Hochwasser in Sachsen, Polen, Tschechien:Reißende Neiße

Sachsens Ministerpräsident Tillich will das Wort "Jahrhunderthochwasser" nicht hören. Doch die sächsische Stadt Görlitz leidet unter den schlimmsten Überschwemmungen seit mehr als 100 Jahren. In Sachsen, Polen und Tschechien sind ganze Städte überflutet, Sensationslustige bringen sich selbst in Gefahr.

Christiane Kohl und Klaus Brill

"Das Wasser kam extrem schnell", sagt Michael Birkner, der Landesleiter der sächsischen Wasserwacht. Um so schwerer fiel es den Helfern, die Menschen vor den Fluten zu retten. Vor allem im Raum Görlitz, Bautzen und Zittau waren die Pegel in kürzester Zeit angeschwollen, reißende Flüsse durchzogen die Innenstädte. Bald standen mehrere Altstadthäuser in Görlitz unter Wasser, mehr als 1400 Menschen mussten in Sicherheit gebracht werden.

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In und um Görlitz mussten 1450 Menschen ihre Häuser verlassen, um sich vor den Fluten in Sicherheit zu bringen.

(Foto: AFP)

In Bautzen wie auch in Ostritz an der Neiße stürzten zwei von den Fluten umspülte, leer stehende Häuser einfach in sich zusammen; in Zittau wurde ein ganzes Wohngebiet vom Wasser eingeschlossen. Vielerorts kamen Erinnerungen an die Flutkatastrophe vom August 2002 auf, bei der in ganz Sachsen Milliardenschäden angerichtet worden waren. Was Görlitz betrifft, sprachen Experten am Sonntag gar vom schlimmsten Hochwasser seit mehr als 100 Jahren.

Bei Görlitz stand der Wasserpegel der Neiße am Sonntagmorgen bei 7,07 Meter, normal um diese Jahreszeit wären 1,70 Meter; bis zum Nachmittag wurde mit einem weiteren Anstieg des Wassers auf bis zu 7,20 Meter gerechnet. Im Bereich der Flut spielten sich vielerorts dramatische Szenen ab.

So wurde am Sonntagmorgen bei Görlitz ein völlig erschöpfter Mann vom Rettungshubschrauber aus mit einem Seil aus dem Wasser gezogen, er hatte sich verzweifelt an einen Brückenpfeiler geklammert. Der Mann kam mit Unterkühlungen ins Krankenhaus. Im Erzgebirgsort Neukirchen bei Chemnitz war dagegen einen Tag zuvor jede Hilfe zu spät gekommen: Hier stießen die Rettungskräfte am Samstag beim Auspumpen eines Kellers auf drei Leichen - zwei Männer und eine Frau, zwischen 63 und 74 Jahre alt. Offenbar waren sie bei dem Versuch, ihr Hab und Gut aus dem Keller zu schaffen, in den Wassermassen ertrunken.

Schaulustige bringen sich in Gefahr

Schwerste Regenfälle mit Rekordmengen von 160 Litern pro Quadratmeter hatten das Hochwasser ausgelöst. Während sich das Wetter am Sonntagmorgen zunächst zu entspannen schien, wurden im Laufe des Tages weitere Regenfälle erwartet - Sachsens Innenminister Markus Ulbig (CDU) sprach von einer "sehr ernsten Lage", sein Parteifreund, der Dresdner Ministerpräsident Stanislaw Tillich, eilte zu den Überschwemmungsgebieten.

Unterdessen stellten sich auch viele Schaulustige ein, die von Brücken aus das Geschehen beobachteten - sie brächten sich nur unnötig in Gefahr, warnte Sachsen Umweltminister Frank Kupfer. Im Landkreis Bautzen war am frühen Sonntagmorgen an einer übergelaufenen Talsperre, die von der Spree gespeist wird, Katastrophenalarm ausgelöst worden. Nachts um vier Uhr waren die Bewohner durch Sirenen alarmiert worden, zunächst durften sie in ihren Häusern bleiben, allerdings lagen 60 000 Sandsäcke bereit.

Die Überschwemmungen im Raum Görlitz wurden zusätzlich durch den Bruch eines Staudamms verschlimmert, der sich im polnischen Neißegebiet ereignet hatte. Doch hatte man Glück im Unglück: Etwa fünf Millionen Kubikmeter der aus Polen heranfließenden Wassermassen konnten in den nahen Tagebaurestsee Berzdorf geleitet werden - dessen Wasserspiegel stieg abrupt um 45 Zentimeter.

Todesangst im Dreiländereck

Überhaupt waren auch die an Sachsen grenzenden Gebiete in Polen und Tschechien hart betroffen, wo ebenfalls am Samstag heftiger Sturzregen niedergegangen war. Die polnische Stadt Bogatynia (Reichenau), gleich an der Grenze zu Sachsen gelegen, wurde fast vollständig überflutet. Dabei kam eine Frau ums Leben. Ein Feuerwehrmann wurde vom Wasser mitgerissen, als er an der Befestigung eines Dammes in der Nähe von Radomierzyce arbeitete. Auch der Landrat des polnischen Grenzkreises Zgorzelec, Mariusz Tureniec, geriet in Lebensgefahr.

Überschwemmungen in Polen

In der polnischen Stadt Bogatynia ist das Wasser zum Teil schon wieder weg. Die Zerstörung bleibt.

(Foto: dpa)

Zusammen mit seinem Fahrer war der Politiker im Geländewagen im Katastrophengebiet unterwegs gewesen, als das Fahrzeug nach einem Dammbruch in Niedów (Nieda) plötzlich von einer Hochwasserwelle erfasst und umgeworfen wurde. Die beiden Männer konnten sich einer Pressemeldung zufolge gerade noch an einem Baum festklammern und mussten dort neun Stunden ausharren, bis sie gerettet werden konnten. Andere Menschen warteten auf den Dächern ihrer vom Wasser eingeschlossenen Häuser auf Hilfe.

Ähnlich war die Situation im nördlichen Tschechien, wo man Hubschrauber der deutschen Bundespolizei zu Hilfe rief, um die Menschen aus ihrer Zwangslage zu befreien. Besonders stark betroffen waren die Gebiete um Liberec (Reichenberg), Decin (Tetschen) und Usti nad Labem (Aussig).

Da binnen kurzem die Elbe und ihre Nebenflüsse über die Ufer traten, kam schon am Samstag kein Zug mehr von Dresden nach Prag durch. Zwischen Dresden und Decin wurden Busse eingesetzt. Zahlreiche Bahnstrecken und Straßen waren überschwemmt. Bis Sonntagmittag ertranken auf tschechischem Gebiet fünf Menschen in den Fluten, drei weitere wurden noch vermisst.

Todesängste standen zeitweise die Bewohner der Ortschaft Nova Ves bei Liberec aus. Dort füllte sich am Samstag ein Stausee, und das Wasser schoss schon über die Krone, so dass man vorübergehend einen Kollaps der Staumauer befürchtete. Vorsichtshalber wurde das Dorf deshalb evakuiert.

Auch in Frydlant v Cechach (Friedland in Böhmen), wo das Stadtzentrum zweieinhalb Meter unter Wasser stand, mussten mehr als tausend Menschen ihre Häuser verlassen. Am Sonntag entspannte sich die Situation allerdings wieder. Zur Unterstützung der Rettungsarbeiten war im Katastrophengebiet auch die tschechische Armee eingesetzt, die mit schwerem Gerät anrückte.

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