Helikopter-Überfall in Schweden:Die Luft-Nummer

Nach dem filmreifen Helikopter-Überfall auf ein Gelddepot in Schweden stehen zehn Verdächtige vor Gericht. Es geht um 4,27 Millionen Euro. Von dem Geld fehlt bislang jede Spur.

Gunnar Herrmann, Stockholm

Auf den Prozessfotos, die in diesen Tagen oft in der schwedischen Presse zu sehen sind, wirkt Safa Kadhum wie ein netter Junge. Spitzbübisch kaut er da auf einem Zahnstocher, lächelt. So einem traut man einen Streich zu, aber bestimmt kein Schwerverbrechen. Der 31-Jährige räumte vorige Woche ein: "Ich war dabei." Es tue ihm auch leid, er sei da "irgendwie 'reingerutscht". Er sei jedenfalls der Mann mit den weißen Turnschuhen, der in den Sicherheitsvideos aus dem Gelddepot in Väsberga zu sehen ist, gestand Kadhum.

Helikopter-Überfall in Schweden: Ein Raub wie im Kino: Der Helikopter-Überfall auf ein Gelddepot war wohl der spektakulärste Raub in der schwedischen Kriminalgeschichte. Nur ein Verdächtiger ist inzwischen geständig.

Ein Raub wie im Kino: Der Helikopter-Überfall auf ein Gelddepot war wohl der spektakulärste Raub in der schwedischen Kriminalgeschichte. Nur ein Verdächtiger ist inzwischen geständig.

(Foto: AP)

Dieser Mann mit den weißen Turnschuhen wirkt nun überhaupt nicht nett. Auf den unscharfen Überwachungsbildern trägt er eine Sturmhaube vor dem Gesicht, in der einen Hand hält er ein Maschinengewehr. Mit der anderen schleppt er einen Geldsack nach dem anderen durch den Raum. 4,27 Millionen Euro sollen die Räuber erbeutet haben, die im vergangenen September mit einem Hubschrauber auf einem Gelddepot im Stockholmer Vorort Västberga landeten. Sie drangen über das Dach ein, räumten den Tresor leer und flogen davon.

Es war wohl der spektakulärste Raub in der schwedischen Kriminalgeschichte. Die Diebe hatten die Ordnungsmacht außer Gefecht gesetzt, indem sie im Hangar mit den Polizeihubschraubern einen Koffer mit der Aufschrift "Bombe" platzierten. Die Attrappe verzögerte den Einsatz, die Räuber entkamen. Die Polizei konnte nur noch den Hubschrauber sicherstellen, der einsam auf einem Acker zurückblieb.

In den folgenden Wochen fanden die Ermittler schnell Verdächtige. Schließlich gibt es in einem kleinen Land wie Schweden nur eine Handvoll Verbrecher, die überhaupt in der Lage sind, so einen Coup zu planen. Doch in dem Fall sind noch eine Menge Fragen offen. Klarheit soll der Prozess bringen, der seit Anfang August in Stockholm stattfindet und bei dem neben Kadhum neun weitere Männer auf der Anklagebank sitzen. Die Polizei vermutet, dass insgesamt etwa doppelt so viele Täter beteiligt waren. Einige ließen sich bislang nicht identifizieren, andere sind untergetaucht.

Außer dem geständigen Kadhum bestreiten bislang alle Angeklagten die Vorwürfe. Da ist zum Beispiel ein 35-jähriger Fernsehproduzent. Er soll laut Polizei den Helikopter geflogen haben. Unmöglich, sagt der 35-Jährige. Er habe nämlich just am Tag des Geldraubs einen Rückfall in seine Drogensucht erlitten und sei berauscht durch Stockholm geirrt. Wo genau er war, wisse er nicht mehr. Wer ihm die Drogen verkauft hat, will er auch nicht sagen, aus Angst vor Racheaktionen der Dealer. Dass seine DNS-Spuren im Helikopter waren, sei nicht ungewöhnlich, sagte der 35-Jährige. Er nehme in der Flugschule, aus der der Hubschrauber gestohlen wurde, seit Jahren Stunden.

"Ist heute der Tag an dem ich sterbe?"

Es sieht ganz danach aus, als würde es für den Staatsanwalt schwierig werden, alle Verdächtigen zu überführen. Selbst das Geständnis Kadhums kann nur eingeschränkt als Erfolg gelten. Denn Kadhum gab zwar seine eigene Schuld zu, wollte sich aber an keinen einzigen Komplizen erinnern. Prozessbeobachter sehen in dem Geständnis kein Zeichen von Reue, sondern einen kalkulierten Schachzug, um ein mildes Urteil zu erwirken. "Kadhum machte das Beste aus einer hoffnungslosen Situation", urteilte die Gerichtsreporterin der Zeitung Aftonbladet. Der Räuber hatte sich beim Überfall verletzt und seine Blutspuren im ganzen Depot verteilt, an seiner Schuld gibt es ohnehin keine Zweifel.

Ob der geständige Kadhum wirklich auf Milde hoffen darf, ist ungewiss. In der schwedischen Öffentlichkeit jedenfalls hat sich das Bild der Bande seit Prozessbeginn gewandelt. Galten die tollkühnen Männer mit dem Hubschrauber anfangs noch als clevere Ganoven, so sind sie heute in den Augen der meisten gewöhnliche Gewaltverbrecher.

Zu diesem Imageverlust haben vor allem die Aussagen der Gelddepot-Mitarbeiter beigetragen. Sie berichteten von den bangen Stunden, die sie durchlitten hatten, während sich die Räuber mit Sprengladungen zu den Geldsäcken vorarbeiteten. "Ich habe mich gefragt: Ist heute der Tag an dem ich sterbe?", berichtete ein Angestellter. Eine andere Zeugin erlebte, wie 14 ihrer Kollegen beim Versuch, sich zu retten, in einer Sicherheitsschleuse stecken blieben. Von außen habe sie sehen können, wie der Sauerstoff in der engen Schleuse knapper wurde. Viele weinten, manche zogen in Todesangst Fotos ihrer Kinder hervor.

Die Räuber aber kümmerte das nicht weiter. Den Zeugen zufolge bargen die maskierten Männer mitten im Chaos unbeirrt ihre Beute. Von dem Geld fehlt bislang jede Spur. Der Prozess dauert bis zum 9. September.

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