Hungertod von Lea-Sophie:"Kommunalpolitik mit einer Kinderleiche"

Wüste Unterstellungen: Nach dem Urteil im Fall Lea-Sophie überziehen sich Politiker und Staatsanwaltschaft gegenseitig mit Vorwürfen.

Arne Boecker

Das Urteil im Fall Lea-Sophie hat den Streit neu entfacht über mögliche Versäumnisse des Jugendamtes. Das Landgericht Schwerin hatte vergangene Woche die Eltern von Lea-Sophie zu je elf Jahren und neun Monaten Haft verurteilt, weil sie ihre fünfjährige Tochter verhungern ließen. Seither liefern sich Politiker und Staatsanwälte eine Schlammschlacht um die Frage: Hätte das Amt die soziale Schieflage erkennen müssen, in der die Familie war?

Hungertod von Lea-Sophie: Nicole G., die 24-jährige Mutter der verhungerten Lea-Sophie vor der Urteilsverkündung in Leipzig.

Nicole G., die 24-jährige Mutter der verhungerten Lea-Sophie vor der Urteilsverkündung in Leipzig.

(Foto: Foto: ddp)

Ein Jahr vor Lea-Sophies Tod hatte ihr Großvater mütterlicherseits dem Jugendamt von Problemen in der Familie berichtet. Die Sache war jedoch im Sande verlaufen. Die Verteidiger von Lea-Sophies Eltern gaben dem Jugendamt zwar nicht ausdrücklich Schuld am Tod des Mädchens, problematisierten aber dessen Rolle.

Das brachte Staatsanwalt Wulf Kollorz derart in Rage, dass er sich in einer Erwiderung auf die Plädoyers zu der Formulierung verstieg, in Schwerins Kommunalpolitik gebe es "zweifelhafte Charaktere, die sich nicht zu schade waren, mit einer Kinderleiche Kommunalpolitik zu machen" - gemeint war unter anderen der Grünen-Stadtrat Edmund Haferbeck, der sich mit Kollorz seit Jahren juristisch bekriegt.

Aufgeräumte Wohnung, unauffällige Eltern

Kollorz sagte weiter, selbst wenn die Mitarbeiter des Jugendamtes ein Jahr vor Lea-Sophies Hungertod die Familie aufgesucht hätten, sie hätten eine aufgeräumte Wohnung und unauffällige Eltern angetroffen und ein normales, wenn auch zierliches Mädchen. In der Tat hat das Landgericht in seinem Urteil festgestellt, dass Lea-Sophie erst in den zwei Monaten vor ihrem Tod zu essen aufgehört hatte - ohne dass die Eltern etwas dagegen unternahmen.

Für Kollorz aber hatte der Wutausbruch Folgen. Auf Geheiß von Oberstaatsanwalt Gerrit Schwarz durfte er an der Urteilsverkündung nicht teilnehmen. Er wolle den Prozess "nicht mit Nebenkriegsschauplätzen belasten", teilte Schwarz mit.

Grünen-Stadtrat Haferbeck sprach von einem "durchgeknallten Staatsanwalt, der selber genug Dreck am Stecken" habe. Zur Sache äußerte sich die Vorsitzende der SPD-Stadtratsfraktion Manuela Schwesig. Für die Politik sei nicht entscheidend, dass die Mitarbeiter des Jugendamtes strafrechtlich belangt würden. Wichtig sei, dass die Mängel im Jugendamt beseitigt würden, die ein städtischer Untersuchungsausschuss zweifelsfrei nachgewiesen habe, sagte sie.

Nach Bekanntwerden des Falles Lea-Sophie waren Sozialdezernent Hermann Junghans (CDU) und Amtsleiterin Heike Seifert ihrer Zuständigkeiten enthoben worden; kurz darauf wählten die Schweriner Oberbürgermeister Norbert Claussen (CDU) ab.

Das Leid von Lea-Marie

Jetzt gab die Staatsanwaltschaft bekannt, dass in keinem der 46 Fälle Anklage erhoben wird, in denen Bürger Mitarbeiter des Jugendamtes angezeigt hatten. Der Sprecher des Bundes Deutscher Kriminalbeamter (BDK) in Mecklenburg-Vorpommern, Frank Böhme, kritisiert diesen "Persilschein". Die Staatsanwaltschaft habe "die Chance verpasst", die Hintergründe des Falles aufzudecken. Die Staatsanwaltschaft kontert, diese "Meinung sei erstaunlich", schließlich habe der BDK die Akten nicht eingesehen.

In dieser Woche wurde bekannt, dass sich im November eine Mitarbeiterin des Jugendamts Güstrow vor Gericht verantworten muss. Eine Mutter soll ihrer Tochter über Jahre Kalkreiniger eingeflößt und kochendes Wasser über die Beine geschüttet haben. Die Mitarbeiterin des Jugendamtes ist wegen unterlassener Hilfeleistung angeklagt. Das Mädchen, das sein Leben lang unter den Folgen der Folter leiden wird, heißt Lea-Marie.

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