Hinrichtungen in den USA:Experimente mit dem Tod

Das qualvolle Sterben des Clayton Lockett in einer Todeskammer in Oklahoma ist ein weiterer Beleg des fragwürdigen Verhaltens einiger US-Strafvollzugsbehörden. Hinrichtungen werden dort zu Versuchen mit einem zynischen Ziel.

Von Markus C. Schulte von Drach

Ist eine Hinrichtung vertretbar, wenn sie auf möglichst wenig grausame Weise vollzogen wird? Gegnern der Todesstrafe erscheint diese Frage zynisch. Doch in den USA wird sie, nach dem "missglückten" Versuch in Oklahoma einen 38-Jährigen mit Gift zu töten, gerade heftig diskutiert. Der wegen Mordes verurteilte Clayton Lockett starb an einem Herzinfarkt, nachdem beim Spritzen der Giftstoffe eine seiner Venen geplatzt war.

Fast eine Dreiviertelstunde dauerte sein Todeskampf. Den Zeugen im Zuschauerraum war das wohl nicht zuzumuten: Nachdem Lockett begann, sich zu winden und nach Luft zu ringen, wurden die Vorhänge der Todeskammer zugezogen. Madeline Cohen, die Anwältin des ebenfalls zum Tode verurteilten Charles Warner, warf den Behörden dem Fernsehsender KFOR-TV zufolge danach vor: "Clayton Lockett wurde zu Tode gefoltert."

Zwei weitere Fälle, in denen die Sträflinge sich mehr quälten als das US-Justizsystem ihnen eigentlich zumuten will, hatten im Januar für Aufmerksamkeit gesorgt. Dennis McGuire, 53 Jahre, hatte in Ohio 24 Minuten gelitten, bis er für tot erklärt werden konnte. Ebenfalls in Oklahoma hatte zuvor Michael Lee Wilson über Schmerzen geklagt, nachdem ihm der Giftcocktail verabreicht worden war.

Bislang 20 Hinrichtungen in diesem Jahr

Insgesamt wurden in den USA allein 2014 bereits 20 Menschen hingerichtet - alle durch Medikamente, die in der Mischung und Dosierung tödlich sind. Solange die Exekutionen wie geplant ablaufen, gehen die meisten Berichte über reine Meldungen kaum hinaus.

Geplant - das bedeutet, dass die Todeskandidaten durch ein Mittel betäubt und ein weiteres gelähmt werden. Ein dritter Stoff soll das Herz zum Stillstand bringen. Im "Idealfall" würden die Verurteilten also einschlafen - und nicht mehr aufwachen. Das erscheint humaner, weil es weniger brutal wirkt als jemandem mit Hilfe eines Stricks das Genick zu brechen, durch einen Stromschlag zu töten, zu erschießen, zu vergasen oder den Kopf abzuschlagen. Die Giftspritzen sollen gewährleisten, dass die Vorgaben der US-Verfassung erfüllt werden: Gemäß Zusatzartikel VIII dürfen "grausame oder ungewöhnliche Strafen nicht verhängt werden".

Todesstrafe in den USA

Todeskammer in einem US-Gefängnis

(Foto: dpa)

Doch nachdem das offensichtlich nicht gewährleistet ist, setzte die republikanische Gouverneurin von Oklahoma, Mary Fallin, die Hinrichtung von Charles Warner aus. Warner sollte am selben Tag getötet werden wie Lockett. In den kommenden zwei Wochen soll in dem Bundesstaat niemand mehr exekutiert werden. In dieser Zeit soll der Vorfall untersucht werden.

Bekannt ist bislang, dass versucht wurde, Lockett mit dem Mittel Midazolam zu betäuben. Anschließend wurde ihm Vecuronium zugeführt, das zu einer Atemlähmung führen soll, sowie Kaliumchlorid, um einen Herzstillstand auszulösen. Nachdem Lockett sich trotz der drei Mittel wieder zu bewegen begann, stellten die anwesenden Ärzte fest, dass eine seiner Venen gerissen war. Robert Patton, Direktor der Strafvollzugsbehörde von Oklahoma, entschied daraufhin, die Hinrichtung abzubrechen, da nicht klar war, welchen Mengen von Medikamenten Lockett ausgesetzt war.

Die Reaktionen des Sträflings deuten darauf hin, dass das Betäubungsmittel nicht ausreichend gewirkt haben könnte. Die beiden anderen Substanzen können Schmerzen und qualvolles Ersticken auslösen. Der Todeskampf des Gefangenen endete schließlich mit einem Herzinfarkt.

Strafvollzugsschef Robert Patton sagte der New York Times zufolge, es wären nicht die Mittel selbst gewesen, die versagt hätten, sondern die Art, wie sie verabreicht wurden. Doch auch der Einsatz der Medikamente ist extrem umstritten. Die Probleme, die Henker in den USA derzeit damit haben, den zum Tode Verurteilten Qualen zu ersparen, hängen ironischerweise mit dem Engagement von Gegnern der Todesstrafe zusammen.

Die europäischen Firmen, die allein die Lizenz zur Herstellung des normalerweise verwendeten Betäubungsmittels Pentobarbital besitzen, liefern ihr Produkt seit einigen Jahren nur noch an Kunden in den USA, die zusagen, dass der Stoff nicht für Hinrichtungen eingesetzt wird. Die Unternehmen folgten damit einer Bitte der britischen Anti-Todesstrafen-Aktivisten Reprieve.

Seitdem gehen die Vorräte an Pentobarbital in den 32 Bundesstaaten, wo es die Todesstrafe gibt, zur Neige. Versuche der Haftanstalten, den Stoff über Mittelsmänner in Europa zu beschaffen, wurden in den USA gerichtlich unterbunden. Deshalb versuchen manche Staaten, über sogenannte Compound Pharmacies an das Mittel oder die Alternative Propofol zu kommen. Propofol wird von Europa aus ebenfalls nicht geliefert, wenn es bei Hinrichtungen verwendet werden soll.

Bei Compound Pharmacies handelt es sich um Unternehmen, die mit Genehmigung der Behörden der jeweiligen Bundesstaaten nur die Zusammensetzung von Arzneimitteln verändern, so dass für sie nicht die selben Gesetze gelten wie für die Originalstoffe. Sie brauchen auch keine Freigabe der obersten Zulassungsbehörde FDA.

Manche Bundesstaaten aber experimentieren mit alternativen Substanzen und Dosierungen. Midazolam, das jetzt in Oklahoma auch bei Lockett verwendet wurde, ist noch nicht lange im Einsatz. Florida setzt es seit 2013 ein. Schon die erste Hinrichtung unter Verwendung des Betäubungsmittels an William Happ dauerte mit 14 Minuten doppelt so lang wie es sonst bei der Todesspritze gewöhnlich der Fall ist. Auch bei der Hinrichtung von Dennis McGuire in Ohio war es im Januar verwendet worden, allerdings zusammen mit dem Betäubungsmittel Hydromorphon.

"Die Menschen sind angeekelt"

Vor der Hinrichtung von Lockett und der vorläufig ausgesetzten Exekution von Charles Warner hatten die beiden Gefangenen gefordert, über die Mittel und ihre Herkunft informiert zu werden, die bei ihnen eingesetzt werden sollten. Das aber wollen die Behörden lieber geheim halten - aus Sorge, dass die beteiligten Pharmaunternehmen Probleme mit Gegnern der Todesstrafe bekommen könnten. Dazu werden in mehreren Bundesstaaten bereits Prozesse geführt.

Nach Locketts Tod wurde allerdings bekannt, was verwendet wurde. Es handelte sich um die gleiche Kombination wie bei den jüngsten Hinrichtungen in Florida - jedoch mit anderer Dosierung. Dem britischen Guardian zufolge war dort die Menge des Midazolams fünfmal größer gewesen als jetzt in Oklahoma.

Die Hinrichtungen mit Giftcocktails in den USA haben sich zu Menschenexperimenten entwickelt. Die Behörden versuchen, herauszufinden, wie die Todeskandidaten effektiv betäubt werden können, bevor man sie umbringt.

Richard Dieter vom Death Penalty Information Center in Washington D.C. sagte der Nachrichtenagentur AP, "dies könnte ein wirklicher Wendepunkt in der ganzen Debatte sein, denn die Menschen sind davon angeekelt". Möglicherweise würden Exekutionen nun ausgesetzt, bis die Staaten belegen könnten, dass sie ohne Probleme hinrichten können, sagte Dieter.

Gegner der Todesstrafe hoffen dagegen, dass die Diskussion sich nicht auf die Methoden beschränken wird, sondern Hinrichtungen, die in den USA erst seit 1976 wieder legal sind, verboten werden. Denn der Tötungsakt an sich ist immer grausam. Dies würde bei der Giftspritze lediglich "durch den Anschein klinischer Sauberkeit" kaschiert, kritisierte kürzlich Amnesty International.

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