Helfer in Nepal:Angst vor der nächsten Katastrophe

Nepal earthquake

Viele historische Gebäude in der Hauptstadt Kathmandu sind komplett zerstört.

(Foto: dpa)
  • Nach dem verheerenden Erdbeben in Nepal läuft die internationale Hilfe an. Mindestens 4 000 Menschen sollen ums Leben gekommen sein. Etwa 150 Deutsche werden einem FAZ-Bericht zufolge vermisst.
  • Die Menschen brauchten vor allem ein Dach über dem Kopf, sagt ein Care-Mitarbeiter in Kathmandu. "Viele haben nichts, womit sie sich nachts zudecken könnten."
  • Aus Deutschland sind unter anderem Teams der Hilfsorganisationen ISAR und LandsAid unterwegs. Die Helfer können nur erahnen, was sie vor Ort erwartet.

Von Lisa Böttinger und Lena Jakat

Überfüllte Krankensäle, Menschen, die auf der nackten Erde schlafen, Helfer, die mit bloßen Händen im Schutt nach Überlebenden graben: Das sind die Bilder, die von Nepal aus um die Welt gehen - zusammen mit stetig steigenden Opferzahlen. Mindestens 4 000 Menschen kamen, Stand Montagabend, bei dem Erdbeben am Samstag ums Leben, doppelt so viele wurden verletzt. Die Zahl der verletzten Deutschen soll nicht sehr hoch sein, meldet die Frankfurter Allgemeine Zeitung unter Berufung auf den deutschen Botschafter in Nepal, Matthias Meyer. Insgesamt seien derzeit aber etwa 150 Deutsche vermisst.

Stefan Heine weiß abgesehen von den Informationen, die die Bilder liefern und den bisher bestätigten Fakten nicht viel über die Situation in Kathmandu. In Delhi wartet er am Montagnachmittag auf den Weiterflug in die nepalesische Hauptstadt. Heine ist Mitarbeiter von ISAR Germany, einer gemeinnützigen Organisation, die auf Rettung und Bergung von Erdbebenopfern spezialisiert ist.

Grishma Raj Aryal kann die Lage besser abschätzen, denn er war bereits während des Bebens vor Ort. Er arbeitet für die internationalen Hilfsorganisation Care, die seit 1978 in dem Land am Himalaya aktiv ist. Die Telefonverbindung ist schwach und langsam, doch per Chat schildert Aryal die Situation in Kathmandu: "Die meisten alten Gebäude, darunter die historischen Stätten, sind eingestürzt. Sogar die neuen Gebäude haben Risse. Es wirkt so, als könnte ein einziges weiteres Erdbeben alles endgültig zum Einsturz bringen."

Tausende Menschen haben die vergangenen beiden Nächte unter freiem Himmel verbracht. "Die Leute haben furchtbar Angst", sagt Aryal. "Sie sind alle im Freien - im Stadion, auf dem Grundstück der Regierungsbehörden. Sie haben seit zwei Tagen nicht geschlafen. Die Kinder sind verstört von den Erlebnissen." Die Temperaturen in der Nacht liegen um die 15 Grad Celsius, am Sonntag hat es geregnet. "Viele haben nichts, womit sie sich nachts zudecken könnten", sagt Aryal.

Bald könnte die Grundversorgung knapp werden

Noch gibt es in Kathmandu Nahrungsmittel und Wasser, sogar die staatlichen Tankstellen sind geöffnet. Doch bald könnte die Grundversorgung knapp werden. Durch das Beben sind viele Autobahnen und Brücken zerstört worden, die Versorgungswege abgeschnitten. Es gehe deswegen jetzt darum, Vorräte an Hilfsgütern anzulegen, sagt Aryal.

Stefan Heine und seine Kollegen von ISAR haben für ihren Einsatz nicht nur die nötigen Gerätschaften dabei, sondern auch Nahrung für alle 58 Helfer und die Suchhunde, die mit an Bord sind. "Wir sind standardmäßig so ausgerüstet, dass wir etwa zehn Tage autark überleben können", erläutert Heine. "Wir können schließlich nicht den Bedürftigen noch zusätzlich zu Last fallen."

Während Heines Team in Kathmandu bei der Suche nach Veschütteten helfen wird, hat bei Care die Beschaffung von Notunterkünften oberste Priorität. "Die Menschen brauchen vor allem etwas über dem Kopf", sagt Aryal. Zelte, Planen und Ähnliches zu beschaffen in einer Stadt, wo ganze Straßenzüge komplett in Trümmern liegen, klingt an sich schon nach einer gewaltigen Aufgabe. Das instabile Telefonnetz erschwert die Lage noch zusätzlich. "Wir haben lokale Händler kontaktiert und versuchen, von ihnen Zelte zu bekommen. Wenn das nicht klappt, müssen wir versuchen, sie aus Indien heranzuschaffen", erklärt Aryal.

Zeit ist für die Notfallhilfe ein entscheidender Faktor. Jetzt muss alles ganz schnell gehen, um Nachfolgekatastrophen zu verhindern. So könnten nicht nur Wasser und Lebensmittel knapp werden, Gefahr geht auch von schlechten hygienischen Zuständen aus - und von den vielen Leichen, die unter den Trümmern liegen. Die Seuchengefahr ist groß.

Die allermeisten Helfer sind ehrenamtlich im Einsatz

Hauterkrankungen, Atemwegsinfekte, Durchfall: Die deutsche Ärztin Lina Kahan rechnet damit, dass sie in Kathmandu mit den verschiedensten Erkrankungen konfrontiert sein wird. Kahan und fünf weitere Mitglieder von LandsAid haben sich am Samstagabend spontan bereiterklärt, ins Ungewisse zu fliegen: zwei Ärztinnen, zwei Sanitäter, zwei Koordinatoren. Am Montagmittag sind sie vom Münchner Flughafen aufgebrochen. Sechs Boxen aus Aluminium haben sie dabei, darin: Medikamente, Handschuhe, Spritzen. Medizinerin Kahan hat auch Jodtabletten eingepackt, denn noch ist unklar, wann und ob es vor Ort sauberes Trinkwasser geben wird. "Das meiste muss improvisiert werden", sagt Kahan, die bereits 2013 nach dem Taifun auf den Philippinen Hilfe leistete.

Zwar sind Helfer wie Kahan gut geschult und auf das Leid und Chaos vorbereitet, mit dem sie in Kathmandu konfrontiert sein werden. Üben kann man so einen Einsatz jedoch nicht: "Es wird für alle eine sehr große Stresssituation", sagt Kahans Kollegin Charlotte Sielicki. Auch Stefan Heine weiß um die Belastung für die Helfer. Die meisten ehrenamtlichen Mitglieder von ISAR sind hauptberuflich Ärzte, Bauingenieure oder Handwerker - das Grauen gehört für sie nicht zum Job. Der Einsatz ist für sie eine Ausnahmesituation.

Enorme Hilfsbereitschaft

Die internationale Hilfsbereitschaft für Nepal ist enorm: Aus Indien sind bereits 400 Tonnen Material eingetroffen, das Deutsche Rote Kreuz (DRK) belud einen Hilfsflug mit 60 Tonnen Hilfsgütern wie Zelten, Decken, Hygienepaketen, Küchensets und Wasserkanistern. Die Europäische Kommission versprach Nepal drei Millionen Euro Soforthilfe. Die Asiatische Entwicklungsbank sagte drei Millionen US-Dollar für Zelte, Medikamente und Trinkwasser zu.

Zwar lief die Hilfe nach dem Beben umgehend an, doch einige Zeit brauchen auch perfekt vorbereitete Notfallteams für Logistik und Anreise. Während der vielen Nachebeben am Sonntag musste der ohnehin überlastete Flughafen von Kathmandu immer wieder geschlossen werden; auch am Montag mussten mehrere Hilfsflüge vorläufig wieder abdrehen. Die Einsatzkräfte des THW landeten am Abend in Kathmandu, das ISAR-Team soll in der Nacht zum Dienstag dort eintreffen. Was ihn dort erwartet, kann Stefan Heine nur erahnen. Er weiß noch nicht einmal, wo morgen das Zelt stehen wird, in dem er schlafen wird.

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