Hurrikan Harvey:Gestrandete in Houston: Zur Not ins Möbelhaus

Hurrikan Harvey: Vater und Sohn im Möbelhaus "Gallery Furniture" in Richmond, westlich von Houston.

Vater und Sohn im Möbelhaus "Gallery Furniture" in Richmond, westlich von Houston.

(Foto: AP)

Während in den Bettenlagern in der Innenstadt von Houston der Platz knapp wird, haben Flut-Flüchtlinge weiter westlich Glück im Unglück: Ein großes Möbelhaus dient dort als Notunterkunft.

Von Jim Mustian und Max Muth, Houston

Logisch, dass sich die siebenjährige Elizabeth in ihrem temporären Zuhause wohlfühlt. Im großen Atrium des Möbelhauses stapeln sich Spielsachen, die Anwohner und Firmen aus der Umgebung gespendet haben. Elizabeth und drei andere Kinder haben den Mittelgang gerade zu einer Bowlingbahn umfunktioniert. "Für die Kinder ist das hier wie Urlaub", sagt Robert, Elizabeths Vater. "Sie wollen gar nicht mehr weg hier."

Seit drei Tagen sind Robert, Elizabeth und ihre Großeltern Cindy und Charles in der "Gallery Furniture" untergebracht, etwa 40 Kilometer westlich von Downtown Houston. 30 000 Stadtbewohner mussten in Notunterkünften Zuflucht suchen, seitdem der Tropensturm Harvey Regen und Überschwemmungen gebracht hat. In vielen offiziellen Bettenlagern allerdings wurde der Platz schnell knapp, Menschen mussten auf Kartons am Boden schlafen. Nicht so hier in Richmond: Am Sonntagabend twitterte "Gallery Furniture"-Besitzer Jim "MattressMack" McIngvale, dass er in seinen beiden Möbelhäusern im Stadtgebiet Flutopfer aufnehmen wird.

Der 66-jährige McIngvale ist eine lokale Berühmtheit in Houston und als Wohltäter bekannt. Schon 2005 stellte er seine Filialen Opfern von Hurrikan Katrina zur Verfügung. Damals kamen Tausende Flut-Flüchtlinge aus New Orleans nach Houston. Er selbst will sein Engagement nicht zu hoch hängen: "So wurde ich erzogen. Es war unsere Pflicht, den Leuten einen Ort zu bieten, wo sie sich wenigstens ausruhen können."

Dass es sich bei Gallery Furniture um kein gewöhnliches Möbelhaus handelt, wird schon im Eingangsbereich deutlich. Hier stapeln sich Spenden: Nahrungsmittel, Wasser in Plastikflaschen, Spielzeug, Windeln. Der Kontrast zur teilweise chaotischen Lage in den Unterkünften in der Innenstadt könnte kaum größer sein.

Couch statt Feldbett

So beliefert ein stadtbekannter Koch das Möbelhaus mit einem sterneverdächtigen Menü: "Wir hatten Lammrippchen, Steak und Spargel", erzählt Cindy Arcement. "Die Jungs von der Nationalgarde haben das bis auf den letzten Rest verspeist. Ich wette, das war das beste Essen, das sie seit langer Zeit hatten."

50 Nationalgardisten sind seit Montag ebenfalls in dem Möbelhaus untergekommen, allerdings in der Bettenabteilung. Nur wenige Zivilisten wohnen im eigentlichen Ausstellungsbereich des Möbelhauses, unter ihnen zwei alte Frauen, deren Altenheim überflutet wurde. Sie haben Krankenschwestern dabei und sind auf Beatmungsgeräte angewiesen. Im Ausstellungsraum - neben Sofagarnituren, Teppichen und Mahagoni-Tischen im Kolonialstil für mehrere Tausend Dollar - werden sie versorgt. So gut es derzeit geht zumindest.

Alle anderen Gäste schlafen im Atrium des Möbelhauses. Cindy Arcement findet das absolut in Ordnung: "Wir wollen ja die Möbel des Mannes nicht ruinieren. Außerdem würde ich mich da drin sowieso nur die ganze Zeit verlaufen." Gallery Furniture ist zwar ein bisschen kleiner als der typische Ikea, an verwinkelten Gassen und Abzweigungen mangelt es jedoch nicht. Das Atrium dagegen ist eine riesige lichtdurchflutete Halle. Die Hälfte des Innenraums besteht aus einem gemauerten Becken, das aussieht, als sollten darin Koi-Karpfen schwimmen. Fische gibt es keine, dafür stehen an den Enden des Beckens große Vogelkäfige. Bewohner: ein blauer Ara namens Rio und ein Tukan, der als "Fruit Loops" bekannt ist.

Was erwartet die Rückkehrer?

Besitzer McIngvale will im Atrium bald eine Ausstellung zum Thema "Made in America" zeigen. Deshalb hat er an den Wänden praktischerweise bereits Holzplatten angebracht, die die einzelnen Bereiche in kleine Nischen unterteilen. "Uns wurde das Apartment zugewiesen", scherzt Roberts Mutter Cindy. Das "Apartment" sieht genauso aus wie alle anderen Schlafnischen, nur hat Familie Arcement statt einer großen Matratze zwei Sofas aus dem Schlussverkauf des Möbelhauses bekommen. Das findet Cindy deutlich angenehmer als die Matratzenlösung: "Wie oft schläft man sowieso auf dem Sofa ein? Lieber schlafe ich ein bisschen weniger angenehm und habe dafür tagsüber ordentliche Sitzgelegenheiten."

Am Sonntag waren noch 400 Menschen, etwa 30 Hunde, mehrere Meerschweinchen und andere Tiere im Möbelhaus untergebracht. "Es war wie eine kleine Arche Noah", erinnert sich Robert. Mittlerweile, es ist Mittwochmittag, ist das Wasser in vielen Teilen der Stadt auf dem Rückzug und die meisten dürfen wieder in ihre Häuser. Emmanuel Dasi ist einer von ihnen.

Flucht in letzter Minute

Aber auch er fühlt sich nicht ganz wohl bei dem Gedanken, zurückzukehren. Sein Haus steht in Richmond, eigentlich um die Ecke, aber als die Familie Dasi es Samstag zurücklassen musste, stand das Wasser im eingeschossigen Haus schon 20 Zentimeter hoch. Emmanuel und seine Frau schafften es gerade noch, ein paar wertvolle Sachen auf die Tische im Wohnzimmer zu packen.

Wie hoch das Wasser danach noch stieg, weiß Emmanuel bis heute nicht. Er will deshalb erst mal ohne seine Familie losziehen und sich ein Bild von den Schäden machen. Eine Versicherung hat Emmanuel nicht. Sein Haus steht eigentlich sogar etwas erhöht. Er hatte nicht damit gerechnet, einmal eine Flutversicherung zu benötigen.

Familie Arcement wird noch ein paar Tage im Möbelparadies ausharren müssen. Es werden bange Tage. Ihr Wohnhaus steht am Fluss Brazos. Bislang war die Gegend vergleichsweise trocken, doch während anderswo das Wasser abfließt, steigt der Pegel dort nun an, Experten erwarten sogar einen Rekordstand und lokale Behörden sind sich sicher: Mit etwas Verspätung wird Harvey auch das Haus der Arcements treffen.

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