Homophobe Gewalt in London:Tödliche Angriffe auf Schwule

Ausgerechnet im liberalen London steigt die Zahl der Attacken gegen Schwule und Lesben. Vier Homosexuelle wurden in den vergangenen zwölf Monaten getötet. Auch in Berlin gibt es Übergriffe.

Britta Schultejans

London gilt als aufgeschlossene Stadt, in der Menschen verschiedener Herkunft, Religion oder sexueller Orientierung leben und leben lassen. Zwar ist Gewalt ein großes Thema in der britischen Hauptstadt - Raub, Mord und Vergewaltigung stehen quasi auf der Tagesordnung - aber von sogenannter politischer Gewalt hört man in der Millionenstadt eher selten. Ausgerechnet in der liberalen Multikulti- und Party-Metropole schlägt jetzt die Polizei Alarm: immer mehr Schwule und Lesben werden attackiert.

Der 62-jährige Ian Baynham wurde im September auf offener Straße so brutal zusammengeschlagen, dass er an den Folgen starb. Er ging abends mit einem Freund über den berühmten Trafalgar Square mitten in London, als eine Jugendliche begann, ihn mit schwulenfeindlichen Parolen zu beschimpfen, wie die britische Zeitung The Times berichtete.

Als er mit ihr sprechen wollte, schlug sie auf ihn ein. Ein junger Mann, der die junge Frau begleitete, stieß Baynham zu Boden und trat nach ihm - der 62-Jährige erlitt lebensgefährliche Kopfverletzungen. Ein zweites Mädchen stand daneben und schaute zu. Zwei Wochen später starb Baynham im Krankenhaus. Scotland Yard fahndet nun nach den Jugendlichen, die auf 16 bis 20 Jahre geschätzt werden, und hat Bilder der beiden verdächtigen, blonden Mädchen veröffentlicht, die eine der unzähligen Londoner Überwachungskameras eingefangen hatte.

Mindestens drei weitere Männer wurden laut britischen Medienberichten in den vergangenen zwölf Monaten in London wegen ihrer sexuellen Orientierung umgebracht. Im Juli wurde ein 79-Jähriger in seinem Haus im Londoner Stadtteil Greenwich ermordet, vier Monate zuvor war ein 59-Jähriger in seiner Wohnung im Südosten der Stadt erstochen worden. Auch sein Partner erlitt Stichwunden, überlebte den Angriff aber. Im November 2008 wurde ein 28-Jähriger nach einer durchfeierten Nacht in Londons Party-Viertel Soho in seiner Wohnung zu Tode geprügelt.

Nach Angaben von Sir Paul Stephenson, dem Chef der Londoner Metropolitan Police, stieg die Zahl homophober Gewalttaten um fast 14 Prozent. Zwischen Juni 2008 und Juni 2009 wurden 1123 Fälle in London gemeldet, ein Jahr zuvor waren es noch 989. Nur ein Teil des Anstiegs sei damit zu erklären, dass mehr Angriffe gemeldet würden, weil Schwule und Lesben heute selbstbewusster seien und keine Angst mehr hätten, sich zu wehren.

"Wenn die Zahl der Attacken steigt, ist das ein deutliches Alarmsignal", sagt die Sprecherin des deutschen Lesben- und Schwulenverbandes, Renate Rampf. "Selbst in einem Land wie Großbritannien, in dem die rechtliche Gleichstellung von Schwulen und Lesben mit Heterosexuellen so weit fortgeschritten ist, zeigt sich, dass die Gesellschaft nicht vollständig mitzieht." Gerade Jugendliche, die vielleicht mit ihrem eigenen Leben nicht so zufrieden seien, neigten zu Gewalt. Schwule und Lesben böten sich da als Sündenböcke an. "Man rechnet noch immer mit Applaus, wenn man Homosexuelle verprügelt", sagt Rampf.

Eine Stadt wie London sei zwar multikulturell, aber darum auch eine "Multi-Konfliktgesellschaft", sagt sie. "Religiöse Fundamentalisten leben dort Tür an Tür mit modernen Individualisten. Da gibt es natürlich Konfliktpotential."

Lesen Sie auf der nächsten Seite, wie es Schwulen und Lesben in Berlin geht.

Homophobie - auch in Deutschland ein Problem

Auch in Deutschland ist die Akzeptanz von Homosexualität noch längst nicht in alle Bereiche der Gesellschaft vorgedrungen. Die Stadtstaaten Berlin, Hamburg und Bremen wollen im Grundgesetz ein ausdrückliches Diskriminierungsverbot aufgrund der sexuellen Identität verankern und haben am Freitag einen entsprechenden Antrag in den Bundesrat eingebracht.

Zwar werden mit Berlin und Hamburg die beiden größten deutschen Städte von schwulen Bürgermeistern regiert und möglicherweise bekommt die Bundesrepublik mit Guido Westerwelle ihren ersten bekennend schwulen Außenminister, allerdings gibt es im Alltag nach wie vor Pöbeleien und auch körperliche Gewalt gegen Menschen, die sich zum gleichen Geschlecht hingezogen fühlen.

Die Diskrepanz zwischen den Ansprüchen der Politik und der tatsächlichen Umsetzung in der Gesellschaft sei groß, sagte der Soziologe Bastian Fink vom schwulen Anti-Gewalt-Projekt Maneo in Berlin zum Tag gegen Homophobie im Mai. "Wenn ein Lehrer nicht eingreift, wenn Schüler abfällig 'schwule Sau' sagen, setzt sich fest, dass es nicht so schlimm ist, das zu sagen."

Selbst im bunten Berlin, das nicht gerade für seine Schwulenfeindlichkeit bekannt ist, trauen viele Homosexuelle sich nicht, ihre Liebe offen zu zeigen. "Wenn ich meine Freundin küssen will, gucke ich mich immer erst um, ob Leute in der Nähe sind, die eine blöde Bemerkung machen könnten oder sogar mit Gewalt drohen", sagt eine lesbische 33-Jährige aus der Hauptstadt.

Jeder dritte Deutsche hat ein "moralisches Problem" mit Homosexualität

Der "Gallup Koexistenz-Index 2009" beschreibt, dass etwa jeder dritte Deutsche ein "moralisches Problem mit Homosexualität" hat. In der deutschen Hauptstadt wurden 2008 einige Dutzend Gewalttaten gegen Schwule und Lesben polizeilich erfasst, der Soziologe Finke weiß dagegen von 180 solcher Taten.

"Es ist überaus schwierig, die Zahl der Vebrechen statistisch zu erfassen", sagt Renate Rampf. Bei Gewaltdelikten fänden das Motiv und die persönlichen Lebensumstände von Täter und Opfer selten Eingang in statistische Daten. Die Dunkelziffer dürfte auch in Deutschland deutlich höher sein als angenommen.

Einer der brutalsten Fälle passierte im vergangenen Jahr im vermeintlichen Berliner Szeneviertel Friedrichshain. Mehrere Jugendliche lauerten im Park einem Mann auf, rissen ihn vom Fahrrad, prügelten ihn krankenhausreif und beschimpften ihn als "schwule Sau". Das Opfer war allerdings heterosexuell und Familienvater.

Polizei ist jetzt Schutz- statt Verfolgungsbehörde

Eine Sache habe sich aber in den vergangenen Jahren deutlich geändert, sagt Rampf. "Bis vor einigen Jahren verstand sich die Polizei noch als Verfolgungsbehörde von Homosexuellen, heute versteht sie sich als Schutzbehörde. Das ist eine bemerkenswerte Entwicklung und das sollte man auch durchaus einmal betonen."

Bis 1969 wurden Schwule und Lesben in Deutschland strafrechtlich verfolgt, erst 1994 wurde der "Schwulenparagraph", der noch lange Zeit ein höheres Schutzalter bei gleichgeschlechtlichem als bei heterosexuellem Sex festgelegt hatte, komplett abgeschafft.

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