte. Ärzte und Pfleger fehlen jetzt überall, um die Überlebenden zu versorgen. Besonders stark hat es das Gebiet Pidie Jaya an der nördlichen Ostküste Sumatras getroffen, etwa 110 Kilometer von der Provinzhauptstadt Banda Aceh entfernt.

Zwölf Jahre nach dem verheerenden Tsunami ist das Grauen nach Aceh zurückgekehrt. Die Erde bebte um fünf Uhr morgens, als viele noch schliefen. Einigen gelang es gerade noch rechtzeitig, aus ihren Häusern zu springen, aber für viele wurden die Trümmer zum Grab. Mulaydi vermutete am Mittwoch, dass die Opferzahlen immer noch stark ansteigen dürften. Bis Mittwochabend waren es nach Angaben des indonesischen Militärs bereits fast 100 Tote. Mehrere Hundert Gebäude stürzten ein, darunter zahlreiche Moscheen, ein Krankenhaus und eine Schule.

Jene, die schon Freunde und Verwandte durch den Tsunami verloren, durchleben das Trauma jetzt noch einmal. Zwar gab es dieses Mal keine zerstörerische Welle und das Ausmaß der Schäden durch die Erschütterungen ist weitaus geringer als im Jahr 2004, als allein auf der Insel Sumatra mehr als 120 000 Menschen starben. Aber der mentale Stress und die Verunsicherung ist auch für katastrophenerprobte Indonesier eine enorme Belastung. Fitri Abidin, die nahe am Strand wohnt, erzählte, der Schock sei so groß für sie gewesen, dass sie gar nicht mehr wusste, wie sie laufen und atmen sollte. Schließlich schaffte sie es mit ihrem Mann doch noch hinauf auf einen nahe gelegenen Hügel, wo die beiden stundenlang ausharrten. "Ich dachte, ein Tsunami kann uns jederzeit treffen."

Indonesiens Präsident Joko Widodo wies alle Behörden umgehend an, mit Hochdruck an der Rettung der Verschütteten zu arbeiten, Tausende Helfer waren im Einsatz. Schweres Gerät ist auf der Insel zwar vorhanden, doch müssen weitere Bagger und Kräne erst noch in die am stärksten betroffenen Gemeinden an der Ostseite Acehs verlegt werden.

Mehr als die Hälfte der 250 Millionen Indonesier lebt in gefährdeten Gebieten

Im Fernsehen des Inselstaates wurde indessen diskutiert, weshalb nicht mehr Familien und Gemeinden erdbebensicher bauen. Katastrophenminister Sutopo Wurwo Nugroho glaubt, dass die Bürger mehr Subventionen des Staates dafür brauchen, damit sie geeignete Baustoffe und Techniken einsetzen. Die Kosten dafür lägen bis zur Hälfte höher als für ein gewöhnliches Haus, was sich viele Menschen nicht leisten könnten. Allerdings würden solche Finanzhilfen dem Staat angesichts der Dimensionen sehr viel abverlangen. Wie der Minister erklärte, leben weit mehr als die Hälfte der 250 Millionen Indonesier in durch Erdbeben gefährdeten Gebieten.

Den Rettungskräften war es im Laufe des Tages allerdings gelungen, immerhin vier Menschen noch lebend aus den Trümmern zu bergen, wie das Militär erklärte. Und sie haben die Hoffnung noch nicht aufgegeben.

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