Dem Mietshaus wird oft angelastet, ein anonymer Ort zu sein; das höchste der Gefühle ist ein "Morgen" an der Mülltonne, das niedrigste der Beschwerdebrief wegen des letzten Saufgelages. Seitdem man aber an die ganzen T-Shirts, Bücher und Fahrräder kommen muss, die online bestellt und beim Nachbarn im Erdgeschoss abgegeben wurden, ist dieses Klischee nicht mehr haltbar: In jedem Haus gibt es heute eine Partei, die sich semifreiwillig um die Paketzustellung kümmert - und damit gute Gründe, nebenan zu klingeln.
Was dem Großstädter der Nachbar ist, ist für die Bewohner des 4600-Einwohner-Örtchens Worfelden in Hessen ein Mann namens Helmut Becker, 56 Jahre alt. Seit 28 Jahren liefert er in Worfelden DHL-Pakete aus, circa 200 am Tag. Damit keiner beim Nachbarn klingeln oder zur nächsten Paketstation fahren muss, hat Becker zu ein paar Häusern einen eigenen Schlüssel. Ist jemand nicht mehr so schnell unterwegs, wartet er eine Viertelstunde vor der Tür. Kurzum: Becker ist der Wohltäter von Worfelden, so schildern es die Einwohner.
In anderthalb Wochen aber soll er im zehn Kilometer entfernten Mörfelden-Walldorf den Dienst antreten, das hat die Post so entschieden. Seit sechs Wochen ist die Nachricht in der Welt, und seither gebe es in Worfelden kaum ein anderes Thema, sagt Bürgermeister Andreas Rotzinger. "Es wurden mehr als 2000 Unterschriften gegen seine Versetzung gesammelt und an die DHL geschickt - das ist einzigartig."
Helmut kennt sie alle
Ja, der Ort steht auf: Vor zehn Tagen trafen sich 200 Menschen vor der Sparkasse, eine Frau hielt ein "Helmut forever"-Transparent in die Luft. Die Facebook-Gruppe "Wir wollen Helmut behalten" adelt den Paketboten zur "Person des öffentliches Lebens". Der Initiator der Protestbewegung, Torsten Hotz, sagt: "Er kennt die ganzen Wehwehchen der Leute, alle Hochs und Tiefs - das können wir uns doch nicht gefallen lassen!" Am Donnerstagabend kamen etwa 500 Helmut-Unterstützer zu einer Kundgebung vor dem Bürgerhaus, eine für den kleinen Ort erstaunliche Beteiligung.
Die Post aber bleibt dabei: Die Zustellbezirke müssten wegen des stärker werdenden Online-Handels anders zugeschnitten werden, müssten eher mehr und eher kleiner werden - so komme es auch zu personellen Veränderungen, sagt ein Pressesprecher. "Es ist nicht möglich, jedem Zusteller lebenslang einen eigenen Zustellbezirk zu garantieren." In diesem Fall sei ein 1:1-Tausch leider nicht möglich. Natürlich werde auch in Zukunft jemand in Worfelden die Pakete zustellen. Aber eben nicht Helmut Becker.
Wieso Becker selbst sich in der Causa Becker nicht äußern dürfe? Da sei nun einmal der Pressestelle vorbehalten. Zumindest ist eine Gefühlsregung des Mannes dokumentiert, über den alle reden und selbst nicht reden darf. Ein Videobericht der Hessenschau zeigt Becker und seine demonstrierenden Fans: "Es ist unvorstellbar", sagt er. "Ich mache doch nur meine Arbeit."