Heiligsprechung im Vatikan:Das Wunder von Rom

Pope John Paul II And Pope John XXIII Are Declared Saints During A Vatican Mass

Heiligsprechung im Vatikan: Nonnen verfolgen die Ereignisse von einem Fenster aus

(Foto: Getty Images)

Eine Million Menschen sind nach Rom gereist, um die Zeremonie zu verfolgen. Regierungschefs, Königspaare, unzählige Pilger sind gekommen. Die Heiligsprechung der Päpste Johannes XXIII. und Johannes Paul II. legt das Leben in der Innenstadt lahm - doch Rom bewährt sich im Ausnahmezustand.

Von Andrea Bachstein, Vatikanstadt

Als die Glocken des Petersdoms gegen Viertel vor zehn am Sonntag erklingen, beginnt es aus den grauschwarzen Wolken zu regnen, die sich über Rom ballen. Doch der Himmel hat ein Einsehen. Als 15 Minuten später die Kardinäle mit Papst Franziskus aus dem Petersdom ziehen, können die Pilger die Schirme erst mal wieder zuklappen. Eine halbe Million Menschen stehen, sitzen, liegen da auf dem Petersplatz, nochmals Zehntausende füllen die Via della Conciliazione bis zum Tiberufer. Seit der Nacht strömen Gläubige und Schaulustige zu Fuß Richtung Vatikan. Die Stadt ist für den Verkehr weitgehend gesperrt.

Mehr als eine Million Menschen sind nach Rom gekommen, zwei Milliarden verfolgen das Ereignis auf dem Bildschirm: Zwei Päpste werden heiliggesprochen, aufgenommen unter die 839 Heiligen, die seit 1594 formal anerkannt wurden als Vorbilder eines christlich geführten Lebens, die Katholiken in Gebeten anrufen dürfen. Zwei Päpste, wie keine anderen in der Moderne von den Gläubigen verehrt, mehr als Menschen denn als Kirchenoberhäupter - der 1963 verstorbene Johannes XXIII. und Johannes Paul II., dessen Erhebung zum Heiligen nur neun Jahre nach seinem Tod durch die weltweite Verehrung für ihn beschleunigt wurde.

Er war auch der Papst, der weit mehr Heilige geschaffen hat als andere Pontifices in 500 Jahren - 482 hat der Marienverehrer aus Polen zur "Ehre der Altäre" erhoben. Aber was an diesem "Sonntag der göttlichen Barmherzigkeit" passiert, gab es so noch nie: dass ein Papst zwei so zeitnahe Vorgänger heiligspricht. Einzig auch die Konstellation von vier Päpsten, denn mit rosiger Gesichtsfarbe sitzt auch der "Papa emerito" Benedikt XVI. in der ersten Reihe unter den Kardinälen auf den Stufen vor Sankt Peter. Entspannt sieht Joseph Ratzinger aus und tief konzentriert im Gebet, es ist nach seinem Rücktritt im Februar 2013 erst der zweite öffentliche Auftritt.

Haut von Johannes XXIII. und Blut von Johannes Paul II.

Franziskus sitzt auf dem weißbespannten, thronartigen Stuhl, wie immer ragen seine robusten, schwarzen Schuhe unter der weißen Soutane heraus, und spricht um 10.15 Uhr in spanisch gefärbtem Latein die Formel: "Ad honorem Sanctae et Individuae Trinitatis . . .", mit der er den Katholiken der Welt seine Vorgänger zur Verehrung empfiehlt.

In seiner Predigt nennt Franziskus die neuen Heiligen "zwei mutige Männer, die erfüllt waren vom Freimut des Heiligen Geistes, sie haben der Kirche und der Welt Zeugnis gegeben von der Güte Gottes und von seiner Barmherzigkeit". Priester, Bischöfe und Päpste des 20. Jahrhunderts seien sie gewesen, "sie haben dessen Tragödien erfahren, sind davon aber nicht überwältigt worden", weil Gott und der Glaube stärker gewesen seien.

Ohne Reliquien geht es auch bei den neuen Heiligen nicht. So wird ein Gefäß beim Altar aufgestellt, das ein Stückchen Haut von Johannes XXIII. enthält. Dann trägt eine Frau mit schwarzer Spitze über dem Haar ein silbernes Gefäß mit einer Ampulle mit Blut von Johannes Paul II. zum Altar. Es ist Floribeth Mora Díaz aus Costa Rica. Sie hat diese Ehre, weil sie das Wunder erlebt hat, das letzte Voraussetzung für eine Heiligsprechung ist: Der verstorbene Johannes Paul II. sei ihr nach intensivem Gebet erschienen und habe sie von dem Hirnaneurysma geheilt, das nach Prognose der Ärzte binnen Wochen zu ihrem Tod geführt hätte. Eine medizinische Erklärung gibt es für diese Genesung angeblich nicht.

Zehntausende sind leise, als wäre keiner da

So wenig wie für die einer anderen Frau, die am Sonntag mit einer Fürbitte auftritt: Die französische Nonne Marie Simon-Pierre vom Orden der "Kleinen Schwestern der Katholischen Mütterschaften". Sie war vor drei Jahren schon einmal hier, am 1. Mai 2011, dem Tag, an dem Floribeth Mora Díaz genesen sein soll, und an dem der polnische Papst selig gesprochen wurde. Das war möglich, weil Marie Simon-Pierre nach Auffassung des Vatikans wundersam von Parkinson geheilt wurde, nachdem sie den kurz zuvor verstorbenen Johannes Paul II. angefleht hatte, der an derselben Krankheit gelitten hatte.

Und noch eine Art Wunder ereignet sich am Sonntag auf dem Petersplatz, das bei so gewaltigen Menschenansammlungen dort öfter passiert und immer etwas Surreales hat: Als der Moment für stumme Gebete gekommen ist, scheint die Stille regelrecht auszubrechen. Eine halbe Million Menschen drängen sich da andächtig, dass es so leise ist, als wäre keiner da.

Vor der Messe war das ganz anders, da wurde geredet, gerufen, gegessen und gealbert wie auf einem Bahnhofsplatz. Es ist der Tag der Polen, die Karol Wojtyła längst schon verehren. Hunderttausende sind angereist, das Rot-Weiß ihrer Flaggen und Transparente ist überall auf dem Petersplatz. Jerzy Becker ist mit seiner Frau und einem anderen Ehepaar aus Stettin gekommen, 20 Stunden mit dem Bus. Nicht hier zu sein an diesem Tag, das wäre ihnen unmöglich gewesen, sagt Becker, "es war so wichtig. Gott ist für uns alles."

Der Petersplatz ist voll, trotzdem gelingt in der Andacht vollkommene Stille

Viele ziemlich erschöpfte Gesichter sieht man. Unter den Kolonnaden des Platzes, zwischen den Schlangen vor den mobilen Toilettenhäuschen liegen Leute jeden Alters auf Schlafsäcken oder dem blanken Pflaster, holen ein wenig versäumten Schlaf nach oder lüften geplagte Pilgerfüße. Auch Manfred Rösl aus Ursensollen in der Oberpfalz und seine Frau suchen zwischen den Säulen Erholung. Sie tragen Wanderkleidung, zwei Stunden Schlaf hatten sie nur. Ein paar Meter weiter haben Chiara und Davide Decken ausgebreitet, die zarte, blonde 17-Jährige kann kaum die Augen offenhalten. Sie und ihr 20-jähriger Freund sind am Abend zuvor aus Verona gekommen. Auch sie können kaum mehr sagen, als dass sie unbedingt dabei sein wollten und Johannes Paul II. bewundern. Von ein Uhr an haben sie angestanden an der Via della Conciliazione, unter Abertausenden, die dort die Nacht singend und betend verbracht haben, ein frommes Vielvölkerfest.

Viele Völker sind bei der Messe auch mit Ehrengästen vertreten, 97 Delegationen, 24 Staatsoberhäupter darunter, dazu Regierungschefs und Minister, alle begrüßt vom Präfekten des Päpstlichen Haushalts, Bischof Georg Gänswein. Auch Belgiens und Spaniens Königspaare sind da. Und Simbabwes greiser Diktator Robert Mugabe ist gekommen, der stets die Ausnahme für Vatikan-Ereignisse nutzt, bei denen sein Einreiseverbot in Europa nicht gilt. Die Delegation der deutschen Politik ist eher bescheiden: die Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) und der Vize-Präsident des Bundestages, Johannes Singhammer (CSU).

Und Rom hat sich wieder einmal im Ausnahmezustand bewährt. Das Millionenheer der Pilger legt zwar das normale Leben in der Innenstadt lahm, doch alles strömt friedlich und freundlich. Vermisste Kinder, Schwächeanfälle - mehr haben die Helfer nicht zu tun. Als einzigen echten Skandal vermerken italienische Medien, dass die Gattin von Premier Matteo Renzi beim Papst in einem Rock erschien, der die Knie nicht bedeckt.

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