Höxter:Was über das Verbrechen bekannt ist

Wilfried W. und Angelika B. sollen jahrelang systematisch Frauen festgehalten, gequält und mindestens zwei Frauen getötet haben. Was wir über die Taten und das perfide Vorgehen des Paares wissen.

Von Jana Stegemann

Das Gehöft in Höxter-Bosseborn

Etwas außerhalb der Stadt Höxter in Nordrhein-Westfalen liegt der verfallene Hof von Wilfried W. und Angelika B. Hier, in dem 600-Einwohner-Dorf Bosseborn im Weserbergland hat sich abgespielt, was auch erfahrene Ermittler schlucken lässt. Die Erklärung, die Staatsanwaltschaft und Polizei am vergangenen Freitag herausgegeben haben, machte nur die Anfänge dessen erahnbar, was noch kommen würde. Die 41-jährige Susanne F., hieß es da, sei wochenlang in dem Haus festgehalten und misshandelt worden.

Dass das Verbrechen überhaupt publik wurde, liegt an einem Motorschaden. Als das Paar die "körperlich schwer angeschlagene" Susanne F. am 21. April zurück in ihre Wohnung in Niedersachen bringen wollte, blieb das Auto liegen. Das Paar rief zunächst ein Taxi. Während des Wartens verschlechterte sich der Zustand des Opfers. "Die Beschuldigten waren nunmehr gezwungen, wegen des schlechten Gesundheitszustandes einen Rettungswagen zu rufen", heißt es in der Mitteilung der Behörden vom 30. April. Das Opfer starb wenige Stunden später im Krankenhaus.

Die Täter

Wilfried W. und Angelika B. wurden sechs Tage nach dem Tod von Susanne F., am 27. April, festgenommen und einem Haftrichter vorgeführt. Dieser erließ Haftbefehle wegen Totschlags. Durch Ermittlungen und Befragungen stellt sich heraus: Das Paar hat offenbar jahrelang und systematisch Frauen in sein Haus in Höxter gelockt, dort gefangen gehalten und misshandelt.

Wilfried W. und Angelika B. sollen 1999 geheiratet und 2013 die Scheidung eingereicht haben, heißt es auf einer Pressekonferenz der Ermittler an diesem Dienstag. Ihren Opfern und Nachbarn gegenüber soll sich Angelika B. als Schwester ihres Ex-Mannes ausgegeben haben.

Wilfried W. ist Hartz-IV-Empfänger und war im Jahr 1995 wegen gefährlicher Körperverletzung und Freiheitsberaubung an seiner damaligen Lebensgefährtin zu zwei Jahren und neun Monaten Haft verurteilt worden. Die Verantwortung für die Taten in Höxter schiebt W. nun seiner Ex-Frau Angelika B. zu.

Angelika B. wiederum hat bereits ein Geständnis abgelegt. Wilfried W. habe auch sie, seine Ex-Frau und Komplizin, "massiv misshandelt", sagen die Ermittler. Die 47-Jährige sei ihm "hörig" gewesen. Ermittlungsergebnisse stützten die Aussagen der Frau, gab die Polizei bekannt.

Das Opfer Susanne F.

Im Februar hatte Susanne F. aus dem niedersächsischen Bad Gandersheim auf eine Kontaktanzeige von Wilfried W. geantwortet. "Die 41-Jährige hatte sich auf eine Zeitungsannonce gemeldet, die ein 46-Jähriger eingestellt hatte und in der er eine Frau für eine feste Beziehung suchte", teilte die Polizei mit.

Nach einer kurzen Kennenlernphase zog Susanne F. im März 2016 nach Höxter auf den Hof von Wilfried W., wo auch Angelika B. lebte. Kurze Zeit später begann das Mar­ty­ri­um der Frau. Sie wurde misshandelt, geschlagen, getreten und musste in einem ungeheizten Raum auf dem Fußboden schlafen. Ihr seien büschelweise die Haare ausgerissen worden, nach einiger Zeit sei sie von ihren Peinigern kahlgeschoren worden.

Susanne F. starb am Morgen des 22. April im Krankenhaus in Northeim. Eine Obduktion ergibt, dass "stumpfe Gewalt gegen den Kopf" zum Tod geführt hatte. Hinweise auf sexuellen Missbrauch gibt es nicht.

Das Opfer Annika W.

In der Pressekonferenz gab die Polizei nun bekannt, dass das Paar mindestens eine weitere Frau getötet hat. Bei dem zweiten Opfer handelt es sich um eine 33-Jährige aus Niedersachsen. Annika W. habe ihren späteren Peiniger Wilfried W. ebenfalls über eine Kontaktanzeige kennengelernt und im Herbst 2013 geheiratet. Am 1. August 2014 sei sie nach "schwersten körperlichen Misshandlungen" in dem Haus gestorben, sagte Oberstaatsanwalt Ralf Meyer in Bielefeld. Den Leichnam hätten die mutmaßlichen Täter in eine Tiefkühltruhe gelegt, dann in Stücke zerteilt und in einem Kaminofen verbrannt.

Ein weiteres Opfer überlebte

Eine Frau aus Berlin, die von dem Paar misshandelt worden sein soll, habe sich selbst bei den Ermittlern gemeldet. Sie habe das Haus in Höxter in den Medien wiedererkannt, sagten die Ermittler. Sie sei nach den Misshandlungen zwar schwer verletzt gewesen, aber nicht so schlimm, dass es Außenstehenden sofort aufgefallen wäre. Die Frau sei von ihren Peinigern nach Braunschweig zum Bahnhof gebracht und dort in einen Zug nach Hause gesetzt worden. Sie wurde am Dienstag von der Polizei vernommen.

Die Taten des Paares

Mittels Bekanntschaftsanzeigen in diversen Zeitungen, die "bundesweit in quasi jeder Tageszeitung" und sogar in Tschechien geschaltet wurden, soll das Paar Frauen auf das Gehöft in Höxter-Bosseborn gelockt haben. Die Opfer hätten mit dem Paar "im Prinzip" gemeinsam im Haus gelebt, sagten die Ermittler. Es habe keinen separaten Raum gegeben. Wenn sie aber "aufsässig" geworden seien, seien sie etwa an Heizkörper oder in der Badewanne gefesselt worden - ganze Nächte lang. Anlass sei zum Beispiel gewesen, "wenn das Messer nicht rechts sondern links lag", sagen die Ermittler. Mehrmals sollen die Täter auch mit ihren Opfern den Hof verlassen haben - meistens nachts. Überhaupt verließ das Paar ihr Haus fast nur in der Dunkelheit. Zu den Nachbarn hätte auch deshalb so gut wie kein Kontakt bestanden.

Der Stand der Ermittlungen

Die Polizei hat eine 40-köpfige Mordkommission "Bosseborn" gegründet. Derzeit werden im und um das Gehöft in Höxter Spuren gesichert. Dafür wurden Sichtschutzwände aufgestellt. Ein Sprecher der Staatsanwaltschaft Paderborn sagte, die Spurensicherung könne bis zu 15 Tage oder länger dauern. Die Polizei geht davon aus, dass noch weitere Frauen auf dem Hof misshandelt wurden, von weiteren Todesopfern gehen die Ermittler aber nicht aus.

Welches Motiv steckt hinter den Taten?

"Das waren Abgründe, die sich da auftaten": Der Leiter der Mordkommission, Ralf Östermann, sagte während der Pressekonferenz, die Befragungen des Paares hätten auch erfahrene Mitglieder der Mordkommission "ziemlich mitgenommen". Dem beschuldigten Paar sei es bei der Misshandlung nach bisheriger Überzeugung der Ermittler darum gegangen "Macht auszuüben", sagte Oberstaatsanwalt Ralf Meyer. Zwar habe das Thema Sexualität bei den Vorgängen in dem Haus eine Rolle gespielt, nach bisherigen Erkenntnissen aber "eine untergeordnete". Ein Psychiater ist in die Ermittlungen eingebunden worden.

Mit Material der Agenturen

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