Hildegard von Bingen:Volksheilige, Marke, Kirchenlehrerin

Schon zu ihren Lebzeiten wurde Hildegard von Bingen als Heilige verehrt. Heute werden in ihrem Namen Cremes und Aryurveda-Kurse verkauft. Nach mehr als 800 Jahren ist ihr nun eine hohe Ehre zuteil geworden: Papst Benedikt der XVI. hat die Benediktinerin als erste deutsche Frau zur Kirchenlehrerin erhoben. Wer war die Frau, die heute noch so viele fasziniert?

Hildegard von Bingen wird dieses Jahr zur Kirchenlehrerin

Hildegard von Bingen - hier als Statue aus dem 19. Jahrhundert in der Basilika Sankt Martin in Bingen am Rhein - wurde schon zu Lebzeiten wie eine Heilige verehrt.

(Foto: dpa)

Hildegard von Bingen, Nonne, Naturkundlerin, Heilige wirkt auch 833 Jahre nach ihrem Tod noch als Wohltäterin und beschert vielen Menschen Reichtum. Mit keinem anderen Namen des deutschen Mittelalters dürften vergleichbare Umsätze erzielt werden. Unter den ersten zehn Treffern für die adlige Klosterfrau liefert Google fünf verschiedene Shops und Kursanbieter. In ihrem Namen werden Edelkastanienmehl verkauft, Ausbildungen zum "Ayurverda Wohlfühpraktiker" und Gürtel aus Dachsfell. Sie ist eine der populärsten Figuren der Kirchengeschichte. Und ist an diesem Sonntag von Papst Benedikt XVI. feierlich zur Kirchenlehrerin ernannt worden.

"Die heilige Hildegard von Bingen, eine bedeutende weibliche Gestalt des zwölften Jahrhunderts, hat ihren wertvollen Beitrag zur Entwicklung der Kirche ihrer Zeit geleistet, indem sie ihre von Gott erhaltenen Gaben zur Geltung brachte, wobei sie sich als Frau von lebhafter Intelligenz, tiefer Sensibilität und anerkannter geistlicher Autorität erwies", sagte der Papst im Gottesdienst auf dem Petersplatz in Rom.

Mit diesem Privileg steigt Hildegard, die erst im Mai von Papst Benedikt XVI. in den Heiligenkalender der Weltkirche aufgenommen wurde, in der Hierarchie der katholischen Kirche eine weitere Stufe auf. Den Titel "Kirchenlehrerin" teilt sie sich mit 35 anderen. Die Mystikerin ist die erste Deutsche und die vierte Frau in diesem Kreis - vor ihr wurden Katharina von Siena, Teresa von Avila und Therese von Lisieux für ihre außergewöhnlichen theologischen Verdienste gewürdigt.

"Von herausragender Bedeutung und Aktualität" sei Hildegard, ihren Zeitgenossen als propheta teutonica bekannt, sagte Benedikt XVI., als er im Mai bekanntgab, die Deutsche zusammen mit dem Spanier Johannes von Avila in die Runde der Kirchenlehrer aufnehmen zu wollen: "Hildegard, die Benedektinernonne, war eine wahre Meisterin der Theologie, darüber hinaus eine Gelehrte der Naturwissenschaften und der Musik."

Nun geht plötzlich alles ganz schnell, nachdem Hildegard von Bingen mehr als acht Jahrhunderte auf ihre offizielle Erhebung zur Heiligen der römisch-katholischen Weltkirche hatte warten müssen. Dabei wurde sie schon zu ihren Lebzeiten im 12. Jahrhundert verehrt.

Zehntes Kind einer Adelsfamilie

Hildegard wurde wohl 1098 in Bermersheim nahe des rheinland-pfälzischen Alzey geboren. Als das zehnte Kind ihrer Familie wurde sie einer Klosterfrau zur Ausbildung anvertraut, Jutta von Sponheim. Sie wuchs in einer Dependance des Mönchsklosters auf dem Disibodenberg auf, übernahm bald Führungsaufgaben in der Ordensgemeinschaft.

Berühmt wurde Hildegard allerdings in einem Alter, in dem viele ihrer weltlichen und ärmeren Zeitgenossen mit dem irdischen Dasein längst abgeschlossen hatten: Mit 42 ereilte die Benediktinerin der göttliche Auftrag, ihre Visionen - die sie hatte, seit sie ein Kleinkind war - niederzuschreiben. Dass sie damals dafür überhaupt die päpstliche Erlaubnis erhielt, gelang Hildegard durch gute Verbindungen in Adel und Klerus - und durch ihr energisches, selbstbewusstes Auftreten. Letzteres machte sie, wenn es so etwas überhaupt geben kann, zu einer feministischen Vorbildfigur der Kirchengeschichte.

Comeback in den 1970er Jahren

Sie trat als Predigerin auf - ebenfalls ein Novum - und zog viele Gläubige in ihren Bann. So machte sich der Mönch Wibert von Gembloux nach einer kurzen Korrespondenz mit seiner Glaubensschwester von seinem belgischen Kloster aus auf nach Deutschland, um Hildegard als Sekretär zu Diensten zu sein.

Nachdem sie mit Schreiben angefangen hatte, hörte die Ordensfrau gar nicht mehr auf. Sie schrieb über ihre Visionen: "Und meine Seele steigt - wie Gott will - in dieser Schau empor bis in die Höhe des Firmaments". Über den verkommenen Klerus: "Warum schämt ihr euch nicht; während doch alle anderen Kreaturen die Vorschriften, die sie von ihrem Meister haben, nicht vernachlässigen, sondern erfüllen!" Über die menschliche Sexualität: Bei "leichtsinnigen Gedankenspielereien" könnten Jungen Samen "aus sich herausschwitzen". Bis sie im Alter von 82 Jahren starb, verfasste sie theologische Werke, Briefe an Kaiser und Päpste, mehr als 70 liturgische Musikstücke und biomedizinische Traktate.

Letztere, in denen 290 Pflanzen, 153 Tierarten, 25 Mineralien und acht Metalle beschrieben werden, bescherten ihr im 20. Jahrhundert ein überaus erfolgreiches Comeback. Wie originell und neu ihre Ansätze tatsächlich sind, die sich vornehmlich aus Hörensagen und eigener Erfahrung schöpften, darüber herrscht Uneinigkeit. Ihre Ringelblumensalbe und die Entdeckung der Heilkraft von Ingwer gelten als zwei ihrer großen Verdienste.

Der österreichische Arzt Josef Hertzka veröffentlichte 1970 das Buch: "So heilt Gott. Die Medizin der hl. Hildegard von Bingen als neues Naturheilverfahren" und begründete damit einen wahren Hildegard-Boom. Heute steht die adelige Nonne bei vielen ihrer Anhänger eher für ein selbstbestimmtes Leben im Einklang mit sich selbst und der Natur als für die Evolution der katholischen Theologie.

So ist es kaum verwunderlich, wie die Benediktinerinnen aus der Abtei St. Hildegard am Rhein, die vor so vielen Jahrhunderten von der Gelehrten gegründet wurde, argumentierten, um Hildegards Heiligsprechung anzutreiben: Keine andere könne Kirchenferne so gut ansprechen wie die Namensgeberin ihres Klosters. Sie sei die "rechte Frau zur rechten Zeit", sagte Schwester Philippa kürzlich der Welt.

Der Papst hatte gegen diese Analyse offenbar nichts einzuwenden.

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