Helgoland:Rangerobbt

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An manchen Wintertagen war die Helgoland-Düne zuletzt so voll mit jungen Kegelrobben, dass manche Stellen unpassierbar wurden. (Foto: John MacDougall/AFP)

1350 Einwohner hat Helgoland. Und seit Kurzem auch 426 junge Kegelrobben. Eine Touristenattraktion. Doch manche Tiere wagen sich bis auf die Landebahn des Flugplatzes vor. Muss der Mensch ihnen Platz machen?

Von Thomas Hahn, Helgoland

Tapfer bricht die Funny Girl durch die aufgewühlte See auf ihrem Weg nach Helgoland. Die Wellen spielen mit ihr, sie hebt und senkt sich so heftig, dass man in den Gasträumen des Schiffs die Gläser festhalten muss. Fahrgäste sollen sitzen bleiben. Wer doch mal aufstehen muss, taumelt durch die Gänge wie ein betrunkener Matrose. Und die Reederei hat die Rückreise der Tagesfahrt von Cuxhaven aus von 16 auf 14 Uhr vorverlegt, weil für den Nachmittag ein noch heftigerer Seegang angekündigt ist. Wer kann, bleibt auf der Insel - und bekommt dabei vielleicht einen Eindruck von dem Luxusproblem, das die Helgoländer gerade beschäftigt: Auf der Düne, der kleinen Sandoase neben der Hauptinsel, kommen immer mehr Kegelrobben zur Welt. Mittlerweile sogar so viele, dass der Mensch sich fragt, ob er Platz machen muss für das Tier.

Die Kegelrobbe war in der Nordsee mal so gut wie ausgestorben. Vor allem die Fischer sahen in ihr früher eine Konkurrenz und bekämpften sie rücksichtslos. Längst ist die Kegelrobbe in den meisten Ländern eine geschützte Tierart, auch hierzulande ist die Jagd auf sie verboten. Deutschland achtet auf sein größtes frei lebendes Raubtier, dessen Bullen bis zu 300 Kilo schwer und zweieinhalb Meter groß werden können. Die Folge: Die Kegelrobbe breitet sich wieder aus in der Fauna des deutschen Meeres. Vor allem auf Helgoland.

Helgoland, genauer gesagt Helgolands Düne, ist ein bevorzugter Ort der Kegelrobben. Die Düne wird bei Sturm nicht überspült wie andere kleine Inseln und Sandbänke in der Nordsee. Außerdem liegt sie mitten im Meer, ist also umgeben von fischreichen Jagdgründen. Deshalb rasten die Kegelrobben dort gerne. Für Helgolands Fremdenverkehr ist das wie ein Jackpot. Helgoland ist führend auf dem Gebiet des Kegelrobben-Tourismus. "Sie werden auf der Düne an jedem Tag des Jahres Kegelrobben vorfinden", sagt Lars Johannson, der Tourismus-Direktor der Insel. Und man muss sich nicht mal Sorgen machen um die Attraktion. Im Gegenteil. 426 Kegelrobben sind zwischen November und frühem Januar auf Helgoland zur Welt gekommen. Rekord. "Jedes Jahr gibt es eine Steigerung von 25 Prozent", sagt Seehundjäger Rolf Blädel. Natur- und Tierschützer freuen sich darüber, die Schutzpolitik zahlt sich aus. "Das ist eine tolle Erfolgsgeschichte", sagt auch Peter Lienau, der Geschäftsführer der Seehundstation Norddeich auf dem niedersächsischen Festland.

Einen Haken hat der Erfolg allerdings auch. Die Düne ist nur 0,7 Quadratkilometer groß. Sie beherbergt einen Flugplatz und ist das Erholungsgebiet für Helgoländer und Gäste. Je mehr Kegelrobben sich auf dem Eiland ausbreiten, desto knapper wird der Platz. An manchen Wintertagen war die Düne zuletzt so voll mit Kegelrobben, dass manche Stellen unpassierbar wurden. Bisweilen lagen auch Tiere auf der Landebahn. Das Flugplatzpersonal musste sie verscheuchen, damit die Flieger starten oder landen konnten.

Auf Helgoland gilt ohnehin schon eine großzügige Abstandsregel, damit Mensch und Robbe gleichzeitig auf der Düne sein können: Bis auf 30 Meter dürfen Menschen an sie herantreten; auf dem Festland empfiehlt die Seehundstation Norddeich eine Distanz von 300 Metern. Und die Gemeinde hat einen Bohlenweg angelegt, damit man bequem und mit gutem Blick auf die Robben dort spazieren gehen kann. Aber was tun, wenn es noch mehr Kegelrobben werden? Johannson hätte die Antwort gerne schon, aber sie ist erst in Arbeit. Die Gemeinde hat mit dem Verein Jordsand und Schleswig-Holsteins Umweltministerium ein Gutachten in Auftrag gegeben, das klären soll, was zu tun ist. "Für uns ist das ein ganz zentrales Thema", sagt Johannson, "das ist Neuland."

Dass die Entwicklung ein Problem wäre, sagt Johannson nicht. Niemand in Helgoland könnte den Kegelrobben übel nehmen, dass sie sich vermehren. Sie gelten hier als menschenfreundliche Geschöpfe, die allenfalls ihre Krallen ausfahren, wenn man ihnen zu nahe kommt. In Mecklenburg-Vorpommern wehrt sich gerade der Landesverband der Kutter- und Küstenfischer gegen den Verdacht, Fischer könnten etwas mit dem mysteriösen Tod von 20 Kegelrobben zu tun haben. Der Seehundjäger Rolf Blädel sagt, Kegelrobben fräßen eher selten Fische, die Menschen gern auf dem Teller haben. Die Befürchtung, dass die Düne eines Tages gesperrt werden könnte wegen der Robben, hat er nicht.

"Die Letzten, die hier was gesperrt haben, waren die Nazis", sagt Rolf Blädel, "die Düne gehört den Helgoländern." Und die Kegelrobben sind ja auch irgendwie Helgoländer.

© SZ vom 18.01.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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