Hinrichtung per Giftspritze in den USA:Grausame Experimente

Europäische Pharmafirmen wollen den Vereinigten Staaten kein Gift mehr für Hinrichtungen liefern. In US-Gefängnissen wird daher mit neuen Medikamenten-Mischungen experimentiert - mit qualvollen Folgen. Viele hoffen jetzt auf ein Umdenken in den USA.

Von Thomas Kirchner und Christoph Behrens

Hinrichtungen sind immer grausam, aber manche sind grausamer als andere. Als der verurteilte Mörder Dennis McGuire vor einigen Tagen in Lucasville im US-Bundesstaat Ohio exekutiert wurde, kämpfte er offensichtlich einen schrecklichen Kampf. Kurz nachdem das Gift in seine Adern geflossen war, begann er nach Luft zu schnappen, seine Brust hob und senkte sich, er ballte die Faust. Zehn Minuten lang röchelte er laut. Erst nach 24 Minuten wurde der 53-Jährige, der 1989 eine hochschwangere Frau vergewaltigt und erwürgt hatte, für tot erklärt.

Ähnliches war Anfang des Monats in Oklahoma geschehen. "Mein ganzer Körper brennt", rief Michael Lee Wilson, nachdem er eine Spritze mit einem Mittel erhalten hatte, das sich die Behörden bei einem nicht offiziell zugelassenen Hersteller besorgt hatten. Auf dieselbe Weise wurde am vergangenen Donnerstag ein Delinquent in Oklahoma getötet. Bevor er starb, klagte er über einen "chemischen Geschmack" im Mund.

Die Fälle haben eines gemeinsam: Sie sind Versuche. Weil die europäischen Hersteller nicht mehr liefern wollen, geht den US-Behörden das Gift aus, das sie bisher immer verwendet haben. Also müssen sie, so makaber es klingt, Neues ausprobieren. In Ohio etwa griffen sie zu einer Mischung, die noch nie verwendet worden war: das Beruhigungsmittel Midazolam und das Schmerzmittel Hydromorphon. Ein Richter hatte das genehmigt, obwohl McGuires Anwälte warnten, der Delinquent werde grausam ersticken. Sie zitierten einen Harvard-Professor, der voraussah, dass er "Luft-Hunger" erleiden werde. Vertreter des Bundesstaats bestritten das, aber genauso scheint es gekommen zu sein. McGuires Hinrichtung sei "ein gescheitertes, qualvolles Experiment", sagte sein Anwalt Allen Bohnert. McGuires Verteidiger wollen nun klagen wegen Verstoßes gegen den achten Zusatz zur Verfassung, der "grausame und ungewöhnliche" Strafen verbietet.

Die EU handelt im Sinne ihrer Anti-Folter-Richtlinie

Das in Ohio bis dahin eingesetzte Betäubungsmittel Pentobarbital war im vergangenen September ausgegangen, Nachschub gab es nicht. Der einzige Hersteller, eine dänische Firma, hatte sich vor zwei Jahren geweigert, sein Produkt weiterhin für Todesspritzen zur Verfügung zu stellen. Vorausgegangen war intensives Lobbying der britischen Anti-Todesstrafen-Gruppe Reprieve. Das ist ganz im Sinne der EU, die für einschlägige Medikamente Exportkontrollen verhängen kann, unter Verweis auf ihre Anti-Folter-Richtlinie.

Schon Pentobarbital war ein Ersatz gewesen. Von 1982 an wurde in den meisten Bundesstaaten, die die Todesstrafe vollziehen, ein Dreifach-Cocktail verwendet, zu dem das Betäubungsmittel Thiopental gehörte. Der einzige amerikanische Hersteller, Hospira, stellte die Produktion 2009 ein. Er hatte sie nach Italien verlegen wollen, das sich aber sperrte. Es folgte, was die Zeitschrift New Yorker eine "schwarze Komödie" nennt: "Zunehmend verzweifelt" hätten US-Gefängnisbeamte versucht, den Stoff herbeizuschaffen. Zunächst bezogen sie ihn über einen Mittelsmann in London, der sich ein Büro mit einer Fahrschule teilte. 2012 blockierte ein US-Gericht diesen Weg.

Als auch Pentobarbital nicht mehr erhältlich war, wollte der Staat Missouri auf das weit verbreitete Propofol umsteigen, das Betäubungsmittel, an dem Michael Jackson starb. Daraufhin beschränkte der deutsche Hersteller Fresenius Kabi den Vertrieb, so dass Propofol nur noch für garantiert lebenserhaltende Zwecke verabreicht werden kann. Seither bestellen Missouri und sechs andere Staaten ihr Todesmittel bei sogenannten compound pharmacies, US-Firmen, die an den gesetzlichen Auflagen vorbei für den grauen Markt produzieren.

Zurück zu Erschießungskommandos?

Nun könnte auch dieser Weg verbaut sein. "In Ohio liefen die Dinge nicht wie geplant", sagt Richard Dieter vom Death Penalty Information Center, das die Todesstrafe abschaffen will. "Wahrscheinlich werden die Behörden die neue Mischung beim nächsten Mal nicht mehr verwenden." Was aber sonst? In Wyoming hat ein republikanischer Senator vorgeschlagen, wieder Erschießungskommandos zurückzukehren. Das sei auf jeden Fall günstiger, als eine Gaskammer zu bauen. Im Parlament von Missouri wird Ähnliches erwogen. "Erschießen ist nicht inhumaner als die Giftspritze", sagt der Abgeordnete Rick Brattin. "Die Leute leiden bei jeder Art Tod."

Tatsächlich sind die Giftinjektionen von Verteidigern der Todesstrafe immer als eine irgendwie humanere Art der Hinrichtung hingestellt worden. Schließlich wird der Delinquent erst in Schlaf versetzt, erhält ein Schmerzmittel und dann erst die tödliche Dosis. Das habe aber nur verschleiert, wie grausam die Todesstrafe als solche sei, sagt Maya Foa von Reprieve. "Dieser Schleier wird jetzt weggezogen, und wir sehen die kalte Realität." Die Medikamente seien entwickelt worden, um Leben zu retten und würden für das Gegenteil benutzt. Auch Barbara Lochbihler, EU-Abgeordnete der Grünen, begrüßt die Boykotte der europäischen Hersteller. Sie hofft nun auf eine verstärkte Debatte in den USA, nicht nur über grausame Hinrichtungsarten, sondern über die Todesstrafe allgemein.

In dieser Hinsicht ist zumindest etwas Bewegung erkennbar. Hatten 1994 noch 80 Prozent der Amerikaner die Todesstrafe befürwortet, waren es im vergangenen Jahr laut einer Umfrage von Gallup nur 60 Prozent. Berichte über Hingerichtete, deren Unschuld sich im Nachhinein erwies, haben ebenso ein Umdenken bewirkt wie die Tatsache, dass bei vielen Urteilen soziale oder rassistische Diskriminierung im Spiel ist. In naher Zukunft werde die Todesstrafe, die noch 32 Bundesstaaten verhängen, wohl nicht abgeschafft, sagt Martin Thunert vom Heidelberg Center for American Studies. Vermutlich werde die Justiz aber öfter die Möglichkeit nutzen, lebenslange Freiheitsstrafen ohne Bewährung auszusprechen. Gut möglich, dass der Boykott der europäischen Pharmafirmen dazu beiträgt.

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