Indien:Zehn Millionen in Delhi zeitweise ohne Wasser

Delhi faces a water crisis after key water supply line is closed

Wie leicht es doch ist, die Lebensader einer Megacity zu sabotieren: Die Menschen in Delhi brauchen Wasser.

(Foto: dpa)
  • Demonstranten der Kaste der Jats sabotieren eine der wichtigsten Wasserleitungen Delhis.
  • Zehn Millionen Bewohner sind zeitweise von der Wasserversorgung abgeschnitten.
  • Das Ziel der Aktion: Die Gruppe will als "rückständig" eingestuft werden.

Von Arne Perras, Singapur

Wenn eine 20-Millionen-Metropole von einem Tag auf den anderen auf dem Trockenen sitzt und die Wasserhähne keinen Tropfen mehr hergeben, dann muss es schnell gehen. In dieser Krise zählt jede Stunde. Deshalb hat die indische Regierung auch nicht gezögert, die Armee auszuschicken. Sie soll es nun richten, nachdem wütende Demonstranten am Wochenende eine der wichtigsten Wasserleitungen in die Hauptstadt sabotierten.

Seither arbeiten Ingenieure unter militärischem Schutz rund um die Uhr. Sie sollen größeres Elend von der Hauptstadt abwenden. Ob - und vor allem wie schnell - ihnen das gelingen wird? Am Dienstagmorgen teilte der zuständige Minister, Kapil Mishra, mit, die Wasserversorgung sei "teilweise wiederhergestellt" worden, wie unter anderem die britische BBC berichtet. Das gelte für das Zentrum und den Nordteil Delhis. Im Westen der Stadt werde die Wasserversorgung "hoffentlich" am Dienstagabend zumindest teilweise wieder laufen.

Noch am Montagmittag waren zehn Millionen Bewohner von Delhi von der Wasserversorgung abgeschnitten, wie die Behörden bestätigten. Auch jetzt warnte der Minister: "Die Krise ist noch nicht vorbei." Er rief die Einwohner der Stadt dringend dazu auf, auch weiterhin nur wenig Wasser zu verbrauchen.

Wie leicht es ist, die Lebensader einer Megacity zu sabotieren

Die Megacity lechzt nach Wasser, und schuld daran sind Unruhen nordwestlich von Delhi. Im benachbarten Bundesstaat Haryana protestieren seit Tagen wütende Demonstranten, die der Volksgruppe der Jats zugerechnet werden. Sie fühlen sich vom Staat benachteiligt und verlangen, dass die Regierung sie besser stellt. Während des Aufstands starben mindestens 16 Menschen, Hunderte wurden verletzt. In ihrem Zorn haben Demonstranten nicht nur Straßen und Züge blockiert. Sie besetzten und beschädigten auch einen der wichtigsten Kanäle für die Hauptstadt.

So war Delhi von fast zwei Dritteln seines Wassers abgeschnitten. Ohnehin bekommt der Ort wenig Regen ab. Und er ist auch nicht durch gutes Wassermanagement aufgefallen. Zahlreiche Viertel sind selbst in gewöhnlichen Zeiten miserabel versorgt. Und der Fluss Yamuna ist eine Kloake.

Während Kolonnen von Tanklastern am Montag versuchten, die Engpässe zu überbrücken, wunderten sich manche, wie leicht es doch war, die Lebensader einer solchen Megacity zu sabotieren. Ein paar wütende Randalierer reichten offenbar schon aus, um Delhi in die Wasserkrise zu stürzen. Am Montag wusste noch keiner, wie lange die Techniker brauchen würden, den ruinierten Munak-Kanal wieder herzurichten. Es hieß aber, dass es bis zu zwei Wochen dauern könne bis die Schäden repariert seien.

Die Regionalregierung unter Premier Arvind Kejrival hatte bereits Notfallpläne ausgearbeitet, Wasser zu rationieren, falls die Krise doch anhält. Manche Bewohner hatten gerade noch rechtzeitig Lebensmittel und Kanister voller Wasser gebunkert, als es erste Warnungen gab.

Worum es bei dem Aufstand geht

5000 Soldaten sind nach Haryana ausgerückt. Einige Einheiten schützen jetzt den Kanal, andere sichern diverse Ortschaften in den Unruhegebieten, um weitere Gewaltausbrüche zu verhindern. Wenn alles nach Plan läuft, ist Delhi noch einmal mit dem Schrecken davongekommen. Den Zorn der Jats zu dämpfen, dürfte noch länger dauern.

Auf den ersten Blick wirkt es reichlich seltsam, was die aufgebrachten Jats fordern. Tausende verlangen, dass der Staat sie endlich als "rückständig" einstuft. Doch mit kollektivem Masochismus hat das nichts zu tun, hinter den organisierten Zornesausbrüchen steckt politisches Kalkül. Die Demonstranten machen Druck, damit der Staat sie künftig besser versorgt und ihnen Jobs und Plätze an den Universitäten verschafft.

Traditionell besitzen die Jats viel Land und zählen im Kastensystem zu den höher stehenden Gruppen. Doch die Landwirtschaft steckt in der Krise. "Das schürt viel Unzufriedenheit", erklärt Entwicklungsexperte Sanjay Kumar in Delhi. Zwar sind einige Jats durch Landverkäufe nahe der City extrem reich geworden, aber das ist eine Minderheit. Viele sehen in wirtschaftlich schweren Zeiten nicht, was die Zukunft für sie noch bringen soll. Also fordern sie das, was der Staat den sogenannten "rückständigen Klassen" gewährt hat: Quoten für Beamtenjobs, Schulen, Universitäten.

Die indische Regierung setzt schon lange auf ein weit verzweigtes System der positiven Diskriminierung. Es sollte den am stärksten benachteiligten Schichten in der sozialen Hierarchie neue Aufstiegschancen verschaffen, soziale Gegensätze ausbalancieren und den Ärmsten aus dem Elend helfen. Doch dieses System schürt nun Unruhe, weil Angehörige höherer Kasten das Gefühl haben, dass sie zunehmend verlieren. So kommt es immer häufiger zu Aufständen von Gruppen, die ihren Abstieg fürchten. 2015 war dies in Gujarat der Fall, wo die Gruppe der Patels den Aufstand probte. Und so ist es jetzt bei den Jats, die nicht einmal davor zurückschrecken, Delhi das Wasser abzugraben, um auf sich aufmerksam zu machen.

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