Illegale Autorennen in Köln: Stadt mit Schleudertrauma

Mahnwache für getöteten Radfahrer in Köln

Kölner trauern am Unfallort, an dem Gianluca, 26, tödlich verletzt wurde.

(Foto: dpa)
  • Seit März haben Autofahrer in Köln bei illegalen Rennen drei Unbeteiligte getötet.
  • Polizei und Stadt gehen nun in die Offensive gegen die Szene: mit Bremsschwellen, Fahrverboten und Hausbesuchen.
  • Grüne und Polizeigewerkschafter fordern, jungen Fahrern PS-starke Autos zu verbieten.

Von Jannis Brühl, Köln

Es ist eine Schweigeminute mitten im Lärm. Auf den zwei großen Straßen im Zentrum Kölns, die sich hier kreuzen, rauschen Autos vorbei, die Straßenbahn rattert. An der Ecke stehen mehr als 100 Menschen. Still gedenken sie des jungen, bärtigen Mannes, dessen Fotos an einer Säule vor dem Sitz eines Immobilienunternehmens hängen. Der Boden ist voller Blumen und Kerzen. Hier ist der 26-jährige Gianluca am vergangenen Freitag schwer verletzt worden, am Montag war er tot. Weil zwei Männer mitten in Köln ein Autorennen fuhren.

Am Freitagabend beobachteten Zeugen, wie ein 26-Jähriger in einem BMW und ein 31-Jähriger in einem Mini über die Aachener Straße rasten, eine der großen Ausfallstraßen der Stadt. Der BMW-Fahrer rammte einen anderen, unbeteiligten Wagen, dabei überschlug sich sein Fahrzeug, prallte gegen Ampelmasten und erfasste Gianluca, der zufällig mit dem Fahrrad an der Ecke wartete. Striche und Ziffern, die die Spurensicherung in roter und gelber Farbe auf den Asphalt gemalt hat, zeugen noch von der Zerstörung.

Gianluca ist das dritte Opfer illegaler Rennen in Köln binnen kurzer Zeit. Im März rammte ein 19-Jähriger ein Taxi und tötete den 49-jährigen Fahrgast; der Unfall ereignete sich ebenfalls auf der Aachener Straße. Im April lieferten sich zwei junge Männer ein Rennen im Stadtteil Mülheim. Einer der Fahrer verlor die Kontrolle über seinen Wagen und überfuhr eine 19-Jährige Radfahrerin. Sie starb im Krankenhaus.

Die Polizei will "null Toleranz" zeigen

Drei Tote in fünf Monaten: Stadt und Polizei mussten reagieren. In dieser Woche erklärten sie, wie sie die Rennszene unter Kontrolle bringen wollen. "Null Toleranz für Raser", lautet das Motto. Straßenabschnitte, die bei den jungen Fahrern beliebt sind, sollen entschleunigt werden, etwa mit Bremsschwellen und zusätzlichen Tempo-30-Zonen. Zudem sollen die Strafverfahren beschleunigt werden, in denen Fahrverbote erteilt oder Autos eingezogen werden. Die Polizei hat eine Einsatzgruppe gebildet und ist mit Spezialfahrzeugen unterwegs, die die Geschwindigkeit anderer Autos messen können. Am Freitag ermahnte die Bezirksregierung die Verkehrsbehörden zudem, alle Teilnehmer an Rennen auf ihre Fahrtauglichkeit hin untersuchen zu lassen - auch die Beifahrer.

Ob das hilft? Die Szene kann leicht auf andere Treffpunkte, Strecken und Autos ausweichen. Und Strafen drohen den Rennteilnehmern schon heute: ein Monat Fahrverbot, zwei Punkte in Flensburg und 400 Euro Bußgeld. Polizeigewerkschafter und Grüne fordern deshalb in seltener Eintracht, Fahranfängern zu verbieten, PS-starke Autos zu fahren - ein Vorschlag, der rechtlich allerdings schwer durchzusetzen sein dürfte.

Von insgesamt etwa 200 Rasern in Köln gehen die Ermittler aus. Die Szene trifft sich an Tankstellen oder großen Veranstaltungsorten wie dem Tanzbrunnen am rechtsrheinischen Ufer. Um Geld gehe es nicht, nur um die Ehre, erklärt Martin Lotz, Leiter der Verkehrsdirektion der Kölner Polizei: "Wer zuerst an der Ausfahrt Porz ist, hat gewonnen."

Das Kölner Stadtzentrum wird von Ringstraßen umschlossen, auf denen finden viele der Rennen statt. Nur wenige hundert Meter vom Unfallort an der Aachener Straße entfernt beginnt die Feiermeile. "Die Ringe" sind Orte des Vergnügens, allerdings schlägt die Ausgelassenheit hier nachts auch schnell in Aggression um, früher nur vor den Clubs, heute auch auf der Straße.

"S-Klasse und dicke BMWs sind beliebt."

Obwohl es die Szene schon länger gibt, ist die Polizei in diesem Jahr von ihrer Existenz überrascht worden. "Dass es so eine Kultur gibt, dass man sich so verabredet, das ist uns neu", sagt Polizist Lotz. Er ist zur Mahnwache für Gianluca gekommen. Neben ihm legen weinende Frauen Rosen auf den Boden.

Seit zwei Monaten ist die Einsatzgruppe "Rennen" der Polizei aktiv. Sie hat nach eigenen Angaben fast 9000 Autos kontrolliert, 100 Führerschiene wegen Raserei eingezogen und 24 "verkehrsuntüchtige" Autos sichergestellt.

"Oft sprechen wir direkt die Eltern an."

Die etwa 200 Szenemitglieder wollen die Beamten mit Hausbesuchen von den Rennen abhalten. Solche "Gefährderansprachen" kennt man sonst von Rechtsradikalen, Hooligans, Salafisten und chronischen Gewalttätern. Die Fahrer seien meist jung, 18 bis 25 Jahre, sagt Lotz. "Oft sprechen wir direkt die Eltern an." Auf die seien auch viele der Autos gemeldet. "S-Klasse und dicke BMWs" seien besonders beliebt.

Stadtarchiv Köln eingestürzt - Schramma

Er verlor seinen Sohn durch ein illegales Autorennen: Kölns früherer Oberbürgermeister Fritz Schramma.

(Foto: dpa)

Der öffentliche Druck auf Stadt und Polizei ist nicht neu. Im Jahr 2001 wurde der Sohn des damaligen Oberbürgermeisters Fritz Schramma während eines illegalen Rennens totgefahren, auch er ein unbeteiligtes Opfer. Und schon damals tobte die Debatte, wie solche Rennen verhindert werden können. Nach den Todesfällen in diesem Frühjahr äußerte sich Schramma aus dem Ruhestand im Kölner Stadt-Anzeiger: "Warum hört das nicht auf? Warum werden die Menschen nicht klüger?"

Ob die beiden Männer, die durch ihre Raserei mutmaßlich den Tod von Gianluca verschuldet haben, Teil der Rennszene der Stadt sind, ist allerdings fraglich. Zum einen sind sie älter als die Gruppe, von der Polizist Lotz spricht. Zum anderen waren sie nicht in protzigen eigenen Wagen unterwegs, sondern in Fahrzeugen eines Car-Sharing-Unternehmens. Ihr Rennen wirkt so, als sei es spontan zustande gekommen.

An der Mahnwache für Gianluca hält ein Radfahrer in enger Sportkleidung und mit Helm auf dem Kopf. Auch ihm fehlt jedes Verständnis für das, was hier geschehen ist. "Eine Jahreskarte für den Nürburgring kostet 1500 Euro", sagt er. "Sollen die Kameraden da fahren."

Hinter ihm an der Säule posiert Gianluca auf Fotos: am Strand, im Fotostudio, mit einem wehenden Tuch in den ausgestreckten Armen. Auf einem Bild trägt er eine Baseballkappe. Auf ihr steht: "Pray". Betet.

Mit Material von dpa.

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