Hunde in New York:Männchen machen für den eigenen Hund

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Hunde, die auf Hunde starren: Impression von der "Dogumenta" in New York. (Foto: Johanna Bruckner)

In New York gibt es ein Festival des Bellens und eine Ausstellung für Hunde - kuratiert von einem Hund. Warum sind Großstädter bereit, sich vor ihrem Haustier die Blöße zu geben?

Von Johanna Bruckner, New York

Würde man eine Rangliste der in New York beheimateten Säugetiere aufstellen, käme man auf folgende Top Drei: Menschen, Ratten, Hunde. Menschen und Nager gibt es einem urbanen Mythos zufolge in etwa gleich großer Zahl. Eine andere Legende besagt, dass der Mensch in New York nie weiter als zwei Meter von einer Ratte entfernt ist. Nun ist man beim Spaziergang durch die Stadt geneigt, das Gleiche in Bezug auf Menschen und Hunde zu behaupten. Allerdings sind die Sympathien hier anders gelagert: In der Stadt der Singles hält der Mensch seinen Hund an der kurzen Leine, sucht seine Nähe und bedingungslose Zuneigung.

Jüngst überschrieb das Stadtmagazin Time Out eine Ausgabe mit dem Titel "Pets and the City". New York hatte genug Sex, jetzt wird gekuschelt. Am liebsten mit Vierbeinern, die die klassischen Grundqualifikationen für eine ernsthafte Beziehung mitbringen - zu Hause anschmiegsam und in der Öffentlichkeit fähig, selbstständig eine soziale Interaktion zu bewältigen. Für Hundebesitzerin Jessica Dawson scheiden Katzen damit aus: "Wir diskriminieren nicht, aber das Problem mit Katzen ist: Sie gehen nicht so gerne raus und sind nicht so offen." Und wer will schon eine Begleitung, für die er sich auf einer Party, pardon im Park, schämen muss?

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Sie huschen über Gleise, springen zwischen Mülltonnen und manchmal sogar in Kinderwägen: In manchen Ecken New Yorks kommen auf jeden Einwohner fünf Nagetiere. Damit soll jetzt Schluss sein.

Von Kathrin Werner

Man wüsste gerne, was mancher Hund dazu sagt. Aber soweit ist es mit der Vermenschlichung noch nicht, auch wenn das Stadtbild anderes vermuten lässt. Im Winter, zum Beispiel, tragen New Yorker Hunde aller Größen Schneeschuhe. Ob sie gegen das Streusalz auf den notorisch nicht geräumten Straßen helfen oder den Lifestyle unterstützen? Die Pfotenmode jedenfalls ist ganzjährig angelegt, die Manolo Blahniks unter den Hundeschuhen - kein Absatz, dafür Profilsohle und Fleece-Innenfutter - kosten im Internet um die 60 Dollar plus Mehrwertsteuer.

Die häufigsten Hundenamen in New York: "Bella" und "Max"

Bei 85 000 registrierten Hunden in New York City dürfte das ein einträgliches Geschäft sein. Zumal die offiziell gemeldeten Tiere Schätzungen des New Yorker Department of Hygiene and Mental Health zufolge nur ein Fünftel der tatsächlichen Hundepopulation in den fünf Boroughs, Manhattan, Queens, Brooklyn, Bronx und Staten Island, ausmachen. Ein Hund ist in New York eine Geldfrage - wie so vieles. Wer mehr als einen tierischen Freund ernähren (und einkleiden) muss, wohnt deshalb eher in einem Viertel mit einem hohen Durchschnittseinkommen, zum Beispiel auf der Upper East Side oder in Long Island. Die häufigsten Hundenamen sind in New York im Übrigen "Bella" und "Max". Auch das haben Statistiker erhoben - vermutlich können sie sich keinen Hund als Zeitvertreib leisten. Die Datenspezialisten haben als Service die Tabelle mit den beliebtesten Babynamen mitgeliefert. Damit bei der Familienplanung ganz klar ist, wer Kind und wer Köter ist. Möchte ja niemand, dass da Verwechslungsgefahr besteht.

Die Domestizierung funktioniert längst auch andersrum. Der Mensch ist bereit, nervige Angewohnheiten seines tierischen Partners in liebenswerte Eigenheiten umzudeuten. So fand jüngst im Madison Square Park mitten in Manhattan ein "Barkfest" statt. Also ein Festival des Bellens. Wahnsinn? Wuff.

Jessica Dawson, Initiatorin der "Dogumenta", formuliert es ein bisschen anders: "Es ist nicht für jeden etwas." Dawson, schulterlange Haare, dunkle Hornbrille, Glockenrock, ist eigentlich Kunstkritikerin. In diesem Sommer hat sie ihren Kollegen jedoch selbst Futter gegeben. Hundefutter. Eine Ausstellung für Hunde, kuratiert von einem Hund (nämlich Dawsons Morkie "Rocky") - animalische Avantgarde oder schlicht albern? "Es gab Leute, die gesagt haben: 'Oh. Ich sehe gerade, da drüben steht ein Freund von mir, ich muss dann auch mal weiter'", erzählt Dawson. Aber so sei das wohl bei revolutionärer Kunst.

Kurator "Rocky" (mittlerer Hund) beschnuppert seine Ausstellung. An seiner Leine: Besitzerin Jessica Dawson. (Foto: Johanna Bruckner)

Wer bei der Ankündigung noch dachte, das Ganze könnte auch eine bissige Persiflage auf den elitären New Yorker Kunstbetrieb sein, wird am Tag der Eröffnung eines Besseren belehrt. Die Sonne scheint auf die Outdoor-Ausstellungsfläche direkt am Hudson River und hinter der Absperrung strahlen Dutzende Hundebesitzergesichter. Es ist acht Uhr morgens an einem Freitag - vielleicht wirken die Hunde deshalb indifferent.

Kurze Zeit später schnüffeln englische Bulldoggen, australische Schäferhunde, Shorkie Tzus und Cockapoos an den Ausstellungsstücken. Es gibt eine Sofagarnitur in schreiendem Pink, die auf Hundegröße geschrumpft wurde (damit der Hund das heimische Wohnzimmer aus der Menschen-Perspektive erleben kann, erklärt Dawson), und eine Installation aus Hundekuchen-Torten (das Vergänglichkeitsmoment ist beabsichtigt). Am Rand der Ausstellungsfläche sitzt eine junge Frau im Schneidersitz auf dem Boden und spricht mit beruhigender Stimme auf einen wild kläffenden Vierbeiner und eine besorgt aussehende Zweibeinerin ein - Kunsttherapie für Mensch und Tier.

Die Hunde beschnuppern sich, die Hundehalter machen Minimal-Smalltalk

Hunde konfrontierten Menschen mit existenziellen Fragen, findet "Dogumenta"-Organisatorin Dawson. Inwieweit bin ich bereit, mich auf ein anderes Lebewesen einzulassen? Wie gehe ich mit Andersartigkeit um? Im menschlichen Miteinander falle es mitunter schwer, darauf Antworten zu finden - wenn es um Hunde gehe, seien die Antworten ganz leicht.

Und tatsächlich ist es weniger peinlich als vielmehr rührend zu beobachten, wie sehr sich Menschen darüber freuen können, dass Hunde Hundesachen machen. Stolz wird jeder Männchen-Moment im Freilichtmuseum mit dem Smartphone festgehalten. In New York, einer Stadt der ständigen Reizüberflutung, sind Hunde nicht nur treue Begleiter, sondern Botschafter eines einfachen Lebens. Schnüffeln, bellen, pinkeln. Wer in seinem Leben ständig nach Siegen und Superlativen strebt - ob es darum geht, einen Riesen-Pitch zu gewinnen, auf die angesagteste Party zu gehen oder den perfekten Body anzutrainieren -, mag so ein genügsames Hundeleben tatsächlich als revolutionär empfinden.

Mit einem Hund an der Leine werden plötzlich Dinge gesellschaftsfähig, für die man alleine schräge Blicke bekommt. Im Gammellook im Park rumhängen, zum Beispiel. Vielleicht trifft man dabei sogar seinen menschlichen Seelenverwandten. Zumindest suggerieren das diverse Hollywoodfilme. Auf der "Dogumenta" erreicht Organisatorin Jessica Dawson ihr Ziel jedenfalls: Kunst ist hier etwas Interaktives. Die Hunde beschnuppern sich und die Hundehalter machen Minimal-Smalltalk. Wahlweise mit Zwei- oder Vierbeinern. "Isn't that cute?" "Look at that, she has so much fun!" "Goood boy!"

Apropos. "Rocky" habe natürlich auch ein Lieblingsstück, erzählt seine Besitzerin Jessica Dawson. Eine schlichte geometrische Figur mit weißen Fliesen und klosteinblauen Farbspritzern. "Eine Anlehnung an Warhols 'Oxidation Paintings'", erklärt die Organisatorin. Die Spätwerke des Jahrhundertkünstlers sind auch als "Piss Paintings" bekannt - Warhol ließ seine Mitarbeiter auf Leinwände pinkeln, die mit Kupfer-Pigment präpariert waren. Im New York des Jahres 2017 hat Hund "Rocky" das Urinieren übernommen. "Er ist sehr stolz, dass er als Erster seine Marke gesetzt hat." Ein bisschen stolz scheint auch Jessica Dawson zu sein.

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