Indien:Terror im Namen der Kuh

Muslims offer prayers as they take part in a protest in Kolkata

"Nicht in meinem Namen" - Tausende Inder demonstrieren gegen Lynchmorde an Muslimen. In Kalkutta nehmen auch Muslime an den Protesten teil.

(Foto: Rupak de Chowdhuri/Reuters)

Hindu-Nationalisten lynchen einen 15-jährigen Muslim, weil er angeblich Fleisch des für sie heiligen Tieres bei sich trägt. Es ist nicht der erste Mord, der wegen einer Kuh verübt wird.

Von Arne Perras, Singapur

Zu den Feiern am Ende des Fastenmonats Ramadan wollte sich Junaid Khan seine eigenen Kleider aussuchen. Es sollte ein großer Tag werden und Junaid war aufgeregt, er bat seine Mutter, dass sie ihn doch gehen lassen solle mit seinen Brüdern, damit er sich Schuhe und eine Kurta in Delhi kaufen könne. Die Mutter stimmte zu und der stolze Junaid fuhr mit seinen Brüdern von seinem Dorf Khandawli in die Hauptstadt. Doch von dort kam er nicht mehr lebend zurück. Ein Mob hat den 15-jährigen Junaid im Zug auf der Rückfahrt mit sieben Messerstichen gelyncht.

Zwischen den muslimischen Brüdern und einer Gruppe von Hindus war es auf der Fahrt zum Streit gekommen, der eskalierte und den Zorn des Mobs entfesselte. Junaids Brüder wurden bei der Attacke verletzt, einer liegt mit Stichwunden im Krankenhaus.

Junaids Tod reiht sich ein in eine Serie tödlicher Übergriffe auf Angehörige der muslimischen Minderheit, sie wurden attackiert, weil sie angeblich Kühe schlachteten oder Kuhfleisch verzehrt haben sollen. Auch beim Mord Junaids war dieser Vorwurf im Spiel, wie indische Medien berichteten. Demnach behauptete der Mob, die Brüder würden Kuhfleisch bei sich tragen.

Den Hindus, die knapp 80 Prozent der Bevölkerung Indiens ausmachen, sind Kühe heilig. Die wenigsten Gläubigen würden allerdings so weit gehen, dass sie für den Schutz einer Kuh einen Mord gutheißen. Extremisten sehen das anders. Sie töten im Namen der Kuh. Und diesem Problem kann sich auch Premierminister Narendra Modi nicht mehr entziehen.

Modi weist gern darauf hin, dass Inder aller Religionen brüderlich gegen die Armut kämpfen sollten. Seine radikalen Hindu-Anhänger scheinen ihm allerdings dabei nicht folgen zu wollen. Am Tag des Mordes, dem 22. Juni, war Modi noch in Indien, bevor er nach Portugal, in die USA und die Niederlande reiste. Das beherrschende Thema war natürlich das Treffen mit Donald Trump. Gleichwohl notierten Zeitungen durchaus, dass weder Modi noch einer seiner Minister auch nur ein Wort über den Mord an Zunaid fallen ließen.

Kein Bedauern, keine Verurteilung. Sieben Tage lang war dies so. Bis der Premier doch noch das Wort ergriff und Tötungen im Namen der Kuhverehrung verurteilte. Er äußerte "Schmerz und Seelenpein" angesichts der Gewalt in Indien. "Niemand in diesem Land hat das Recht, das Gesetz in seine eigenen Hände zu nehmen." Modi erwähnte auch Mahatma Gandhi, der sich sehr um den Schutz von Kühen verdient gemacht habe. Gandhi hätte solche Gewalt nicht befürwortet, sagte Modi.

"Das Wort Beef ist zu einer Lizenz zum Töten geworden"

So wichtig die Worte waren, sie hinterließen Zweifel, ob sie denn ausreichen, um die Lynchjustiz einzudämmen. Ein Analyst in der Hindustan Times hat den Eindruck, dass die Schläger im Namen der Kuh "von einem unsichtbaren grünen Licht Modis ausgehen". Weil sie wissen, dass Modi in der hindu-nationalistischen Bewegung groß geworden ist, glauben sie offenbar, dass er heimlich hinter ihnen stehe. Dass Modi eine Woche verstreichen ließ, bevor er den Fall kommentierte, betrachten manche zumindest als Indiz dafür, dass er es nicht als vordringliche Aufgabe betrachtet, militante Kuhwächter zu stoppen.

In der Hindustan Times war über die Ergebnisse einer Studie zu lesen, die Meldungen über derartige Übergriffe seit dem Jahr 2010 ausgewertet hat. Im Artikel ist die Rede von "Kuhterror-Attacken", sie kosteten 28 Inder das Leben, 24 davon waren Muslime. 124 Menschen wurden verletzt.

Die indische Verbrechensstatistik weist Gewalttaten, die mit Streitigkeiten um die Kuh zu tun haben, nicht gesondert aus. Auffällig ist, dass 97 Prozent der seit 2010 registrierten Kuhterror-Attacken allein auf die vergangenen drei Jahre entfallen. 2014 war das Jahr, als Modis Partei die Wahlen gewann. Die siegreiche "Bharatiya Janata Party" (BJP), die seither auch bei regionalen Abstimmungen gut abschnitt, hat sich einem besseren Schutz von Kühen verschrieben, sie setzt scharfe Gesetze zum Schlachtverbot durch.

Der Mob, ermuntert durch den Staat

Doch unter dem Mantel des "Kuhschutzes" wüten nun auch Hindu-Schlägertrupps, die keiner zu stoppen scheint. Anfang April blockierte ein Mob einen Kuhtransport von Jaipur nach Delhi, zog Arbeiter vom Wagen und prügelte einen zu Tode. Die Tiere allerdings sollten gar nicht geschlachtet werden, sie fuhren zu einer Molkerei.

Aufgestachelt werden die Schläger von Hindu-Extremisten. So erklärte eine Hindu-Geistliche, Sadhvi Saraswati, vor wenigen Tagen in einer Rede, dass jene, die Kühe töten und deren Fleisch verzehrten, öffentlich gehängt werden müssten. Ein Editorial des Indian Express beklagte nach dem Tod des muslimischen Jungen, wie ruhig die von der BJP geführten Staaten und auch die von Premier Modi geführte Zentralregierung angesichts dieser Taten doch blieben. Wenn der Staat nicht eingreife, um solchen Morden vorzubeugen, sei die Schlussfolgerung unausweichlich: "Das Lynchen geschieht durch den Mob, doch der Mob fühlt sich ermuntert durch den Staat." Die Menschrechtsaktivistin Syeda Hameed schrieb: "Das Wort Beef ist zu einer Lizenz zum Töten geworden."

In neun Städten Indiens versammelten sich Demonstranten, um gegen die Lynchjustiz zu protestieren, es regt sich Widerstand, vor allem in der gebildeten Mittelschicht, doch die Massen mobilisieren die Aktivisten damit nicht. Im Mordfall Junaid Khan wurden vier Verdächtige festgenommen. Niemand war den Attackierten zu Hilfe gekommen. Alle schauten zu, wie der Mob den wehrlosen Zunaid erstach.

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