Immobilien mit dunkler Vergangenheit:Häuser des Grauens

Das Haus des 'Kannibalen von Rotenburg'

Das Haus des "Kannibalen von Rotenburg".

(Foto: Boris Roessler/dpa)

Wohnen, wo einst ein Mörder hauste: Was geschieht mit Immobilien, in denen Verbrechen begangen wurden?

Von Monika Goetsch

Das alte Fachwerkhaus mit den 36 Zimmern ist ein Idyll. Es steht in einem winzigen Dorf in der Nähe von Rotenburg an der Fulda. Ab und zu grasen ein paar Esel auf der Wiese, vom Landgut nebenan, so muss man nicht mähen. Einige alte Autos gibt es auch, die wohl dem Besitzer gehören. Aber den Schutt haben die Nachbarn gemeinsam zur Müllkippe gekarrt, sie wollen keinen "Schandfleck" in der Nähe, sagt der Ortsvorsteher Karl-Friedrich Schnaar. "Hier lag ja alles rum, auch kaputte Gefriertruhen." Wenigstens von außen soll es ordentlich aussehen. Innen dagegen verfällt das Gemäuer. Mehrmals musste die Feuerwehr ausrücken, weil es brannte. Das Dach soll beschädigt, die Decke vielfach durchgebrochen sein.

Eine Nachbarsfamilie äußerte vor ein paar Jahren den Wunsch, den Gutshof zu kaufen. "Richtig schön herrichten" wollte die Familie das Haus, erzählt Schnaar, ein neuer Geist sollte einziehen. Aber das Haus gehört nun mal Armin Meiwes. Hier wuchs er auf, hier empfing er vor fast genau fünfzehn Jahren einen Mann aus Berlin, den er auf dessen eigenen Wunsch hin tötete, zerstückelte, in Portionen verpackt einfror und nach und nach verspeiste.

Alles Hokuspokus

Für Ortsvorsteher Schnaar ist das alles "ein alter Hut". Er hält nichts von "irgendwelchem Hokuspokus". Anders die Leute, "die hier noch immer den Grusel suchen, die Gänsehaut". Sie kommen, fotografieren, filmen und posten das Erjagte hinterher im Netz. Manchmal, bei Nacht, brechen auch welche in Meiwes' Haus ein. Halten sich in den verlassenen Räumen auf, mit Taschenlampen oder Kerzen. "Eine makabre Faszination", sagt Schnaar. Er findet die Aura "unangenehm", die das Haus noch immer umgebe. Und es besorgt ihn, was geschehen könnte, falls Meiwes nach seiner frühestens 2017 verbüßten Haftstrafe in sein Haus zurückkehrt. Meiwes hat das zwar bislang ausgeschlossen, aber vielleicht will er das Gebäude ja vermieten oder verkaufen, womöglich an Sympathisanten aus der Szene? Schnaar sagt: "Das würde uns schockieren."

Wer in der Nachbarschaft eines Mordhauses wohnt, sehnt sich nach Frieden. Aber das Haus steht da - und erzählt von seiner Vergangenheit. Erinnerung hängt sich nun mal gern an Gegenstände. Seit der Antike arbeitet die Mnemotechnik, die Gedächtniskunst, mit der Vorstellung von Räumen und Palästen, wenn dürre Fakten, Namen und Zahlen memoriert werden sollen. Naheliegend, dass man ein Gebäude, welches das Stigma eines Gewaltverbrechens oder Suizids trägt, in einem ersten Reflex am liebsten plattmacht.

Ehemalige Jugendhochschule am Bogensee

Die frühere Goebbels-Villa und spätere FDJ-Kaderschmiede bei Wandlitz.

(Foto: Jörg Carstensen/dpa)

Nur selten erledigt sich das Problem von selbst, wie damals, in Hannover. Nach dem Ersten Weltkrieg war die Rote Reihe in der Altstadt, wie der Philosoph Theodor Lessing in seiner "Geschichte eines Werwolfs" beschreibt, "eine Gruppe müder, einander kaum noch stützender, morscher Häuser". In einem davon, einem verkommenen Fachwerkbau, Rote Reihe 2, hauste der Serienmörder Fritz Haarmann in einer Dachkammer. Von seinen Untaten erzählt genüsslich ein Lied: "Warte, warte nur ein Weilchen, bald kommt Haarmann auch zu dir, mit dem kleinen Hackebeilchen, macht er Schabefleisch aus dir." Haarmann hatte in den Zwanzigerjahren mindestens 24 Männer ermordet, die Leichen zerstückelt und in die Leine geworfen. Heute gibt es in der Roten Reihe nur noch Bauten der Nachkriegszeit, die Bomben haben während des Krieges alles zerstört.

Andere Häuser, in denen Verbrecher wohnten, stehen und stehen, man wird sie einfach nicht los. Diese pompöse Villa zum Beispiel, vierzig Kilometer bei Wandlitz nördlich von Berlin. 1939 erbaut, 70 Räume. NS-Propagandaminister Joseph Goebbels lebte hier, arbeitete, feierte, empfing. In DDR-Zeiten war die mondäne Villa Kaderschmiede des SED-Nachwuchses. Nach der Wende bildete ein gemeinnütziger Verein benachteiligte Jugendliche in Goebbels' Villa aus. Seit 16 Jahren steht sie leer. Inzwischen regieren Verfall und Randale. Geld für Renovierung und Umbau fehlt. Verkauft wird die Villa von der Stadt Berlin dennoch nicht: Man fürchtet, Rechtsextreme könnten das Haus übernehmen und in eine Pilgerstätte verwandeln. Und einfach abreißen? Ein Gebäude von so großem historischen Interesse? Traut man sich vermutlich erst dann, wenn das Haus völlig hinüber ist.

Die Hemmungen sind geringer bei Verbrechen, die im Privaten geschehen. Wie in Friedrichsdorf im Taunus, wo ein mörderisches Ehepaar am Jahresende 2005 den damals 66-jährigen Rentner Erhard Graenzer erschlug. Im vergangenen Dezember rollte ein Bagger an und riss die Mauern des seither unbewohnten Hauses nieder.

Gequälte Nachbarn sind für eine derart saubere Lösung dankbar. Manchmal sind sie auch bereit, Geld dafür auszugeben, wie im Fall Jeffrey Dahmer, der als Milwaukee-Monster bekannt wurde. Jahrelang quälte, schlachtete und verspeiste der Serienkiller junge Männer in seinem Apartment in Wisconsin. Mindestens 17 Menschen kamen so zwischen 1978 und 1991 ums Leben. Nach seiner Verurteilung kauften die Nachbarn das Haus und ließen es dem Erdboden gleichmachen. Heute steht dort ein Parkhaus. Nichts erinnert mehr an den Serienmörder, der im Gefängnis selbst zum Mordopfer wurde. In ein paar Jahren ist der Fall vermutlich vergessen - oder zu gruseliger Folklore geronnen.

Angst verkauft sich schlecht

File photo of the house of Austrian suspect Fritzl in Amstetten

Das Haus von Joseph Fritzl im österreichischen Amstetten.

(Foto: REUTERS)

Auch im niederösterreichischen Amstetten würde man das Ungeheuerliche, das im Haus Josef Fritzls viele Jahre lang geschah, gerne vergessen. Die Gefangenschaft der Tochter, die 1984 im Keller von ihrem eigenen Vater eingesperrt, missbraucht und vergewaltigt wurde, 24 Jahre lang; die Geburt von sieben Kindern, die der Vater in diesem Kerker zeugte. 2008 endlich die Festnahme des "Horror-Vaters" und "Inzest-Monsters" (Bild), Fritzl wurde zu lebenslanger Haft verurteilt.

Man mag den Rummel nicht im Ort, stellt sich aber selbst reichlich ungeschickt an. Weder die Bürgermeisterin noch der Insolvenzverwalter Walter Anzboeck geben irgendeine Auskunft darüber, wie mit dem Haus derzeit verfahren wird. Anzboeck hat sich allerdings auch im Spätsommer arg ins Fettnäpfchen gesetzt mit seinem Vorschlag, hier Flüchtlinge einzuquartieren. Man habe das Haus, so zitiert die Kronenzeitung den Insolvenzverwalter, "von allen schlimmen Erinnerungen befreit - es steht für Flüchtlinge als sichere Unterkunft zur Verfügung."

Tatsächlich hatte man im Sommer 2013 den Keller des Hauses mit 300 Tonnen Spezialbeton ausgefüllt, um das ausgetüftelte Verlies für immer unzugänglich zu machen. Schichtweise wurde der Fließbeton in den Kerker gepumpt. Entfacht ein zubetonierter Keller die Fantasie weniger als ein offener? Das eine Million mal geklickte Spukhausvideo des Youtubers ApoRed belehrt eines Besseren. Die Jungs mit den angesagten Hoodies inszenieren, begleitet von erschauerten "Digga"-Rufen, einen nächtlichen Gang durch ein abgelegenes Gruselhaus, und klar: Gerade von den zugemauerten Türen und Fenstern geht eine besondere Faszination aus.

Die Geschichte mit den Flüchtlingen scheint vom Tisch zu sein. Auch den Verkauf des Hauses hatte der Insolvenzverwalter schon mal angekündigt, gekommen ist es dazu offenbar nicht.

Grusel lässt die Preise purzeln

Immer wieder stehen Häuser und Wohnungen mit düsterer Geschichte zum Verkauf. Ist die Vorgeschichte medienbekannt, verkaufen sich die Objekte schlecht, sagt der Immobilienmakler Herbert Kriechbaumer aus Rosenheim, schon ein einfacher Selbstmord schreckt ab. Denn Grusel ist zwar grundsätzlich spannend. Aber im eigenen Haus, das doch schützen und Zuflucht bieten soll, gruselt man sich weniger gern. Also purzeln die Preise für Immobilien - es sei denn, sie befinden sich in New York, Paris, London oder München, wo man über solcherlei Kleinigkeiten gern hinwegsieht.

Kriechbaumer plädiert für totale Offenheit im Umgang mit dem Kunden, weiß aber auch: Angst verkauft sich schlecht. Von fern mahnt jahrhundertealter Aberglaube: Grauenvolles kann geschehen, wenn eine getötete Seele oder gar der Mörder selbst nicht zur Ruhe kommt.

Wie gruselig muss es demnach auf Burg Čachtice zugehen! Die Ungarin Elisabeth Báthory soll hier mehrere Frauen ermordet und sogar Vampirismus betrieben haben. Zur Strafe mauerte man die Blutgräfin 1611 in einem Turmzimmer ein, nur eine kleine Öffnung blieb ihr für den Kontakt zur Außenwelt. 1614 verstarb sie in ihrem Verlies. Ein schöner Schauder verbindet sich seither mit dem Schloss in der Westslowakei.

Aber das ist natürlich auch schon lange her. Das Vergangene und das Erfundene gruseln bekanntlich besonders komfortabel. Wirklichkeit und Kunst greifen vielfach ineinander. "Ein altes Herrenhaus auf einem Hügel empfinden wir als gruselig, weil eine Vielzahl von Büchern, Fotografien und Filmen unsere Vorstellung prägt", sagt der Filmwissenschaftler Peter Podrez. Umgekehrt beeinflussen Fälle aus der Wirklichkeit auch die Konzeption grusliger Häuser im Film. Grauenvolles geschieht dort inzwischen in Spukschlössern genauso wie im ganz normalen Mietshaus mitten in der Stadt. Alfred Hitchcocks "Psycho" spielt mit beidem. Nicht nur das Herrenhaus auf dem Hügel, auch das nüchterne Motel an der einsamen Landstraße der Gegenwart ist hier Mordschauplatz. Gesteigerter Thrill für den Zuschauer, findet Podrez, denn so sei man "nirgends mehr sicher".

Das Hotel aus "Shining" beginnt sogar selbst zu bluten

Immobilien mit dunkler Vergangenheit: Szenenbild aus Alfred Hitchcocks "Psycho".

Szenenbild aus Alfred Hitchcocks "Psycho".

(Foto: imago)

Jenseits von Horrorfilmen und schrägen Gespensterforen ist von Spuk heute kaum die Rede. Überzeugender spricht man von "schlechten Energien", die einem Ort aufgrund seiner Geschichte anhaften. Gemeinsam ist beiden Vorstellungen die Annahme, dass ein Gebäude ein schreckliches Geschehen gleichsam in sich aufnimmt - wie die Mauern der Burg Čachtice die Gebeine der Blutgräfin. Oder das Hotel Overlook aus dem Horrorklassiker "Shining", das im Verlauf der brutalen Geschichte selbst zu bluten beginnt.

Wer so etwas für Humbug hält, ist vielleicht nur zu robust, um die Geheimnisse der Vergangenheit zu lesen. Andere dagegen spüren so viel, dass sie beunruhigt Hilfe suchen. "Wenn man das Gefühl hat, dass etwas nicht stimmt mit seinem Haus, sollte man das sehr ernst nehmen", sagt Dr. Dr. Walter von Lucadou von der Freiburger Beratungsstelle für Parapsychologie. Für ihn gehören Wohnung und Haus "im erweiterten Sinn zum Körper dazu". Lebten Menschen in "Unverträglichkeit mit ihrer Umgebung", könnten psychosomatische Leiden die Folge sein. Immer schon hätte der Mensch Orte gemieden, an denen Gewalt oder Suizide stattgefunden hätten. Er habe "einen angeborenen Sinn für seine Umgebung, eine Gesamtgestaltwahrnehmung von einem Ort, seiner Geschichte, seiner Kultur". Hat ein Haus eine schlimme Vergangenheit, gebe es "sehr sensible Menschen, die das einfangen".

Lucadou erinnert sich an eine völlig verzweifelte Frau, die das Leben in ihrem frisch bezogenen Haus zermürbte. Immer wieder sah sie, aus dem Augenwinkel, eine Gestalt, die von der Decke hing. Der Vorbesitzer hatte sich, wie sie erst später erfuhr, in seinem Haus erhängt. Das mag glauben, wer will, Lucadous Rat jedenfalls ist schön handfest: Er empfiehlt, ein Haus vor dem Einzug probezuwohnen.

Wohnoase in Goebbels' Geburtshaus

Tatsächlich hat der Künstler Gregor Schneider, bekannt für seine Lebensprojekte, das immer wieder neu- und umgestaltete Haus UR in der Odenkirchenerstraße 202 in Rheydt selbst probegewohnt. Allerdings erst, nachdem der Kauf unter Dach und Fach war. Im Immobilienscout hatte der Raumbildhauer die Anzeige für ein Haus gesehen, in dem sich eine Familie mit etwas handwerklichem Geschick, wie es hieß, eine "gemütliche Wohnoase" schaffen könne. Es handelte sich um das Geburtshaus Joseph Goebbels'.

Als Propagandaminister hatte Goebbels Ende der Dreißigerjahre genug Geld, um eine Villa mit 70 Zimmer zu errichten. Sein Geburtshaus dagegen war einfach und schlicht. Schneider griff zu. Kaufte das Ding. Schlief und aß darin und fühlte sich nicht wohl. Las in Goebbels' Tagebüchern davon, dass vor diesem Haus kurz vor Kriegsende die weiße Fahne gehisst wurde. Erfuhr, dass Goebbels für diese weiße Fahne Rache plante, am Bürgermeister und an den Pfarrern der Stadt.

Schneider überlegte lange, wie man an Verbrechen und Verbrecher erinnern könnte, "ohne den Tätern ein Denkmal zu setzen". Er entkernte das Geburtszimmer und das ganze Haus, entriss ihm Räume, zerstörte Mauern, tragende Balken, Böden, transportierte den Müll nach Warschau ins Museum und nannte ihn "Geburtshaus Goebbels".

Seine zerstörerisch-kreative Aktion sieht der Künstler als ein politisches Statement. Für die Gesellschaft ist der Umgang mit geschichtsträchtigen Häusern, in denen einst mächtige Verbrecher wohnten, ein ganz besonders herausfordernder Balanceakt. Soll man Museen schaffen für die Täter? Die Häuser umwidmen, als sei nichts gewesen? Gregor Schneiders Fazit ist klar: "Solche Orte sollten transformiert, nicht unter Denkmalschutz gestellt werden. Also ran an die Häuser!"

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