Hochwasser in Sachsen-Anhalt:Versunkene Zukunft

Hochwasser in Sachsen-Anhalt - Fischbeck

Fischbeck in Sachsen-Anhalt: Hier trifft das Elbhochwasser eine ohnehin strukturschwache Region

(Foto: Jens Wolf/dpa)

Das Elbhochwasser reißt in Fischbeck in Sachsen-Anhalt Haus und Hof mit sich und versenkt damit die Zukunft der Dorfbewohner. Viele in der strukturschwachen Gegend sind arbeitslos oder erhalten nur eine kleine Rente. Für Menschen wie Marina Hebekerl steht alles auf dem Spiel.

Von Christopher Stolzenberg, Fischbeck

Das Örtchen Fischbeck an der Elbe kannten bislang höchstens Fahrradtouristen. Wer Deutschlands meist befahrenen Radweg entlangradelte, hat hier womöglich schon einmal Rast gemacht. In der Nacht zum Montag gab entlang der 400 Einwohner zählenden Gemeinde der Elbdeich nach. Gewaltige Wassermassen brachen sich gnadenlos Bahn ins östliche Elbhinterland. Nun ist Fischbeck überall in den Nachrichten. Dort kann Marina Hebekerl auch ihr Haus sehen. Es liegt einen halben Kilometer vom Deich entfernt. Das Wasser fließt mitten durch ihren Hof.

Sie hat die vergangene Nacht kaum geschlafen, davon zeugen tiefe Augenringe. Sie sagt: "Jetzt ist die schlimmste Zeit, weil man nichts mehr tun kann". Die 60-Jährige sitzt in einer fremden Wohnung, mit fremden Möbeln, in der Stadt. Sie ist bei Freunden, die ihr in ihrer Not helfen. Niemand weiß, wie lange sie deren Gastfreundschaft beanspruchen muss.

Die Landwirtin ist eine von 45.000 Evakuierten Sachsen-Anhalts, die vor dem Hochwasser flüchten mussten. Haus und Land hat sie an die Fluten verloren. Sie bemüht sich um Gefasstheit, doch so richtig kann sie die Ereignisse der vergangenen 36 Stunden noch gar nicht fassen.

Das Hochwasser trifft Sachsen-Anhalt besonders hart. Weil sich hier manche gerade erst vom Elbhochwasser 2002 erholt haben, das vielerorts enormen Schaden angerichtet hatte. Und, weil hier viele Menschen wohnen, die wenig haben. Viele der Hochwasseropfer sind Arbeitslose oder Rentner. Für sie steht eine ohnehin prekäre Zukunft auf dem Spiel.

Marina Hebekerl ist froh, dass sie ihre Familie und sich in Sicherheit bringen konnte. "Alles kam so plötzlich", sagt sie. "Erst hieß es 'nicht evakuieren', dann doch und ganz schnell. Wie soll man sich auf so eine Situation vorbereiten?" Ganz schnell müssen dann Antworten her. Antworten auf Fragen wie: Wohin mit uns? Wohin mit den 13 Schafen? Wohin mit allen unseren Habseligkeiten?

Das Perfide am Hochwasser ist die ausdauernde Langsamkeit, mit der es kommt und Schäden anrichtet. Denn trotz eines behäbig steigenden Pegels kann man doch nie genau vorhersagen, ob und wann ein Deich zu weich ist und bricht oder welche Ausmaße die Schäden annehmen werden.

Und niemand kann Marina Hebekerl sagen, wie es weitergeht. Sie denkt viel darüber nach, was kommt. Denkt daran, was wohl aus ihrem Haus und Land wird - aus ihrer Existenz. Dieses Wort benutzt sie oft, und erst bei genauem Hinhören wird klar, dass es um mehr als materielle Werte geht: Hof und Land in einer malerischen Umgebung, das Elternhaus des Mannes, in jahrelanger Eigenarbeit ausgebaute Mietwohnungen und verpachtetes Land hinterm Deich. Hebekerls Altersvorsorge. Wegen langer Jahre der Arbeitslosigkeit bekommt sie nur eine geringe Rente - andere Einkommensquellen sind da existenziell. "Doch wer will jetzt noch in Fischbeck wohnen, wo alle wissen, dass hier der Deich brach? Welcher Landwirt wird Land pachten, das von Hochwasserschlamm gereinigt werden muss?", fragt sie mit bebender Stimme. Existenz ist eben mehr, als Versicherung und staatliche Soforthilfe je ausgleichen können.

Wo der Dammbruch Erleichterung bringt

"Der Deichbruch in Fischbeck ist für uns womöglich ein Glücksfall", sagt Peter Neumann, der nur einige Kilometer elbabwärts in dem Dorf Osterholz lebt. "Hier ist der Pegel seither schätzungsweise um zehn Zentimeter gesunken", sagt er nur wenige Stunden nach dem Unglück auf der anderen Elbseite. Er steht auf einem völlig durchweichten Deich vor seinem Haus. Blickt er landeinwärts, sieht er, wie das Wasser unter dem Deich hervordrängt und auf den Wegen dahinter kleine, unheilvolle Seen bildet. Hinter seinem Haus erstreckt sich schon lange ein neuer Tümpel, der nichts Gutes ahnen lässt: Drängwasser. Die verteilten Sandsäcke können es kaum aufhalten. Regenwürmer und Maulwürfe kommen an die Oberfläche und flüchten aus dem durchnässten Erdreich. Noch hält der Wall, doch wie lange? "Da ist man froh, wenn durch einen Bruch weniger Druck auf dem Deich lastet."

Fischbeck Reportage Hochwasser Sachsen-Anhalt Christopher Stolzenberg

Erleichtert über den Deichbruch flussaufwärts: Peter Neumann.

(Foto: Christopher Stolzenberg)

Neumann hat Angst. Bereits bei der großen Elbflut 2002 war er in dieser Situation und auch heute bangt er um seine Existenz. "Außer dem Haus haben ich und meine Frau doch nichts. Das ist unser einziges Kapital." Keine Ersparnisse, keine Rücklagen. Das Haus zu verlieren würde für den Langzeitarbeitslosen das Ende bedeuten. 2002 ging alles gut. Doch wird es auch heute so sein?

Fischbeck Reportage Hochwasser Sachsen-Anhalt Christopher Stolzenberg

Plakative Solidarität inmitten der Katastrophe.

(Foto: Christopher Stolzenberg)

Wütend ist er auf die Behörden, die seit zehn Jahren die Sanierung des Deiches immer wieder aufgeschoben hätten. "Das Problem war bekannt, aber es ist nichts passiert!" Der neun Kilometer lange Deich vor seinem Haus schützt das Hinterland. Historische Aufzeichnungen der Flut von 1855 zeigen, dass Hochwasser hier weit ins Landesinnere strömen kann. "Warum Verwaltung und Politik an einer solchen neuralgischen Stelle nicht schon früher etwas getan haben, bleibt mir schleierhaft", sagt Peter Neumann.

Auch Marina Hebekerl sieht Versäumnisse bei den zuständigen Behörden. Sie kritisiert, dass Geld nur in die Erhöhung der Deiche gesteckt wurde, nicht jedoch in Ausweichflächen, die Flüsse natürlicherweise benötigten. "Die Deiche zu erhöhen, sorgt doch nur dafür, dass das Hochwasser flussabwärts noch schlimmer wird, weil dort mehr Wasser ankommt." So hätten Ausweichflächen weiter elbaufwärts die Situation entschärfen können. Deichrückverlegungen seien jedoch ein großer Eingriff in die Natur, der nicht unwidersprochen bliebe. "Aber da müssen Politiker einfach Mut zeigen und handeln", sagt sie. "Jetzt ist es aber für jede Hilfe zu spät. Und wir müssen selbst sehen, wie wir zurechtkommen."

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