Indien:Wo Atmen eine Kunst ist

Urban Smog As Delhi High Court To Announce Order On Traffic Restrictions

Verkehrsfluss? In Delhi war das ein Fremdwort, bis die Regierung einen Test begann.

(Foto: Prashanth Vishwanathan/Bloomberg)

Delhi ist die dreckigste Metropole der Welt. Was ihre Bewohner kaum glauben können: Die Regierung erprobt nun erstmals Strategien für reinere Luft.

Von Arne Perras, Delhi/ Singapur

Richtig zu atmen ist eine Kunst. Keiner weiß das besser als die Inder, die sich schon seit Jahrtausenden in Yoga üben. Allerdings braucht man dafür auch Luft, die diesen Namen verdient. Wer hoch oben im Himalaja lebt, muss sich darum nicht sorgen, saugt er doch herrliche Bergluft ein. Aber unten, in den großen Städten Indiens, ist das ganz anders. Und in der Metropole Delhi sowieso.

Die Luft ist dort längst nicht mehr auszuhalten, am schlimmsten sind die kalten und feuchten Wintermonate, wenn auch noch der Wind ausbleibt. Jahrzehntelang haben die Leute gelitten. Aber jetzt haben doch die meisten das Gefühl: Genug ist genug. Es muss etwas passieren, damit der Großraum Delhi mit seinen mehr als 20 Millionen Bewohnern nicht erstickt.

Die dreckigste Metropole der Welt zu säubern, wird eine gewaltige Aufgabe sein, alle wissen es. Aber irgendwann muss man wenigstens anfangen. Das hat die Regierung in Delhi getan, indem sie in der ersten Januarhälfte ein Verfahren getestet hat, um den Verkehr massiv zu drosseln. Die Methode war simpel: Den einen Tag durften nur Autos mit geraden Zahlen auf dem Nummernschild fahren, den anderen Tag waren die ungeraden Zahlen dran. Keine indische Erfindung, ähnliche Beschränkungen hat es in anderen Städten längst gegeben, und stets stellte sich heraus, dass die Methode als Dauerlösung nicht taugte. Dennoch: In Delhi wurde schon als Erfolg verbucht, dass ein solcher Test durchgezogen wurde. Bisher herrschte ein Gefühl von Ohnmacht, nun ging ein Ruck durch die Stadt, manche hatten das Gefühl, dass alle gemeinsam vielleicht doch etwas anschieben können.

Viele Bewohner konnten es kaum fassen, dass mal etwas für die Umwelt getan wurde

Noch ist aber gar nicht sicher, was der Versuch gebracht hat. Offenkundig waren viele beeindruckt, dass es selbst in Delhi so etwas wie einen Verkehrsfluss geben kann.

Ein völlig neues Erlebnis für alle, die sich ansonsten unablässig hupend, Stoßstange an Stoßstange, vorwärts wälzen. Delhis Transportminister Gopal Rai jubilierte nach der ersten Testwoche und verkündete, dass die besonders gefährlichen Partikel - als PM 2,5 bekannt - um bis zu 30 Prozent zurückgegangen seien. Am Ende des Tests bekräftigte die Regierung erneut, die Verschmutzung sei drastisch geringer ausgefallen. Allerdings gab es viel Verwirrung um die Messmethoden. Kritiker bemängelten, dass die Behörden Werte miteinander verglichen, die nicht an denselben Punkten erhoben wurden. Und das Forschungsinstitut Council of Energy, Environment and Water kam gar zu dem Schluss, es gebe "keinen schlüssigen Beweis" dafür, dass der Test die Luftqualität verbessert habe.

Das fahrende Volk hat die Beschränkungen ohne lauten Protest ertragen. Polizisten kassierten von allen, die sich mit dem falschen Nummernschild in den Verkehr gemogelt hatten, eine Strafe von umgerechnet 27 Euro. Das ist in Delhi viel Geld, aber einen Aufstand gab es nirgends. Zugleich spürten Millionen Inder aus den gehobenen Schichten, was die Armen in der Stadt täglich erleben: wie mühselig es ist, seinen Alltag ohne Auto zu organisieren. Das öffentliche Verkehrsnetz ist völlig unterentwickelt. Da wird der Weg zur Arbeit schnell zum frustrierenden Abenteuer.

Außerdem verpesten nicht nur Autos die Luft. Überall grillen die Inder gerne ihr Essen auf Kohle, Müll wird hemmungslos verbrannt. Baustellen produzieren tonnenweise Staub. Industrieanlagen pusten Gift in den Himmel. All diese Probleme muss Delhi in den Griff bekommen, damit die Schadstoffbelastung auf Dauer sinkt.

Eines aber hat der Test bestimmt erreicht: Seither reden alle ständig über Luft und Dreck. Das Bewusstsein für die Gefahren ist gewachsen. Kürzlich hatte die Regierung auf der Straße Lungentests angeboten. Jeder Dritte, der mitmachte, erfuhr, dass er unter einer eingeschränkten Lungenfunktion litt. Indessen griff Delhis Regierungschef Arvind Kejriwal zu drastischen Bildern, um seine Landsleute aufzurütteln. In einem Tweet zeigte er Aufnahmen zweier Lungen, die ihm ein Arzt geschickt hatte. Eine gehörte einem 55-jährigen Mann aus dem Himalaja, die andere einem 52-jährigen Bewohner von Delhi. Das Organ aus den Bergen schimmerte rosig-hell. Die Lunge aus der Stadt war rabenschwarz.

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